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Der neue Film der „Lord of the Toys“-Regisseure porträtiert den Schauspieler, Sex-Arbeiter und Politiker Marcel Goldammer — und lässt erneut bewusst Leerstellen in der Erzählung.

Goldhammer (2023)

Eine Filmkritik von Anke Zeitz

Von der Methode, sich neu zu erfinden

Schauspieler, schwuler Sex-Arbeiter und Politiker – Marcel Goldammer, Jahrgang 1987, hat in seinem Leben schon viele Jobs, Karrieren und Identitäten durchlaufen. Da stellt sich natürlich die Frage: Wie tickt der Mann, der in einer kleinen rheinland-pfälzischen Gemeinde aufwuchs und nun offen schwul als zum Judentum Konvertierter und Mitglied der AfD in Berlin lebt? Für die Filmemacher André Krummel und Pablo Ben Yakov, die Goldammer – der mittlerweile seinen Namen in den titelgebenden „Goldhammer“ umgeändert hat – über ein halbes Jahrzehnt begleitet haben, ist genau dieses Hinterfragen von Goldammers Persönlichkeit nicht zentral. Ihr Film ist ein zwischen der Lust zur Inszenierung und dem Mut der ungeschminkten Bilder umherwechselndes Porträt einer narzisstischen, unsicheren und zwiegespaltenen Persönlichkeit.

Schon in ihrem ersten Dokumentarfilm Lord of the Toys loteten Krummel und Ben Yakov die Grenzen des dokumentarischen Erzählens aus, indem sie den rechten Influencer Max Herzberg und seine Entourage in ihrem Hang zur Selbstinszenierung begleiten und bis zur Schmerzgrenze das narzisstische Zerrbild auf die Leinwand projizieren. Auch Goldammer ist ein Selbstdarsteller, immer auf der Suche nach dem entscheidenden „Spotlight“, in dem er selbst am hellsten strahlen kann. Die Kamera von Krummel wird im Film zu einer Art Spielzeug für Goldammer– was stellenweise die Frage aufkommen lässt, ob nicht der Film selbst von Goldammer für seine Zwecke ausgenutzt wird. Denn der junge Mann ist sich seiner charismatischen Wirkung durchaus bewusst und lässt sich nur allzu gerne begleiten – ob als schwuler Callboy, bei seinen Versuchen, einen Dokumentarfilm in seiner Wahlheimat Israel zu drehen, oder bei seinen kurzen Besuchen bei seiner Familie. Gerade die Sequenzen zuhause lassen spüren, wie sehr sich Goldammer von seinen Wurzeln losgelöst hat, dazu merkt man das Fremdeln der Familie mit dem Weg, den der Sohn und Enkel eingeschlagen hat. Doch, so stellt die Mutter fest, am Ende müsse ja jeder seinen eigenen Weg gehen.

Die Macher des Films haben in einem Interview im Rahmen seiner Premiere auf dem diesjährigen Max-Ophüls-Festival zugegeben, dass sie selbst nicht ahnen konnten, wohin ihr Film sich bewege. Und in der Tat ist es eine Reise voller Überraschungen, auf die sich auch die Zuschauenden begeben. So wie sich Goldammer verändert, so ändert der Film auch den Einsatz der Stilmittel. Am Anfang dominieren verspielte, schnell geschnittene, clipartige Sequenzen, bunte und grelle Farben, das Leben eines Selbstdarstellers als ewige Party. Doch ab einem gewissen Punkt kippt die Stimmung. Der Lebenspartner, der Goldammers ausschweifendes Leben in Berlin und Israel finanziert, hinterfragt (im Off am Telefon, zu sehen ist er nicht) die Ausgaben des „Playboys“ und distanziert sich letzten Endes von ihm. Und ganz plötzlich, wenn man sich fragt, wo diese Influencer-Leere denn hinführen soll, schlägt Goldammer eine Karriererichtung ein, die sich bis dahin in keiner Weise angedeutet hat: Er geht in die Politik und sucht seinen Halt bei der Partei, die sich selbst als Alternative bezeichnet, die scheinbar „Ungehörte“ aufnimmt und sie für die Verbreitung ihrer demokratiefeindlichen Botschaften instrumentalisiert.

Krummel und Ben Yakov gelingen nun Bilder, die eine unbeholfene und orientierungslose Persönlichkeit offenlegen: Goldammer bei einem Fototermin neben Beatrix von Storch, Goldammer beim Verfassen einer worthülsenhaften Rede für einen Parteitag – und während eines Telefonats mit seiner Mutter an Silvester, allein im großen Berliner Loft, die stärkste Einzelsequenz des Films: Die Mutter macht sich Sorgen um ihren Sohn, den sie nicht wiedererkenne. Doch ihre Vorwürfe, dass er voller Hass sei, wischt er beiseite, beteuert die „Menschen zu lieben“. Das Gespräch ist intim und persönlich, lässt Goldammer verletzlich erscheinen und wirft Fragen auf, die man als Zuschauende und Zuschauender nicht beantworten kann – und vielleicht auch nicht soll.

Goldhammer lässt bewusst Leerstellen in der Erzählung und verdeutlicht die Vorgehensweise von Krummel und Ben Yakov als Dokumentarfilmemacher. Wie schon in Lord of the Toys hinterfragen sie nicht, sie begleiten. Ihre Inszenierung ist dabei immer auch Spiegelbild einer Selbstinszenierung. Die große Gefahr einer solchen Vorgehensweise besteht darin, dass eine klare kritische Haltung und eine Einordnung der Geschehnisse für die Zuschauenden fehlen. Der Vorwurf hat definitiv Berechtigung, denn natürlich kann der Eindruck entstehen, dass Marcel Goldammers Verhalten richtig und vielleicht ja auch der politische Weg, den er einschlägt, voll okay ist. Auch wirken einige Schnittbilder – wie der permanente Drogenkonsum, dessen Nebenbei-Selbstverständlichkeit am Anfang noch verblüfft, dann aber ermüdet – etwas zu redundant, um abschreckend schockierende Akzente zu setzen.

Und doch inszeniert Goldhammer seinen Protagonisten nie als Helden. Lässt man sich auf die Einladung des Films ein, das Gesehene selbständig einzuordnen, funktioniert Goldhammer als entlarvendes Porträt einer Influencer-Generation, die vor lauter schönem Schein das Sein ganz vergisst. Und wenn am Ende des Films der leere Liegestuhl auf der Sonnenterrasse gezeigt wird, auf dem sich Goldammer zuvor lasziv-bräsig selbst inszeniert hat, dann ist das ein treffendes Bild für die innere Leere eines Menschen, der in der permanenten Neu-Erfindung der eigenen Persönlichkeit dieselbe zu verlieren droht.

Goldhammer (2023)

Ein Millennial auf dem Weg zum rechten Populisten. Marcel Goldammer, schwuler Sex-Arbeiter im Ruhestand, will in die Politik. Nicht nur aus Überzeugung, sondern weil es geht. Sein Leben allerdings ist weniger heimatverbunden als weltbürgerlich. Als zum Judentum konvertierter Israeli lebt er in Tel Aviv und Berlin und ist mit einem jungen, reichen Shanghaier liiert, der Marcels ausschweifenden Lebensstil ermöglicht. Eine Biographie, die widersprüchlicher kaum sein könnte – und genau deshalb perfekt in unsere Zeit zu passen scheint. (Quelle: Filmfestival Max Ophüls Preis 2023)

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