Angel – Ein Leben wie im Traum

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine Hymne an die Macht der Gefühle

Im aktuellen europäischen Kino gibt es wenige Regisseure vom Schlage eines François Ozon. Wie kaum ein zweiter versteht es der im Jahre 1967 Geborene, sich von Film zu Film neu zu erfinden und bekannten Genres und Formen des Kinos immer wieder Innovatives und Überraschendes hinzuzufügen. Von der schrillen Farce Sitcom (1998) über das ausgelassene Musical 8 Frauen (2002), von nachdenklichen Filmen wie Unter dem Sand / Sou le Sable (2000), 5x2 (2004) und Die Zeit die bleibt / Le Temps qui reste bis zu dem erotisch aufgeladenen Film Swimming Pool (2003) reicht die erstaunliche Filmographie dieses Mannes – und doch stellt diese Auflistung nur eine Auswahl des Werkes dar. Mit seinem neuen Film Angel – Ein Leben wie ein Traum / The Real Life of Angel Deverell beschreitet Ozon nun abermals neue Wege und widmet sich – geschult an Vorbildern wie Douglas Sirk – dem Melodram vor historischem Background.
England am Ende des 19. Jahrhunderts: Die junge Angelica Deverell (Romola Garai), genannt Angel, wächst in dem kleinen Städtchen Norley in einfachsten Verhältnissen auf. Doch die kleine Welt, in die sie hineingeboren wurde, ist für das Mädchen eine einzige Zumutung, der Mief der Provinz, die reale und geistige Enge und das spärliche Einkommen, das sich Angels Mutter (Jacqueline Tong) durch ihren Gemischtwarenladen verdient, die Beschränktheit ihrer Klassenkameradinnen und ihre Tante Lotti (Janine Duvitski) – all das entspricht überhaupt nicht ihren Vorstellungen von einem angenehmen Leben. Angel beginnt sich in bessere Verhältnisse hineinzuträumen und ihre Phantasien zu Papier zu bringen, doch das fällt in dem strengen Klima Norleys auf wenig Verständnis. In der jungen Frau aber ist damit der Keim zu einer Welt gepflanzt, in der sie es einmal besser haben wird. Und sie tut alles dazu, um dieses Ziel auch in der Realität zu erreichen. In ihrem Zimmer entsteht ihr erster Roman mit dem Titel Lady Irania, der ihr schließlich dank der richtigen Einschätzung des Verlegers Théo (Sam Neill) zum Durchbruch verhelfen wird. Denn Angels schwülstige Romantik trifft punktgenau den Zeitgeist und erreicht die Herzen der Leserinnen. Von nun an geht es für die Schriftstellerin steil bergauf, es folgt Buch auf Buch, und tatsächlich erfüllt sich ihr Traum, reich und berühmt zu werden. Bald schon verkehrt sie in den besten Kreisen der britischen Hauptstadt. Auf einer Gesellschaft lernt Angel Nora (Lucy Russell) und deren Bruder, den Maler Esmé (Michael Fassbender) kennen, in den sie sich unsterblich verliebt und den sie fortan bedingungslos protegiert. Als eine Villa, vor der Angel in ihrer Jugend stets träumend stand, zum Verkauf steht, erwirbt sie das Anwesen mit dem Namen „Paradise House“ und führt darin ein Leben in Prunk und großen Gefühlen. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges verändert sich das erfolgsverwöhnte Leben der Schriftstellerin drastisch, dem beruflichen Misserfolg folgen private Niederlagen und Schicksalsschläge und Angel muss erkennen, dass sie viel zu lange in einer Traumwelt gelebt hat…

Angel – Ein Leben wie ein Traum / The Real Life of Angel Deverell ist eine Erinnerung an das Kino, wie es früher, vor allem in den Zeiten eines Douglas Sirk, einmal war – prächtige Dekors, eine verschwenderische Ausstattung, überlebensgroße Emotionen. Man fühlt sich erinnert an die extrem artifizielle, schwer auszuhaltende Atmosphäre von Kubricks letztem Film Eyes Wide Shut, die Exaltiertheiten einer Sofia Coppola in Marie Antoinette, die Experimente des frühen Lars von Trier in Europa. In jeder Szene, jeder Einstellung schwingt so viel Künstlichkeit mit, dass man dieser Geschichte keine Sekunde glauben mag, dass sie nicht selbst das Produkt einer Kitschautorin vom Schlage einer Angel Deverell ist. Der Film beruht auf einem von Elizabeth Taylor (nein nicht die Filmschauspielerin, die durch Die Katze auf dem heißen Blechdach berühmt geworden ist) aus dem Jahre 1957, in dem die oft mit Jane Austen verglichene Schriftstellerin einen ebenso spöttischen wie amüsierten Blicke auf das Leben einer Kollegin wirft, die Realität und Fiktion nicht mehr auseinander halten kann und die die Handlung ihrer Kitschromane (er)leben muss. Ozon hat diese Erzählhaltung modifiziert, denn seiner Ansicht nach sei es schwer, zwei Stunden lang dem Schicksal einer Frau im Kino zu folgen, die so durch und durch unsympathisch sei wie Angel Deverell. Statt mit mildem Spott verfolgt Ozon die Geschichte seiner Protagonistin mit großer Empathie und macht zugleich deutlich, wie sehr sich Traum und Wirklichkeit, erfundene Romanhandlungen und tatsächliche Lebensführung gegenseitig bedingen und durchdringen. Dies geschieht mit teilweise enervierender, da deutlich ausgestellter Künstlichkeit – wenn etwa Rückprojektionen als solche klar kenntlich gemacht werden – und streift einige Mal den Bereich des Kitsches, zugleich aber demaskiert Ozon damit die Mechanismen, nach denen das Kino ebenso funktioniert wie Verfilmungen von Rosamunde Pilcher Romanen, anderer Trivialliteratur oder Home Storys von Boulevard-Zeitschriften. Und nicht zuletzt reflektiert Ozon in seinem Film das Dilemma und die große Gefahr eines jeden Künstlers – der Seiltanz zwischen einer überbordenden Fantasie, aus der er schöpfen muss und zugleich die Notwendigkeit, sich in diesen Träumen nicht zu verlieren. Dies sollte man nicht vergessen, denn die Dekors und prächtigen Kostüme, die schwelgerische Musik und die großen Emotionen lassen nur allzu schnell vergessen, dass Ozon bei aller Begeisterung für die glatte Oberfläche auch auf den Grund der Dinge schaut.

Angel – Ein Leben wie im Traum / The Real Life of Angel Deverell wurde von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“ ausgezeichnet.

Angel – Ein Leben wie im Traum

Im aktuellen europäischen Kino gibt es wenige Regisseure vom Schlage eines François Ozon.
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Meinungen

wolke · 13.05.2008

der film ist sehr gelungen; grenzen zwischen traum und wirklichkeit sind auch im realen Leben verschwommen ... vielleicht ein Anstoß an alle, die in zu materiellen Konzepten denken. Angel ist im Film eine wahre Künstlerin.

Jogi · 14.08.2007

Habe den Film gestern gesehen. Die Story ist leider etwas enttäuschend. Hatte mir mehr erhofft. Aber dafür wieder mal wieder eine sehr gut gespielte Hauptrolle durch Romola Garai. Sie verkörpert für mich die Rolle der Angel perfekt. Mit all ihren höhen und tiefen. Die Nebenrollen von Nora (Lucy Russell) und Theo (Sam Neill) gefallen mir gut. Auch wenn sie nicht allzuweit entwickelt werden. Der einzige der blass bleibt ist Angels Ehemann Esmé (Michael Fassbender). Von ihm hatte ich mir mehr erwartet. Der Film weißt einige Überraschungen auf. Wer gutes Charakter Kino sehen will. Sei dieser Film empfohlen. Aber es ist kein Verlust ihn nicht gesehen zuhaben.

Ben · 12.08.2007

Mochte die Ironie und die Opulenz, denke aber, dass nicht jeder damit klarkommt. Wie üppige Zitate aus großen Hollywoodmelodramen - so kommt Ozons Film daher und verstört, amüsiert, aber fasziniert auch.

kitty · 02.08.2007

ich denke der film is nur nich so gut gelaufen weil er wohl nicht gerade das trifft das die meisten menschen anspricht.is halt denk ich ein frauenfilm und nich jedermanns sache.(im warsten sinne)
ich jedenfall freu mich drauf!

gast · 02.08.2007

In diesem Fall sind sie das halt. Der Film ist grauenvoll.

@Gast2 · 31.07.2007

Seit wann sind Zuschauerzahlen ein Maßstab für Qualität?

Gast2 · 31.07.2007

Der Film ist bereits in Frankreich total gefloppt. Muß wohl seine Gründe haben.