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Ein Leprakranker und ein Waisenjunge machen sich auf die Suche nach ihren familiären Wurzeln und kommen dabei zwar ans Ziel ihrer Suche, geraten aber gelegentlich auf sentimental-naive Abwege.

Yomeddine (2018)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Gezeichnet fürs Leben

Es fällt schwer, den Blick von Beshkays Gesicht abzuwenden — mindestens genauso schwer, wie diesen Anblick auszuhalten. Das gilt zumindest für den ersten Moment. Denn Beshkays Gesicht und Hände sind deutlich von den Spuren der Lepraerkrankung gezeichnet, die ihn als Kind befiel und von der er mittlerweile geheilt ist. Dennoch: Die Narben, die die Krankheit hinterlassen hat, stigmatisieren ihn, sobald er mit Menschen außerhalb seiner gewohnten Umgebung in Berührung kommt: Er ist buchstäblich ein Aussätziger, auch wenn er immer wieder beteuert, dass er nicht mehr ansteckend sei.

Nach dem Tod seiner psychisch kranken Frau und durch die Begegnung mit deren Mutter stellt sich ihm eine Frage, die ihn bisher niemals wirklich beschäftigt hat: Wo komme ich eigentlich her? Nach drei Jahrzehnten sind die Erinnerungen an das Leben vor seiner Erkrankung verblasst und suchen ihn nur noch gelegentlich nachts in Form von Träumen heim.

Doch dann ist da noch Obama (Ahmed Abdelhafiz), der nubische Junge aus dem benachbarten Waisenhaus, der sich Beshkay immer wieder an die Fersen heftet. Auch er ist in gewisser Weise ein Außenseiter: Aufgrund seiner Abstammung ist seine Hautfarbe deutlich dunkler als die der meisten Ägypter — und daher rührt auch sein Spitzname, denn er heißt  „so wie dieser Typ im Fernsehen“ (gemeint ist natürlich US-Präsident Barack Obama). Und so machen sich die beiden eines Tages auf die Suche nach ihren Ursprüngen, eine Reise, die den beiden Außenseitern einiges abverlangt. Denn Beshkays Erscheinung sorgt immer wieder für Abscheu. Wenn er auf einer Station der Reise auf Obamas Drängen hin in das Wasser des Nils steigt, herrschen ihn Frauen an, die dort mit ihren Kindern planschen, dass er das Wasser verseuche und bringen entsetzt ihre Zöglinge in Sicherheit vor dem Mann mit dem entstellten Gesicht.

Beshkay ist solch ein Verhalten mittlerweile gewohnt — umso schöner ist es, dass er auf seiner Reise zu den Wurzeln auch Momente erleben wird, in denen dies anders ist: Da ist einerseits die Zuneigung von Obama, andererseits gibt es aber auch immer wieder Momente (zum Beispiel im Zusammentreffen mit anderen „Freaks“, wie sie sich aufgrund ihrer körperlichen Behinderungen bezeichnen), in denen die Möglichkeit eines anderen, eines besseren Lebens zumindest möglich erscheint. Und dann gibt es noch die Hoffnung, dass ihm eines Tages jenseits des irdischen Lebens Gerechtigkeit widerfahren wird, dies zumindest deutet Rayes an, der Beshkay in einer Szene sagt, dass zu Yomeddine (dem Tag des jüngsten Gerichts) alle Menschen gleich sein werden.

A.B. Shawkys Spielfilmdebüt Yomeddine besticht vor allem durch seinen unbefangenen, manchmal leicht naiven Blick in die Gesichter seiner beiden wundervollen Hauptdarsteller, die niemals zuvor in einem Film mitgespielt haben. Und allen zu sentimentalen Momenten zum Trotz (was unter anderem auch an der mitunter etwas zu prononcierten Filmmusik liegt) ist er ein zutiefst humanistischer Film über zwei Außenseiter, die nach ihrem Platz im Leben suchen, nach Mitmenschlichkeit, Mitgefühl, vielleicht sogar Liebe und Zuneigung, und die am Ende feststellen werden, dass sie das, was sie suchen, womöglich längst haben — in der Begegnung miteinander und dem Band, das die Reise zwischen ihnen geschmiedet hat.

 

Yomeddine (2018)

Ein koptischer Aussätziger und  sein verwaister Schüler verlassen zum ersten Mal die Lepra-Kolonie und machen sich auf eine Reise durch Ägypten auf der Suche nach ihren Angehörigen.

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