Der Bunker

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Willkommen in der Anderswelt!

Es gibt derzeit eine kleine Welle von Filmen in Deutschland, die natürlich kaum beachtet wird: Denn es sind Filme, die kaum jemand sieht. Filme, die auch nicht so gestaltet sind, dass sie ein größeres Publikum ansprechen könnten. Filme, die eine ganz eigene Welt aufbauen, die aus einer anderen Welt zu kommen scheinen, die mit dieser Welt kollidieren. Filme wie — 2012 — Jessica Krummachers Totem; 2013 Das merkwürdige Kätzchen von Ramon Zürcher; oder jüngst erst, auf den Hofer Filmtagen 2014 uraufgeführt, Zerrumpelt Herz von Timm Kröger.
Das sind Filme, die in ihrer Absurdität schwelgen, eine Absurdität, die sie dem Leben abgucken, aber in ganz andere Sphären des Filmischen führen, in Sphären, die mehr mit Märchen und Traum zu tun haben als mit irgendetwas, was aus dem Alltag bekannt wäre. Anti-Sozialdrama-Filme, die die Themen des Betroffenheitskinos aufnehmen, um darüber frei zu phantasieren, ohne Berührungsängste zum Albernen, mit tiefenpsychologischer Grundierung, mit surrealem Impetus. Hochsymbolisch, aber kaum entschlüsselbar, Schilderungen von verkorksten Beziehungen und zerrütteten Familien, die aber nicht emotionalisierend und damit manipulierend wirken, sondern sich in der Ambivalenz der Groteske zwischen Komik und Erschrecken sehr wohl fühlen. Es sind gänzlich offene Filme, die den Zuschauer zur aktiven Mitarbeit nötigen — eine Schwelle, die weit über das Ansehen eines Arthouse-Filmes herkömmlicher Ordnung hinausgeht, der eben doch mit deutlicher Richtung den Zuschauer führt, zum Nachdenken, zum Mitfühlen, zum Aufregen. Während diese Anderwelt-Absurd-Dramödien auch einfach mal auf den Gag setzen, sich in Anspielungen ergießen, in überbordender Ausstattung die Zeiten zusammenschmeißen, wie sie die inneren Neurosen ins Äußere werfen. In ihrer Uneindeutigkeit, Undeutbarkeit verweigern sie sich den definitorischen Schubladen; der Zuschauer muss einen Zugang finden, und der Zugang ist eng. Vermutlich ist er direkt neben dem Humor zu finden.

In diese Reihe ordnet sich Nikias Chryssos‘ Der Bunker ein. Der in seinem ersten Bild eine traute Familie beim Frühstück zeigt, Mama, Papa und Kind. Wobei Kind schon eine Definition zu viel ist: Wird dieser Klaus doch von dem 30jährigen Daniel Fripan gespielt, in absurd überdeterminierten Jungsklamotten, wie sie in den vergangenen 15 Jahrzehnten mal hier, mal da Mode waren. Gelbe Strickpullover mit Bommeln wechseln sich mit matrosenähnlichen Anzügen, Latzhosen oder Hosenträgern ab: Er ist DAS KIND AN SICH, und strikt beharrt er darauf, acht Jahre alt zu sein. Auch wenn er älter aussieht.

Der erste Satz im Film fällt beim Frühstückstisch vom Herrn Papa: „Ein fantastisches Ei“, lobt er sein Spiegelei, „das Äußere mit einer Tendenz ins Gegrillte“. Wobei das Innere Lebensbejahung ausstrahle. Er ist eloquent und gebildet; glaubt das jedenfalls von sich, wahrscheinlich, weil er gerne klassische Musik hört. Seine Bibliothek: Ein Kellerregal mit irgendwelchen Zetteln. Er freut sich, als der Student ankommt, und bietet ihm als Willkommen gleich ein Fußbad an. Der Student: Das ist Pit Bukowski, der bisher eher Figuren ohne jeden intellektuellen Anflug gespielt hat, der sonst mit seiner Körperlichkeit punktet. Und in diesem Film sich zurückzieht in den Bunker dieser Familie, zum Denken, Schreiben, zum wissenschaftlichen Arbeiten. „Kennen Sie das Higgs-Teilchen?“, fragt er; „Nicht persönlich“, antwortet der Vater — soviel Kalauer muss und darf sein. Der Student hat sich eingemietet, bekommt einen niedrigen Bunkerraum zugewiesen, „da kommt ja gar kein Licht rein!“ — „Ja, aber auch keines raus.“ Ein Bunkerraum mit spartanischer Einrichtung, der die Figuren buckeln lässt und kontrastiert zum sonstigen Eigenheim dieser Familie, in dem sich alle altmodische Biederkeit ansammelt.

Hier herrscht die Mutter, die sich um die Erziehung des Sohnes Klaus sorgt, für die als Hauslehrer ansonsten der Vater verantwortlich ist — und die nun der Herr Student antreten soll, denn man hat Großes vor. Klaus nämlich ist hochbegabt, die normale Schule würde ihn unterfordern — nicht weniger als Präsident soll er werden, das weiße Haus wartet schon. Deshalb ist das wichtigste, Hauptstädte zu lernen. Klaus scheitert dabei kläglich.

Die Mutter hat einen einflüsternden Geist, einen Herrscher aus einer hochentwickelten Galaxie im Bein, in einer vaginalen Wunde, aus der er spricht, durch ihren Mund, mit Exorzisten-Dämon-Stimme. Er weiß, wie Klaus geleitet werden muss; offenbar ist dieser Heinrich eine Art Manifestation orgasmischer Sexualpsychosen, wenn sie über ihn spricht, führt die Kamera gleich mal diesen Lampenschirm ins Bild, um den sich eine nackte Frauenskulptur räkelt. Wenn Klaus lernt, ist das erotischer Genuss; wenn sie mit dem Herrn Studenten fickt, bekommt er eine epiphanische Inspiration und schreibt während des Bums-Aktes Blatt um Blatt voll.

Das ist irre, irre witzig. Weil er nur merkwürdige Muster aufzeichnet, unerklärliche Theorien wirr auf Blätter, die er an die Wand hängt, ein Amalgam diverser Wissenschaften, behauptet er. Während seine geistigen Höhenflüge sich auf Klaus nicht übertragen, der die Hauptstädte nicht auf die Reihe kriegt, geschweige denn das globale Finanzsystem („sehr groß“) oder das Microkreditwesen („sehr klein“). Mit der nötigen Gewalt wird Klaus auf die Schnellstraße des Erfolgs geführt, der Rohrstock hilft, von Aserbaidschan bis Zypern sind die Hauptstädte bald drin. Als Belohnung der Höhepunkt familiären Zusammenlebens: Der Witzeabend, an dem der Papa in Clowns-Schminke aus einem dicken Buch vorträgt und auch gleich erläutert: Der Kontrast zwischen der Moderne der Großstadt und ruraler Tradition, der archaische Gegensatz von innen und außen, wenn das Schwein vor der Steckdose steht: Wer hat dich denn eingemauert, Kumpel?

Mit solch unbarmherziger Komik, die auch vor dem Witz nicht halt macht, mit einer Art Meta-Inszenierung, mit dieser fast musikalischen Uneindeutigkeit des Erzählens und des Erzählten geht Chryssos auf famose Art um, bringt immer neue absurde Details ins Spiel (das „Klaus“-Namensschildchen im Ein-Schüler-Klassenzimmer!), die sich auf großartige Weise zu einem großen, symbiotischen Ganzen ergänzen. Ein Spielfilmdebüt ist das — ein Debüt, das so souverän mit den filmischen Mitteln umgeht, dass es diese gleich links liegen lässt, um etwas ganz Neues, etwas ganz Anderes zu wagen. Erziehung und Bildung, Ehrgeiz und Streben werden verzerrt und verformen sich zu einer neurotischen Geisterwelt, die der Film als vollkommen gegeben und normal darstellt. Ein ganz eigener, ein großartiger Film ist Der Bunker, ein Erlebnis für den Zuschauer mit einer Antenne für derartige Absurditäten.

Der Bunker

Es gibt derzeit eine kleine Welle von Filmen in Deutschland, die natürlich kaum beachtet wird: Denn es sind Filme, die kaum jemand sieht. Filme, die auch nicht so gestaltet sind, dass sie ein größeres Publikum ansprechen könnten. Filme, die eine ganz eigene Welt aufbauen, die aus einer anderen Welt zu kommen scheinen, die mit dieser Welt kollidieren. Filme wie — 2012 — Jessica Krummachers „Totem“; 2013 „Das merkwürdige Kätzchen“ von Ramon Zürcher; oder jüngst erst, auf den Hofer Filmtagen 2014 uraufgeführt, „Zerrumpelt Herz“ von Timm Kröger.
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