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Wem Sabus Filmheld den Glückshelm aufsetzt, der ist nicht unbedingt zu beneiden.

Happiness (2016)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Kulturpessimismus in Graugrün und Blutrot

Was den Bewohnern einer verschlafenen japanischen Gemeinde im Film von Regisseur Sabu (Mr. Long) widerfährt, ist im Grunde viel zu schön, um wahr zu sein. Ein Fremder kommt mit dem Bus, ein Heilsversprechen im Gepäck. Dieser Herr Kanzaki (Masatoshi Nagase) nennt die Apparatur, die er zunächst einer alten, lebensmüden Ladenbesitzerin auf den Kopf setzt, den Glückshelm. Er drückt auf ein paar Tasten des mit Metallkolben gespickten Helms herum und schon hebt die alte Frau ihren bislang teilnahmslos gesenkten Kopf. Sie sprudelt mit frischer Energie hervor, wie glücklich sie sei, nun endlich wieder zu wissen, dass ihre Mutter nicht nur den Bruder geliebt habe, wie sie immer dachte.

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Kanzaki landet bei der Polizei, die er ebenfalls beglückt, und dann beim Bürgermeister. Auf einer öffentlichen Vorführung darf Kanzaki den Einwohnern zeigen, wie sich die Mienen der Probanden aufhellen, wenn der Helm ihre schönste Erinnerung wieder aufleben lässt. Denn genau das kann das Gerät, und die Bewohner wirken danach wie ausgewechselt und voller Tatendrang. Kanzaki wird im Kreis der dankbaren Menschen gefragt, was denn seine glücklichste Erinnerung sei. Er aber antwortet nur knapp und ausweichend, dass seine Erinnerungen ganz normal seien. Das ist ein erster Hinweis darauf, dass dieser Messias womöglich Obskures im Schilde führt und seine Absichten mit Nächstenliebe weniger zu tun haben als gedacht.

Tatsächlich ist Kanzaki gekommen, um den schrecklichen Mord an seiner Frau und seiner Tochter zu rächen. Die nicht-lineare Erzählung vertieft sich mit vielen Rückblenden häppchenweise in seine Vergangenheit, um die paradoxe Motivation für die Konstruktion des Glückshelms offenzulegen. Bei einer Akupressur-Behandlung erfuhr Kanzaki, dass im Gehirn Glück und Unglück sehr nahe beieinander abgespeichert sind und mit etwas Fingerspitzentechnik wieder vergegenwärtigt werden können. Die Erinnerung an das Glück, das er mit Frau und Tochter erleben durfte, beschleunigte die Schritte des seit dem Verbrechen völlig aus der Bahn geworfenen Mannes. Und führte ihn direkt zu seinem gnadenlosen Racheplan.

Für Trauer ist in diesem merkwürdigen Universum im Grunde kein Platz. Die Menschen leben nur wirklich, wenn sie aus Gefühlen wie kindlicher Freude, Euphorie, rasendem Schmerz oder blinder Wut Energie beziehen. Einen Hinweis darauf, dass Sabu diese Geschichte in der Tradition des Kulturpessimismus verortet, liefert auch schon das Aussehen des Glückshelms. Er sieht nämlich so aus wie die 1865 von Malling-Hansen entwickelte Schreibkugel. Diese frühe Form der Schreibmaschine benutzte auch der Philosoph Friedrich Nietzsche. Kanzakis Schmerz wird sicher noch dadurch befeuert, dass der Doppelmord an Frau und Tochter zufällig passierte. Und wenn junge Leute wie der 17-jährige Täter dazu fähig sind, ihnen wildfremde Menschen in einem Blutrausch abzustechen, dann ist definitiv zu viel Unglück in der Welt. Kanzaki hat nicht vor, dem Mörder schöne Erinnerungen zu bescheren.

Die Bewohner der kleinen Ortschaft wirken zunächst apathisch, sie tragen schwer an der Last des Lebens und haben, bevor ihnen der Glückshelm die Augen öffnet, keinen Grund zur Fröhlichkeit. Warum aber sind sie so kraft- und mutlos? Was hat ihnen die Lebensenergie geraubt? Vielleicht ist es der Alltagstrott an sich, die allgemeine Routine, das Fehlen liebevoller Beziehungen wie zwischen Mutter und Kind. Offenbar kreisen viele der wiederbelebten Erinnerungen nicht zufällig um diese Konstellation.

Die Kamera fängt die emotionale Leere oft in statischen Aufnahmen ein. Auf den Gesichtern der Menschen liegt nicht selten ein graugrüner Schimmer, als reflektierten sie die triste Farbe der Wände in den Innenräumen. Offenbar war bereits die seelische Verfassung derjenigen prekär, die solche Zimmer und Häuser bauten. Oder auch diese Treppenhäuser, durch die man Kanzaki nach der Tragödie seines Lebens wie mit letzter Kraft wandeln sieht. Innen- und Außenwelt gehen in dieser visuellen Gestaltung eine starke Verbindung ein, lassen sich atmosphärisch nicht mehr unterscheiden. Sabus eigenwilliger Film wirkt einem lähmenden Albtraum näher als der Realität. Er sprengt mit philosophischen Fragen den Rahmen eines üblichen Rachethrillers und wendet sich dennoch mit üppigen Splatterszenen an ein genreaffines Publikum.
 

Happiness (2016)

Was den Bewohnern einer verschlafenen japanischen Gemeinde im Film von Regisseur Sabu („Mr. Long“) widerfährt, ist im Grunde viel zu schön, um wahr zu sein. Ein Fremder kommt mit dem Bus, ein Heilsversprechen im Gepäck. Dieser Herr Kanzaki (Masatoshi Nagase) nennt die Apparatur, die er zunächst einer alten, lebensmüden Ladenbesitzerin auf den Kopf setzt, den Glückshelm. Er drückt auf ein paar Tasten des mit Metallkolben gespickten Helms herum und schon hebt die alte Frau ihren bislang teilnahmslos gesenkten Kopf.

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