Eine dunkle Begierde

Eine Filmkritik von Festivalkritik Venedig 2011 von Patrick Wellinski

Heilung aussichtslos

„Ich bin nicht verrückt.“ Das Verhalten der jungen Anstaltsinsassin, die diesen Satz hervorpresst, ist ungebärdig und psychotisch, ausgelöst von verleugneten erotischen Wünschen. Schlecht sei sie und lasterhaft. Eine, die man nie wieder rauslassen dürfe. Diese Worte äußert kein Arzt über Sabina Spielrein (Keira Knightley), sondern die Patientin selbst. Sie sind keine Diagnose, sondern ein Urteil. Das Richten des eigenen sexuellen Verlangens nach dem moralischen Maß der Gesellschaft ist die Krankheit, an der die Figuren des analytischen Beziehungsgeflechts leiden. Verlangen, unterdrückt und ausgelebt, ist die treibende Emotion der folgenschweren ménage-à-trois, die David Cronenbergs ausgeklügeltes Psychodrama Eine dunkle Begierde klug seziert.
Düster. Sabina spricht es als erste aus, als sie von ihrer Psychose geheilt ist. Carl Gustav Jung (Michael Fassbender) wiederholt es, fasziniert von dem Wort wie von seiner ehemaligen Patientin und Geliebten. Und Sigmund Freud (Viggo Mortensen) scheint es zu denken, wenn er mit Jung von Angesicht zu Angesicht oder in ausführlichen Briefen diskutiert, ohne es auszusprechen. Etwas bleibt immer ungesagt in der enigmatischen Dreierkonstellation Spielrein-Jung-Freud. Sie ist in David Hamptons Drehbuchadaption seines Theaterstücks The Talking Cure der Katalysator für die bahnbrechenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der Psychoanalyse, zu denen der pedantische Arzt im Kampf mit seinen eigenen Begierden erst nach einer Nervenkrise gelangen wird. Jungs medizinischer Ruhm, der ihm vorangehende Zusammenbruch, die beiden Weltkriege, welche die Biografien der Protagonisten durchschneiden: das alles verortet die Handlung in der Zukunft. Die Gegenwart aber, sie gehört einer anderen Macht.

Der Originaltitel A Dangerous Method klingt wie ein Thriller, der deutsche Verleihtitel Eine dunkle Begierde wie ein Erotikfilm. Cronenbergs fesselnde Studie über einen entscheidenden Moment des Umbruchs in der Medizingeschichte ist beides: ein hochkonzentriertes Passionsspiel, welches das Wort Passion in seinem ganzen Bedeutungsspektrum von Lust bis Leiden umfasst. „Nur der verletzte Arzt kann hoffen zu heilen“, sagt Jung, dessen Bruch äußerlich unsichtbar bleibt, da er psychischer Natur ist. Nicht nur unter seiner beherrschten Oberfläche glühen die Emotionen. „Hätte mir einer meiner Patienten diese Enthüllungen gemacht, hätte ich gesagt, dass sie auf ungebührliche sexuelle Begierden hinweisen.“ Bei jeder der schillernden Figuren zeigen sie sich in anderen Symptomen, jede bekämpft sie mit anderen Mitteln, deren gebräuchlichstes die bedingungslose Unterdrückung der eigenen Wünsche ist.

„Normalerweise sollte ich Sie behandeln“, sagt Freud zu Jung, für den der Begründer der Traumdeutung Vaterfigur, Lehrer, Freund und Kontrahent in einer Person ist. In der nüchternen Komposition der Bilder enthüllen sich doppelbödige Allegorien, denen Cronenberg sarkastischen Schliff verleiht. Nachdem er die leidenschaftliche Affäre mit Sabina Spielrein beendet hat, salzt Jung daheim am bürgerlichen Tisch exzessiv sein Essen. Doch die fehlende Würze seiner faden Ehe kann nur eine Liebschaft ausgleichen. Sowohl er als auch Sigmund Freud bleiben Fremde im Reich des anderen, gleichermaßen unfähig, sich dessen Bedingungen anzupassen. Im Kaffeehaus Sacher in Wien sitzt Freud gleich einem unnahbaren Lehrer Jung gegenüber, dessen gefühlte intellektuelle Unterlegenheit ein sichtbarer Milchbart andeutet. Später ist es in Jungs Segelboot Freud, der eingezwängt und unbehaglich den Jüngeren die Richtung bestimmen sieht.

Beim Liebesakt erscheinen Spielrein und Jung durch verschiedene Spiegel als die fragmentierten Persönlichkeiten, die sie beide in sich verschließen. Ihr Verhältnis ist das heftigste der intensiven Dreiecksgeschichte, deren innerer Brennpunkt ein schwindelerregendes Therapie-Karussell ist. Der erfahrene, aber auch in seinen Ideen festgefahrene Freud, der ehrgeizige, abergläubische Anwärter auf den psychoanalytischen Thron Jung und die psychisch ambivalente zukünftige Psychologin Spielrein drehen sich in einer unsichtbaren Kreisbahn, deren Fliehkräfte sie alle aus dem Gleichgewicht bringen. Ein Trost aber bleibt den solchermaßen aus der Bahn Geworfenen immerhin, wie Sabina an einer Stelle höchst treffend konstatiert: „Etwas Neues kann nur durch die Kollision zerstörerischer Kräfte entstehen.“ Wer wüsste das besser als David Cronenberg?

(Lida Bach)

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Die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts waren eine Phase unvorstellbarer Transformation. Immer mehr Menschen lebten unter immer besseren Lebensbedingungen und die Ergebnisse der industriellen Revolution setzten eine unheimliche Dynamik frei. Es war nur eine Frage der Zeit, bis damit auch die festgefahrenen Weltbilder und gesellschaftlichen Hierarchien fundamental in Frage gestellt werden sollten. Eine der Theorien, die maßgeblich dazu beitrug, war Sigmund Freuds Modell der Psychoanalyse.

David Cronenbergs Eine dunkle Begierde / A Dangerous Method erzählt von den Implikationen dieser Theorie auf die beiden wichtigsten Vertreter der Psychoanalyse, Sigmund Freud (Viggo Mortensen) und Carl Gustav Jung (Michael Fassbender). Dieses ruhige – fast schon statische – Psychoduell nimmt seinen Anfang, als 1904 die 29 Jahre alte Russin Sabina Naftulowna Spielrein (Keira Knightley) in die von Jung und seiner Frau Emma (Sarah Gadon) geleitete Schweizer Klinik Burghölzli gebracht wird. Die Patientin ist zutiefst traumatisiert und leidet unter massiven Nervenzusammenbrüchen. Sie wird Jungs erste Patientin, an der er den Ansatz der Psychoanalyse ausprobieren möchte. Sein Ziel: Die Heilung der Psyche durch eine schrittweise Rückführung zu den Auslösern dieser Symptome. Der Fall Spielrein bringt Jung auch mit seinem größten Kollegen zusammen, den in Wien praktizierenden Sigmund Freud. Beide sind überzeugt, dass die Psychoanalyse das Weltempfinden der Menschheit entscheidend verändern wird. Doch ob man die praktische Anwendung der Theorie zur Heilung (so meint es Jung) oder lediglich zur Diagnostizierung (so sieht es Freud) nutzen kann, bleibt ein ewiges Streitthema zwischen den beiden.

Eine dunkle Begierde ist zunächst einmal die Umkehrung aller bisherigen Cronenberg-Werke. Dort, wo der Kanadier bisher als Meister der Transgression und der zirkulären Erzähltechnik galt, hat er nun einen geradlinigen und atmosphärisch sehr zurückhaltenden Film gedreht. Der Inhalt basiert dabei auf dem gleichnamigen Theaterstück des englischen Dramatikers Christopher Hampton. Und trotz der augenfälligen Unterschiede sind die Themen und Motive dieses Films wieder deutlich im Cronenberg-Universum zu verorten. Denn die Auswirkungen des Obsessiven, der Psychose und ihrer Folgen haben den Regisseur schon immer interessiert, sei es in Spider oder in eXistenZ. Das interessante an Eine dunkle Begierde ist nun, dass Cronenberg nicht an den krassen Auswirkungen eines wie auch immer gearteten Horrors des Körpers oder Geistes interessiert ist, sondern die Frage nach einer möglichen Heilung stellt. Denn obwohl in Cronenbergs Werk die beiden großen Männer im Vordergrund zu stehen scheinen, ist die Entwicklung der weiblichen Figur Spielrein entscheidend.

Keira Knightley spielt die junge Russin, die von Jung nicht nur erfolgreich behandelt wird, sondern auch noch eine Affäre mit ihm beginnt. Spielrein wird zur ersten weiblichen Psychoanalytikerin ausgebildet und zur Verfasserin wegweisender Schriften zu diesem Themengebiet. Doch im Film ist sie vor allem der Streitpunkt zwischen Jung und Freud. Der Kardinalsfehler Jungs, sich eine Affäre mit der eigenen Patientin zu erlauben, stellt auch seinen therapeutischen Ansatz in Frage.

Cronenberg inszeniert das alles mit einem guten Gespür für die inneren Spannungen dieses seltsamen Dreiecks. Man muss sich aber auch im Klaren darüber sein, dass Eine dunkle Begierde ein Film ist, der fast ausschließlich über den Dialog funktioniert. Es ist nun mal die Verfilmung einer kollegialen Rivalität, und das lässt vor allem genug Raum für die Darsteller, um dem Drehbuch die nötigen Zwischentöne und der textlastigen Vorlage auch die notwendige emotionale Tiefe zu verleihen. Fassbender ist sehr enigmatisch als Jung und auch Knightley – zu Beginn noch an der Grenze zum Ertragbaren — zeigt, dass sie auch eine nuancierte Darstellerin sein kann. Am überzeugendsten gerät die Verkörperung des Sigmund Freud durch Viggo Mortensen. Mit wenigen Gesten und Regungen verleiht er seinem Freud eine Aura der Überlegenheit, die ihn in diesem Beziehungsdreieck zur alles überragenden Vaterfigur macht. Aufgrund der insgesamt sehr guten Darstellerleistungen folgt man den Figuren durch diesen manchmal etwas behäbigen Film, der aber summa summarum die großen Erwartungen nicht zur Gänze erfüllt, die man an ihn hatte.

(Festivalkritik Venedig 2011 von Patrick Wellinski)

Eine dunkle Begierde

„Ich bin nicht verrückt.“ Das Verhalten der jungen Anstaltsinsassin, die diesen Satz hervorpresst, ist ungebärdig und psychotisch, ausgelöst von verleugneten erotischen Wünschen. Schlecht sei sie und lasterhaft. Eine, die man nie wieder rauslassen dürfe. Diese Worte äußert kein Arzt über Sabina Spielrein (Keira Knightley), sondern die Patientin selbst. Sie sind keine Diagnose, sondern ein Urteil.
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Meinungen

Michael Kendel · 30.11.2011

Wer einen spannenden Psychothriller erwartet oder auch nur „dunkle Begierden“ wird enttäuscht. Und wer nicht wenigstens ein bisschen Ahnung von der Geschichte der Psychoanalyse hat ebenso. Letztlich ist es ein Kammerstück um die Auseinandersetzung des wissenschaftlichen Freud mit dem etwas spiritueller veranlagten C.G. Jung und die reale Enttäuschung der beiden aneinander. Freud blickt meist sinnend, Jung hat überwiegend strenge Mimik, Lichtblick ist Keira Knightley, die überzeugend verschiedene Gefühlszustände vorführt. Jung schafft es, scheinbar in ein paar Sitzungen, seine Patientin Sabina Spielrein zu heilen, die danach ihre Obsession mit ihrem Arzt auslebt. Warum dieser sich darauf einlässt und was er wirklich davon hat, wird nicht deutlich dargestellt. Aus Skrupel beendet er schließlich das Verhältnis, Sabina wendet sich dich daraufhin, warum auch immer, Freud zu, der sie flugs zu seiner Assistentin macht, und im Abspann wird erklärt dass sie eine geachtete Psychotherapeutin wurde. Ein Film, in dem lange Dialoge statt Gefühle vorherrschen (Ausnahme: Knightley), der reale Ereignisse im Zeitraffer behandelt, die (psychologischen) Zusammenhänge unklar lässt und letztlich ziemlich enttäuscht.

SADIK · 20.11.2011

Der Film ist wirklich sehr bildgewaltig und er beinhaltet einige sehr interessante Einblicke in die Entstehungsgeschichte der Psychoanalyse. Allein schon aufgrund der Schauspielerischen Leistung einer Keira Knightley und eines Michael Fassbender ist der Film sehenswert. Gleichzeitig war der Film für mich persönlich eine kleine Gesellschaftskritik, die die Verlogenheit der Menschen und die Beweggründe für ihr Handeln deutlich werden ließ. Als kleines Bonmot für die Herren gibt es Keira Knightey in sehr ungewohnter Pose zu bestaunen ;-) .