Boston (2016)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Porträt einer Stadt

Momentan scheint es eine Reihe von „Heldenfilmen“ aus den USA zu geben, die sich auf den „kleinen“ Mann konzentrieren, der in einer wahren Geschichte zum Helden wird – Pathos inklusive: Clint Eastwood inszeniert Tom Hanks in Sully als den Piloten, der einen Absturz verhinderte, Mel Gibson setzt Andrew Garfield als bescheidenen gläubigen Soldat im Zweiten Weltkrieg in Hacksaw Ridge in Szene und Peter Berg schuf erst mit Deepwater Horizon ein Film über den Mut ganz normaler Amerikaner, um sich nun mit Boston abermals einer Katastrophe der jüngeren Geschichte anzunehmen: dem Anschlag auf den Bostoner Marathon am „Patriots Day“ (so auch der Originaltitel) im Jahr 2013. Und doch erhält dieser Film durch aktuelle Ereignisse eine Note, die weit über ihn hinausgeht.

Boston beginnt mit einer typischen Katastrophenfilm-Parallelmontage, in der Personen, die im Nachfolgenden an den Ereignissen auf verschiedene Weise beteiligt sind, vorgestellt und dem Zuschauer nähergebracht werden sollen: Zunächst einmal der Polizist Tommy Saunders (Mark Wahlberg), der ein loses Mundwerk und draufgängerisches Wesen hat. Deshalb tritt er engagiert eine Tür ein, um einen Verdächtigen zu befragen, und hat gerade etwas Ärger, weil er einem Kollegen von der Sitte die Zähne ausgeschlagen hat. Auch seine Frau Carol (verschenkt: Michelle Monaghan) kann ihn gerade kaum noch riechen, fast jeden Abend kommt er mit einer Alkoholfahne nach Hause. Als Buße für sein Verhalten gegenüber dem Kollegen muss er nun Streifendienst machen und am Patriots Day an der Ziellinie des Marathons für Ordnung sorgen. Am MIT arbeiten derweil Doktoranden an einem Roboter, als sie von Officer Sean Collier (Jake Picking) aufgesucht werden, weil er sich in eine der Doktorandinnen verguckt hat. Das Paar Jessika Kensky (Rachel Brosnahan) und Patrick Downes (Christopher O’Shea) verbringt hingegen einen gemütlichen Abend zusammen und beschließt, am nächsten Tag zum Marathon zu gehen. Denn Patrick korrigiert nicht nur Jessikas Aussprache von „Red Sox“, sondern weiß auch genau, was man an diesem Tag in Boston macht. Der junge Chinese Meng Dun (Jimmy O. Yang) zeigt seinen Eltern stolz sein neues Auto, während sich der Polizist Jeffrey Pugliese (J.K. Simmons) auf den Weg zum Dienst in Watertown macht – und schließlich gibt es noch die Brüder Tsarnaev (Alex Wolff, Themo Melikidze), die sich Videos zum Bomben bauen beim Frühstück ansehen.

Verbunden werden diese Stränge nun durch die Bomben, die die Brüder gebaut und im Zielbereich des Marathons platziert haben, und die nachfolgenden Ereignisse. Durch den Anschlag von Marathon in Boston am 15. April starben drei Menschen und 264 wurden verletzt. Es schloss sich eine viertägige Suche nach den Tätern an, bei der der Bostoner Polizeichef Ed Davis (John Goodman), Massachusetts‘ Gouverneur Deval Patrick (Michael Beach) und der FBI-Agent Richard DesLauries (Kevin Bacon) stets zwischen Panik und Ruhe, zwischen Information und Sicherheit abwägen müssen. Hier wird der Film zunehmend zu einem police procedural, in dem Peter Berg angenehm zurückhaltend die konzentrierten Ermittlungen und das abwägende Vorgehen der Behörden inszeniert.

Die Figuren basieren überwiegend auf realen Personen – um das zu erkennen, reicht schon ein Blick auf John Goodmans Augenbrauen. Dabei setzt Peter Berg auf Nähe zum Vorbild, zudem bemüht er sich, die Täter nicht zu dämonisieren. Vielmehr zeigt er einen fehlgeleiteten älteren Bruder sowie dessen orientierungslosen jüngeren Bruder, die sich schließlich an ihrer eigenen Macht durch die Bomben berauschen. Einzig in der bis heute nicht geklärten Rolle der Frau des älteren Attentäters Tamerlan bezieht der Film klar Stellung, indem er zeigt, dass sie wusste, was die Brüder vorhaben.

Eine der wenigen fiktionalen Figuren ist Tommie Saunders, er soll als Durchschnittscop den Zuschauern als Anknüpfungspunkt dienen – aber das funktioniert leidlich, da Wahlberg auch in seiner dritten Zusammenarbeit mit Peter Berg die übliche und wenig überraschende Mischung aus Härte, Einfühlungsvermögen und rebellischem Wesen zeigt. Saunders ist nun – so wenig glaubwürdig es sein mag – an allen wesentlichen Etappen beteiligt: beim Anschlag, bei den Ermittlungen und bei der Ergreifung der Täter. Je weiter der Film jedoch voranschreitet, desto deutlicher wird, dass eine Identifikationsfigur nicht nötig gewesen wäre, da Boston ein Ensemblestück ist. Dieser Film erzählt nämlich gar nicht die Geschichte eines heroischen Einzelnen. Vielmehr sind es die Stadt und ihre Bewohner, die hier zu Helden werden. Sie haben vor Ort geholfen, die Versorgung der Verletzten und die Ermittlungen unterstützt, vor allem aber haben sie sich niemals einschüchtern lassen. „Boston Strong“ durchzieht diesen Film in jedem Bild – und Peter Berg versteht es, diese Stimmung zu vermitteln. Deshalb fallen weder die langsame, schematische Exposition, der etwas penetrante Score von Trent Reznor und Atticus Ross oder unnötige Dialogzeilen (bspw. Tommy Saunders Erzählung über den Teufel in den Augen seiner Frau) allzu störend ins Gewicht. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass es hierzulande vielleicht manchmal etwas schwer nachzuvollziehen ist, aber an diesem selbstbeschworenen Mythos Boston doch etwas sein mag. Und zieht man dann in Betracht, dass sich Bostons derzeitiger Bürgermeister Marty Walsh bereits mehrfach und sehr deutlich gegen Präsident Trump ausgesprochen und Immigranten Sicherheit in der Stadt Boston und notfalls im Rathaus selbst versprochen hat, möchte man daran glauben, dass die Menschen in Boston diesen Worten Taten folgen lassen.
 

Boston (2016)

Momentan scheint es eine Reihe von „Heldenfilmen“ aus den USA zu geben, die sich auf den „kleinen“ Mann konzentrieren, der in einer wahren Geschichte zum Helden wird – Pathos inklusive: Clint Eastwood inszeniert Tom Hanks in „Sully“ als den Piloten, der einen Absturz verhinderte, Mel Gibson setzt Andrew Garfield als bescheidenen gläubigen Soldat im Zweiten Weltkrieg in „Hacksaw Ridge“ in Szene und Peter Berg schuf erst mit „Deepwater Horizon“ ein Film über den Mut ganz normaler Amerikaner, um sich nun mit „Boston“ abermals einer Katastrophe der jüngeren Geschichte anzunehmen: dem Anschlag auf den Bostoner Marathon am „Patriots Day“ (so auch der Originaltitel) im Jahr 2013.

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