Café Olympique

Eine Filmkritik von Gregor Torinus

Wenn Schildkröten sprechen können

Der für seine realistischen Sozialdramen wie Der Schnee am Kilimandscharo (2011) bekannte französische Regisseur Robert Guéiguian versucht sich in seinem neuesten Film Café Olympique — Ein Geburtstag in Marseille in traumwandlerischer Leichtigkeit. Der Film ist ein charmanter Ausflug in surreale Gefilde, der sich jedoch ein wenig schwer damit tut, durchgehend den richtigen Ton zu treffen.
Der Anfang scheint dem feuchten Traum eines modernistischen Architekten entsprungen zu sein. Ein animierter Kameraflug durch einen neugebauten Wohnungskomplex ist ganz in Weiß gehalten. Selbst die zur Belebung der Szenerie eingefügten Passanten glänzen durch ihre Farblosigkeit. Die Kamera windet sich von der Straße über den Innenhof in eine Wohnung hinein. Hier beginnen einzelne Möbelstücke farbige Akzente zu setzen. Trotzdem wirkt diese Wohnung so steril, wie ein Gang durch Ikea. Doch dann wechselt eine knallrote Küchenzeile von der Visualisierung ins Realbild. Diese Küche ist jetzt nicht mehr eine beliebige unpersönliche Kochzeile aus dem Versandhauskatalog, sondern die Küche von Ariane (Ariane Ascaride). Diese bereitet gerade ihren eigenen Geburtstag vor. Nur leider sieht es so aus, als ob keiner der geladenen Gäste kommen würde.

Kurzentschlossen fährt Ariane zu einer Tanzveranstaltung im Marseiller Hafen. Dort nimmt sie ein junger Motorradfahrer (Adrien Jolivet) mit zu seinem speziellen Geheimtipp, dem Café Olympique. Das ist wirklich ein ganz besonderer Ort, der unweit von gewaltigen industriellen Anlagen gelegen zum Träumen einlädt. Jedoch würde kaum jemand dieses Restaurant in solch einer unwirtlichen Umgebung vermuten. Deshalb bezahlt der Besitzer dem Motorradfahrer Provision, wenn der neue Gäste heranbringt. In der Regel sind das Touristenbusse voller rüstiger Rentner. Hier haben sich jedoch auch eine Reihe echter Originale versammelt. Zu ihnen gehören Jack (Jacques Boudet), ein selbst erklärter Schriftsteller, der von sich behauptet, dass er Amerikaner sei. Oder da ist der ehemalige Wächter eines Naturkundemuseums (Youssouf Djaoro), der nun hier als Wächter angestellt ist, obwohl es eigentlich nichts zu bewachen gibt. Lola (Lola Naymark), die Freundin des jungen Motorradfahrers arbeitet nebenbei als Hure. Und der verträumte Restaurantbesitzer hört bei der Arbeit gerne Chansons und klassische Musik.

Ariane wird hier nach und nach in eine magische Welt entführt, in der Schildkröten sprechen und Träume Wirklichkeit werden können. Das wirkt in seinen gelungenen Momenten fast wie eine geerdete Version von Die fabelhafte Welt der Amelie (2001). In seinen weniger gelungenen Augenblicken erscheint das ganze jedoch sehr bemüht und manchmal wirkt es auch gar nicht. Die Herkunft Robert Guéiguians aus dem Bereich des humanistischen Sozialdramas ist für diesen Film Segen und Fluch zugleich. Es gelingt dem Filmemacher immer wieder auf sympathische Art zu verdeutlichen, dass es auf die Menschen — und z.B. nicht auf einen außergewönlich mondänen Ort — ankommt. So sind die anfänglichen animierten Architekturbilder von einer glatten, sterilen Perfektion. Doch erst als sich die schicke Designerküche als die Küche einer wenig glamourösen Besitzerin entpuppt, kommt endlich ein wenig Leben in die am Computer entworfene Bude hinein.

Auch das Café Olympique ist eigentlich ein sehr gewöhnliches Ausflugslokal mit schlichten Plastiktischdecken; die Lage am Rande eines Marseiller Industriegebietes ist von erlesener Hässlichkeit. Dieses sehr gewöhnliche Restaurant wird erst durch seinen herzlichen Besitzer und durch die skurrilen Gestalten in seinem Umfeld zu einem besonderen Ort. Hier darf jeder sein, wie er ist und tun, was ihm gefällt. Das animiert Ariane mehr aus ihrem Leben zu machen, als sie sich bisher zugetraut hatte. Nur ist diese Botschaft viel zu plakativ vorgetragen. Hier gleitet Café Olympique leider in puren Sozialkitsch ab. Auch pendelt Robert Gueiguian zu unentschlossen zwischen sozialem Realismus und surrealer Traumrealität. Das hat zur Folge, dass sich diese Elemente oft gegenseitig blockieren und in ihrer Wirkung mindern. Manch ein beabsichtigter großer Moment gerinnt da leider nur zu großem Quatsch. Trotzdem kann man sich am Ende wohlig gewärmt zurücklehnen und zufrieden feststellen: Schön war es ja doch irgendwie…

Café Olympique

Der für seine realistischen Sozialdramen wie „Der Schnee am Kilimandscharo“ (2011) bekannte französische Regisseur Robert Guéiguian versucht sich in seinem neuesten Film „Café Olympique — Ein Geburtstag in Marseille“ in traumwandlerischer Leichtigkeit. Der Film ist ein charmanter Ausflug in surreale Gefilde, der sich jedoch ein wenig schwer damit tut, durchgehend den richtigen Ton zu treffen.
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