Der Prozess

Ein diffuses Szenario von Licht und Schatten

Nach dem gleichnamigen, erst posthum veröffentlichten Romanfragment von Franz Kafka entstanden stellt Der Prozess des US-amerikanischen Schauspielers und Filmschaffenden Orson Welles aus dem Jahre 1962 eine eigenwillige Literaturverfilmung dar, die ihren Regisseur einmal mehr als einen Meister von Licht und Schatten ausweist. Diese markante Schwarzweiß-Inszenierung der Geschichte eines Mannes, der sich eines Morgens unvermittelt in einem undurchdringlichen Moloch obskurer Justizbehörden wiederfindet, zeichnet sich zuvorderst durch ihre eindringliche dramaturgische Dichte aus. Kafka à la Welles, der auch das Drehbuch zum Film verfasste sowie als Darsteller mitwirkte, das besticht mit verstörenden Visualisierungen tiefgründiger Ängste als atmosphärischer Alptraum.
Die düstere Zeichnung der so genannten Türhüterparabel nach Franz Kafkas Prosastück Vor dem Gesetz bildet den Auftakt des Films, der gleich jene Ohnmacht fokussiert, die sich im Verlauf der Handlung als unheilvolle Konstante etablieren wird. Am frühen Morgen von der Anwesenheit eines fremden Mannes in seinem Zimmer überrascht sieht sich der Bankangestellte Josef K. (Anthony Perkins), der zur Untermiete bei der allein stehenden Frau Grubach (Madeleine Robinson) wohnt, plötzlich mit unausgesprochenen, abstrakten Beschuldigungen konfrontiert, die sein offenbar geruhsam-geregeltes Leben ganz gehörig bis in die Grundfesten erschüttern. Die Polizei ist bei ihm eingedrungen und setzt ihn unter nicht näher definierten Bedingungen unter Arrest, und damit beginnt das diffuse Martyrium des Herrn K., der sich fortan durch die Mühlen eines beängstigenden Justizapparates kämpfen muss, von seltsamen amourösen Begegnungen mit verführerischen Frauen (Romy Schneider, Jeanne Moreau) flankiert. Auch der in eigene Desolationen verstrickte Anwalt Hastler (Orson Welles), ein Bekannter seines Onkels Max (Max Haufler), kann K. nicht helfen, der nicht einmal in Erfahrung bringen kann, auf Grund welchen Vergehens man ihn überhaupt angeklagt hat …

Innerhalb eines grandiosen künstlerischen Szenarios mit wirkungsvollen Lichteffekten und außergewöhnlich verfremdeten Räumlichkeiten hat Orson Welles die triste Odyssee eines verlorenen Individuums inszeniert, dessen zunehmend verzweifelte Orientierungsimpulse am starren, undurchsichtigen und sinnentleerten Formalismus einer misanthropischen Bürokratie scheitern. Damit ist es dem passionierten Filmemacher trotz seiner Emanzipation von der streng konstruierten Linie der Kafka-Erzählung bravourös gelungen, ganz wesentliche Motive der Geschichte ästhetisch ansprechend zu visualisieren und gleichzeitig ein ganz eigenes Werk zu schaffen, das durch die Fülle seiner Interpretationsmöglichkeiten besticht. Erscheinen die Figuren des illustren, namhaften Ensembles mit Anthony Perkins, Romy Schneider, Jeanne Moreau und Orson Welles selbst auch häufig durch ihre extrem unterschiedlichen Ausprägungen ein wenig zusammenhanglos, verstärkt dies andererseits wiederum den prägnanten Aspekt des Nebeneinanders der Protagonisten, die im Grunde aus einer bodenlosen Isolation heraus agieren, die natürlich im besonderen Maße Herrn K. anhaftet.

Im Rahmen einer Arthaus Premium Edition – bestehend aus dem Hauptfilm und einer Extra-DVD mit der höchst sehenswerten Dokumentation Orson Welles: The One-Man Band von Vassili Silovic und Oja Kodar aus dem Jahre 1995 – erscheint dieses intensive Psychodrama erstmals in der ungekürzten Kinofassung auf DVD. Zudem befindet sich unter dem Titel Orson Welles, Lichtarchitekt / Orson Welles, Architect of Light ein Interview mit dem Kameramann Edmond Richard unter dem Bonusmaterial, der ausführlich von den Dreharbeiten und den technischen Finessen des Films berichtet.

Der Prozess jongliert geschickt mit den Dimensionen im Spannungsfeld zwischen Macht und Ohnmacht sowie von Moral und Gesetz, ohne dabei über vage Andeutungen jenseits des Konkreten hinauszugehen. Das schwerlastige Motiv der diffusen Schuld vagabundiert mit schleichender Vehemenz durch die Geschichte, um dezent die unangenehme Botschaft zu manifestieren, dass Schuldlosigkeit letztlich eine illusionäre Vorstellung ist. Verbunden mit sorgfältig installierter Filmkunst in der Gesamtkomposition wie im Detail ist damit ein gleichermaßen verwirrender, beklemmender und tiefgründiger Film entstanden, dessen massive Beunruhigung noch lange nachwirkt.

Der Prozess

Eines Nachts wird der bis dato unbescholtene Angestellte Josef K. seinem Zimmer von zwei Polizeibeamten geweckt. Ein Inspektor erklärt ihm, er sei angeklagt und solle von nun an auf seinen Prozess warten.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen