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In „Un métier sérieux“ wirft Thomas Lilti einen Blick auf das französische Schulsystem und die Menschen, die darin tätig ist.

Un métier sérieux (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Leave them kids alone?

Der 1976 geborene Regisseur Thomas Lilti hat Medizin studiert und konnte praktische Erfahrungen als Arzt sammeln, die er in seinen bisherigen Werken verarbeitete. So konfrontierte er in „Hippokrates und ich“ (2014) Vincent Lacoste in der Rolle eines Assistenzarztes mit dem aufreibenden Alltag in einem Pariser Krankenhaus, während sich François Cluzet als „Der Landarzt von Chaussy“ (2016) mit Fällen in der Provinz befassen musste und Louise Bourgoin in der 2018 gestarteten Serie „Hippocrate“ als angehende Medizinerin die Herausforderungen in einem auf unbestimmte Zeit unter Quarantäne stehenden Krankenhaus bewältigen musste.

In Liltis neuem Film Un métier sérieux kehren die Stars Lacoste, Cluzet und Bourgoin zurück. Ersterer schlüpft gar abermals in die Figur, die er in Hippokrates und ich verkörpert hat (beziehungsweise in eine offenbar nicht exakt deckungsgleiche Variante dieses Parts). Der Protagonist Benjamin Barrois ist inzwischen Doktorand; ihm fehlt allerdings ein Stipendium. Also nimmt er kurzerhand eine Stelle als Aushilfslehrer für Mathematik an. Wie schwer kann es schon sein, ein paar Kids ein bisschen Grundwissen über Zahlen und Formeln zu vermitteln, denkt sich der junge Mann – und stößt doch rasch an seine Grenzen, was vor allem an der vorlauten und demotivierten Art der Schüler:innen liegt.

Direkt an seinem ersten Arbeitstag wird er vor der gesamten Klasse von seinem älteren Kollegen Pierre (Cluzet) für einen Praktikanten gehalten – wahrlich fatal für die Autorität, die Benjamin gerade erst aufzubauen versucht. Zu einem ernsthaften Konflikt kommt es wiederum, als Benjamin den renitenten Teenager Enzo (Bilel Souidi) für dessen Fehlverhalten zur Rechenschaft zieht – und dieser ihm später aus Zorn zu Hause auflauert. Benjamin wehrt sich gegen die einschüchternde Geste des Schülers, was prompt zu einem Disziplinarverfahren führt.

Auf beinahe dokumentarische Weise fangen Lilti und sein Kameramann Antoine Héberlé das oft hektische Treiben an der Schule ein. Zwar beginnt der Film mit Archivaufnahmen (zum Teil in Schwarz-Weiß), in denen schulische Situationen zu sehen sind und die mit dem Sixties-Song Wonderful World von Sam Cooke unterlegt werden – doch alles, was darauf folgt, ist keineswegs nostalgisch gefärbt oder romantisiert. Überall glühen diverse Konfliktherde. Zum Großbrand in Form einer dramatischen Zuspitzung lässt es Lilti, der auch das Drehbuch schrieb, indes nicht kommen.

Neben Benjamin, der sich selbst als ziemlich orientierungslos wahrnimmt, und Pierre, der mit Eheproblemen zu kämpfen hat, lernen wir aus dem Kollegium unter anderem die resolute Meriem (Adèle Exarchopoulos) kennen, die sich das Sorgerecht für ihr kleines Kind mit ihrem Ex-Freund teilt. Während Sophie (Lucie Zhang) mit ihrem Partner kürzlich erstmals Nachwuchs bekommen hat, ist Sandrine (Bourgoin) alleinerziehende Mutter eines 16-jährigen Sohns (Eliott Daurat), der ihr mit seinen Aggressionen Kummer bereitet. Und dann ist da noch das Sport-Duo Alix (Léo Chalié) und Sofiane (Théo Navarro-Mussy), das sich zueinander hingezogen zu fühlen scheint, obwohl Alix liiert ist. Der Schuldirektor Monsieur Baderos (Mustapha Abourachid) versucht derweil, alles leidlich zusammenzuhalten.

Wenn wir miterleben, wie sich die Lehrer:innen als Fahrgemeinschaft durch die Landschaft bewegen (falls Pierres Wagen nicht gerade wieder den Geist aufgibt), wie sie in der Kantine oder bei einem privaten Spieleabend energisch diskutieren, während gegessen, getrunken und geraucht wird, oder wenn sie sich bemühen, ihren Unterricht möglichst kreativ zu gestalten, dann entstehen dabei sehr authentisch anmutende Szenen eines Slice-of-Life-Movies.

Eher banale Momente, etwa wenn es um die Liebeleien unter Kolleg:innen geht, stehen intensiven Augenblicken an der Schwelle zum Nervenzusammenbruch gekonnt gegenüber. Das Ensemble trägt die umherschweifende Handlung durchweg versiert; insbesondere Louise Bourgoin agiert eindrücklich. Irgendwann geht das Schuljahr dann zu Ende – und ein neues beginnt.

Gesehen beim Internationalen Filmfestival von San Sebastián.

Un métier sérieux (2023)

Ein neues Schuljahr beginnt und die engagierten Lehrer Pierre, Meriem, Fouad, Sophie, Sandrine, Alix und Sofiane treffen sich wieder. Hinzu kommt Benjamin, ein junger, unerfahrener Vertretungslehrer, der schnell mit den Tücken des Berufs konfrontiert wird. Im Kontakt mit ihnen entdeckt er, wie lebendig die Leidenschaft für das Unterrichten in einer geschwächten Institution ist.

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