Every Thing Will Be Fine

Eine Filmkritik von Festivalkritik Berlinale 2015 von Beatrice Behn

Keine Plattitüden / Oder auch nicht?

Die Zeit heilt alle Wunden. Eine Plattitüde angesichts des Schicksals, das Tomas, Kate und Christopher ereilt. Als Tomas (James Franco) auf schneebedeckter Straße einen Wimpernschlag lang abgelenkt ist, rutscht ihm ein Kind auf einem Schlitten vor den Wagen. „Bitte nicht, bitte nicht!“, beschwört Tomas noch hinter dem Steuer das Schicksal und ist erleichtert, als er aussteigt. Der kleine Christopher (Jack Fulton) ist unversehrt. Auf seinen Schultern trägt Thomas Christopher zurück nach Hause. Sein Mobiltelefon klingelt. Am anderen Ende erkundigt sich Tomas‘ Lebensgefährtin Sara (Rachel McAdams) nach dessen Verbleib. Und zum ersten und einzigen Mal fallen die Worte, die Wim Wenders neuem Film ihren Titel geben. Er hätte einen Unfall gehabt, aber „alles wird gut“, spricht Tomas in sein Handy. Ein Trugschluss. Denn als er Christopher bei seiner Mutter Kate (Charlotte Gainsbourg) abgibt, offenbart sich, warum der Junge auf dem Weg dorthin so schweigsam gewesen ist. Christopher war beim Spielen nicht allein. Sein Bruder Nicolas liegt tot unter Tomas‘ Auto.
Das Leben des nur mäßig erfolgreichen Schriftstellers Tomas ist voll von abgedroschenen Weisheiten. Seine Annahme, dass alles gut werde, ist ebenso eine Plattitüde wie die Äußerung, dass ein Unfall bei allen Beteiligten Narben hinterlasse. Tomas‘ Vater wirft ihm diese belanglosen Worthülsen, mit denen er sein Leben bestreitet und seine Bücher füllt, vor. Auch viele Filme, die von solchen Schicksalsschlägen handeln, flüchten sich in Plattitüden. Mit Every Thing Will Be Fine will Regisseur Wim Wenders alles anders machen. Er nimmt sich viel Zeit, um zu zeigen, wie lange der Heilungsprozess dauern kann oder dass sich manche Menschen nie davon erholen. Seine Figuren flüchten sich nicht in blinden Aktionismus, sondern machen beharrlich weiter.

Nach dem Unfall dauert es zehn Jahre, bis alles wieder gut ist. Tomas verliert sein Lächeln und beinahe auch sein Leben über dem Alkohol und den Drogen, in die er flieht. Hier läuft Wenders kurz Gefahr, sich selbst in Plattitüden zu ergehen. Doch die Episode bleibt nur eine Randnotiz. Danach konzentriert sich das Drama wieder darauf, dem Alltag bei der Arbeit zuzusehen. Wenders montiert Kates und Tomas‘ Umgang mit dem Unfall, mit der eigenen Verantwortung und mit der Schuld parallel. In einem Telefonat rückt er die beiden in einer Überblendung ganz nah aneinander. Sie sind räumlich getrennt und dennoch im Filmbild vereint – wie auch ihr weiteres Leben miteinander verknüpft bleiben wird.

Während Tomas‘ Beziehung zu Sara am Unfall langsam, aber stetig zerbröckelt, profitiert sein Schreiben davon. Mit der unverarbeiteten Schuld kommt der schriftstellerische Erfolg. Die Beziehung mit Sara weicht einer neuen. Tomas‘ zieht mit Ann (Marie-Josée Croze) und deren Tochter Mina (Lilah Fitzgerald / Julia Sarah Stone) zusammen. Doch trotz des beruflichen und privaten Glücks wirkt er nicht glücklich. Als er bei einem Unfall auf einem Jahrmarkt den Verletzten zu Hilfe eilt, wird auch Ann klar, dass Tomas mehr funktioniert als zu leben. Während alle um ihn herum in Panik verfallen, scheint der Schriftsteller ungerührt. Seine Beteuerung, dass er mit den Dingen anders umgehe, ist eine Ausflucht. Sein teilnahmsloses Gesicht lediglich eine Fassade, die er aufrecht erhält. James Franco spielt diesen innerlich zerbrochenen Mann mit einem Blick, der all diese Trauer einfängt.

Erst als Tomas sich mit dem nun 18-jährigen Christopher (Robert Naylor) trifft, kommt Bewegung in die Sache. Für Christopher ist es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass es seinem Gegenüber (scheinbar) so viel besser ergeht. Ein äußerlich antriebsloser Mann, der einfach weitermacht, sich in seinem Schreiben treiben lässt und damit von Erfolg zu Erfolg eilt. Wim Wenders stellt hier auch die Frage, ob es legitim ist, sein eigenes Trauma und die Traumen anderer für seine künstlerische Arbeit auszunutzen. Und Wenders zeigt, wie unterschiedlich die Figuren mit dem Schicksalsschlag umgehen. Auch Christopher drückt seinen Schmerz aus – wenn auch weit weniger künstlerisch als Tomas.

So ruhig wie der Erzählfluss ist auch die Inszenierung. Wenders hat Every Thing Will Be Fine in 3D gefilmt. Eine Technik, die in einem Drama ohne große Schauwerte oder Superheldenaction zunächst deplatziert erscheint. Um deren Wirkung zu entfalten, schneidet Wenders wenig, hält die Einstellungen meist einen Tick länger als gewohnt. Bewegt er die Kamera, dann in sehr gemächlichem Tempo. In diesen Fahrten kann sich die Raumtiefe viel anschaulicher entfalten als in all der Rasanz des Marvel-Universums. Dieser dezente Einsatz ist sicherlich noch weit von der Perfektion entfernt, gibt jedoch einen ersten Fingerzeig, wohin sich 3D abseits des Actionkinos entwickeln könnte.

Gleich zu Beginn, als Tomas in einer Anglerhütte erwacht und Benoît Debies Kamera auf einem Notizbüchlein verweilt, den aufgewirbelten Staub in der vom Holzofen flimmernden Luft einfängt, ist die Wärme in der von eisiger Kälte umgebenen Hütte förmlich greifbar. Ein Feuer, dass auch hinter der eisigen Fassade der Hauptfigur lodert. Einer Hauptfigur, die erst in der letzten Einstellung des Films ihr Lächeln wiederfindet.

(Falk Straub)
_____________________________________

Everything will be fine. Das ist Tomas‘ (James Franco) Mantra. Für seine Beziehung zu Sara (Rachel McAdams) und auch für den Moment eben auf der Landstraße. Da im Dunkeln, wo plötzlich ein Kind mit einem Schlitten direkt vor sein Auto gefahren ist. Alles wird gut. Alles wird gut. Aber es wird eben nicht alles gut. Zwar denkt Tomas das erst, als ein Kind vor seinem Auto sitzt, unverletzt, doch dann stellt sich heraus: der kleine Bruder liegt darunter und ist tot. Und so müssen Tomas, der überlebende Christopher und seine Mutter Kate (Charlotte Gainsbourg) fortan mit dieser Tragödie klar kommen und ihr Leben neu rekonstituieren.

Tomas gelingt es nicht. Er gerät in ein tiefes Loch, nimmt Drogen, Alkohol und versucht sich umzubringen. Sara holt ihn, obwohl sie schon längst getrennt sind, wieder zu sich nach Hause. Doch aus dem Elend entspringt Inspiration. War Tomas vor dem Unfall ein eher mittelmäßiger Schriftsteller, so hat er jetzt viel zu schreiben. Sein nächstes Buch wird ein Hit, Tomas ein gefeierter Autor. Doch auch nach Jahren sind weder er, noch Kate und Christopher über ihren Verlust hinweg. Es will einfach nicht so recht gut werden.

Every Thing Will Be Fine ist Wim Wenders erstes 3D-Melodram. In den Augen des Regisseurs funktioniert 3D wie ein Vergrößerungsglas; Wenders ist fasziniert von 3D-Bildern, in denen wenig passiert und man am besten nur einen Menschen sieht, sagt er in der anschließenden Pressekonferenz. Mit einem hat er Recht. Es passiert wenig. Nicht, dass das per se etwas Schlechtes wäre. Dramen über Verlust sind oft viel stärker in ihrer Stille, als im Pathos. Sie leben gut über die kleinen Gesten, über Leerstellen und Momente des Zögerns und des Stillstands. Problematisch wird es erst, wenn der Film im wahrsten Sinne des Wortes leer ist. Und genau das ist hier der Fall.

Fast erinnert der Film an Terrence Malicks Knight of Cups. Menschen, die nicht reden; Menschen, die nur gucken, starren mit undeutbaren, weil unbewegten Gesichtern. Vor allem James Franco, Hauptdarsteller und damit Vehikel des Filmes, macht nichts anderes. Fragen die Frauen, die ihn umgeben was mit ihm ist, was er denkt, so antwortet er stets: „Ich will nicht darüber reden“. Und so begleitet der Film in unendlich langen zwei Stunden den stummen Erdulder, der eigentlich Sympathieträger, ja tragische Figur sein soll, aber tatsächlich fade, egoistisch und ungemein schläfrig daherkommt. Die Frauen: Sara, Kate und Tomas spätere Frau sind wiederum kaum je gegenwärtig. Soll heißen: ihre Charaktere sind so wenig mit Persönlichkeit bestückt, dass sie sich reduzieren auf ihre Funktion: Sara, die ihn wieder aufpäppelt, Kate, die ihm verzeiht und die Erlaubnis gibt weiter zu machen, Ann gibt ihm einen Neuanfang und eine Stieftochter. Auch hier, wie in Malicks Knight of Cups, sind die Frauenfiguren nur Mittel zum Zweck. Aber immerhin dürfen sie wenigstens einen Namen haben.

Interessanter als Figuren und Geschichte, sind Wenders‘ ästhetische Entscheidungen. Abgesehen von den überaus sparsam eingestzten 3D-Aufnahmen fällt schnell der dicke Soundteppich auf, der den Film in fast jeder Sekunde untermalt. Komponist Alexandre Desplat hat hier wohl Überstunden geleistet. Eigenartig (oder eigensinnig) sind dabei die für den Film komponierten Stücke, erinnern sie doch stark an Alfred Hitchcocks Filmsoundtracks, die zumeist aus der Feder Bernard Herrmanns stammten. Und damit schaffen sie (denn im Kino sind wir ja alle inzwischen ein bisschen wie Pawlowsche Hunde) die Erwartung, dass gleich etwas geschehen muss. Ein Mord, ein Thriller, Suspense, Überraschung… irgendwas. Doch diese permanent getriggerten Erwartungen werden konsequent unterlaufen und enttäuscht.

Und genau hier liegt dann auch das Hauptproblem. Wie sich einlassen auf einen Film, der kaum Fleisch an den Knochen hat und dazu noch konstant gegensätzliche Nachrichten an den Zuschauer schickt? Wie soll man sich verorten emotional? Was soll man mit diesen Figuren anstellen, deren Leid man kognitiv erfasst aber nichts davon sieht, spürt oder auch nur subkutan das kleinste Kribbeln hat?

Es ist fast, als würde man als Zuschauer rufen „Tu doch was, sag doch was, mach doch was!“ Und der Film antwortet darauf nur lakonisch: „Alles wird gut.“

(Festivalkritik Berlinale 2015 von Beatrice Behn)

Every Thing Will Be Fine

Die Zeit heilt alle Wunden. Eine Plattitüde angesichts des Schicksals, das Tomas, Kate und Christopher ereilt. Als Tomas (James Franco) auf schneebedeckter Straße einen Wimpernschlag lang abgelenkt ist, rutscht ihm ein Kind auf einem Schlitten vor den Wagen. „Bitte nicht, bitte nicht!“, beschwört Tomas noch hinter dem Steuer das Schicksal und ist erleichtert, als er aussteigt.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Vera Schrankl · 13.04.2015

Wunderschöner sehr interessanter Film über ein traumatisches Ereignis, das eine Gefühlsstarre der Hauptfigur auslöste, die erst am Ende sich auflöst. Die Langsamkeit des Films läßt Raum für eigenes Nachdenken und Nachfühlen.