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Du hast keine Chance, also nutze sie — nach diesem (Erzähl-)Prinzip erzählt der Schauspieler Jack Huston in seinem stilsicheren, aber keineswegs perfekten Regiedebüt von einem alternden Boxer und dessen letztem Kampf.

Day of the Fight (2023)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das Herz (und der Kopf) eines Boxers

Er trägt einen großen Namen — und damit auch eine mindestens ebenso große Bürde. Der 1982 in London geborene Jack Huston ist der Enkel des Hollywood-Regietitans John Huston und trat bislang vor allem als Schauspieler in Erscheinung (unter anderem in der Serie Boardwalk Empire“, aber auch in Filmen wie „American Hustle“, „Ben-Hur“ und „House of Gucci“). Mit „Day of the Fight“, basierend auf dem gleichnamigen Kurzfilm einer anderen Regielegende namens Stanley Kubrick aus dem Jahre 1951, legt er nun sein Regiedebüt vor und kann dort gleichfalls mit bekannten Namen auf sich aufmerksam machen: Neben Michael Pitt in der Hauptrolle treten unter anderem Ron Perlman, Steve Buscemi und sogar der sich eigentlich im Ruhestand befindende Joe Pesci auf, der zudem als Produzent und Interpret eines Songs weiters zum Gelingen des Films beiträgt.

Eine illustre Runde also für ein Erstlingswerk, das seine Weltpremiere beim Filmfestival in Venedig in der Reihe Orrizonti (außer Konkurrenz) feierte. Nun bekommt der Film seine Deutschlandpremiere als Opener des Filmfestivals Mannheim-Heidelberg, und das passt insofern ausgezeichnet, da dies die diesjährige Retrospektive dem Method Acting widmet — und nicht nur Martin Scorseses Boxerdrama Wie ein wilder Stier gilt ja als Paradebeispiel des völligen Aufgehens eines Schauspielers wie Robert De Niro in den Erfordernissen einer (Boxer-)Rolle.

Der Vergleich zwischen De Niro und Michael Pitt drängt sich förmlich auf. Das oft ein wenig teigig wirkende Gesicht des Letzteren ist bereits in den ersten Szenen von Day of the Fight kaum wiederzuerkennen — hager und ausgezehrt, mit tiefen Furchen und Kanten ist dieser „Irish“ Mickey Flannigan deutlich als Mann erkennbar, dem nicht nur das Boxen, sondern auch das Leben hart zugesetzt haben. 

In melancholischen Schwarzweiß-Bildern, die den Film der Gegenwart entheben, ihn in einem niemals näher definierten Damals verorten, und einem ebensolchen Soundtrack, der sich überwiegend elegischer Moll-Töne bedient, erzählt Huston von einem einzigen Tag im Leben dieses gebrochenen Protagonisten, dessen ganzes Drama sich erst nach und nach und mit blitzlichtartigen Flashbacks enthüllt.

Am Ende des Tages steht ein Kampf, es soll Mickeys letzter sein, denn eigentlich hat ihm sein Arzt seine Profession strengstens verboten. Ein Aneurysma im Kopf ist das Damokles-Schwert, das über seinem Haupt baumelt, und jeder Treffer am Schädel kann diese Ausstülpung eines Blutgefäßes zum Platzen bringen. Doch Mikey muss erst noch alles in Ordnung bringen, was er im Laufe seiner Karriere vermasselt hat. Eine waghalsige Wette auf den eigenen Sieg soll zudem die ersehnte finanzielle Sicherheit seiner Ex-Frau (Nicolette Robinson) und seiner Tochter sichern. 

Und so begleitet die Kamera an diesem schicksalhaften Tag Mickey durch die herbstlich-tristen Straßen Brooklyns, auf der Suche nach Erlösung, Vergebung und Befreiung. Doch ob er diese finden wird, ist lange Zeit mindestens so ungewiss wie der Ausgang des furios inszenierten Kampfes, bei der die Kamera selbst zum Kombattanten wird, der die schnellen Geraden und Aufwärtshaken der Fighter gelten.

Zuvor aber sucht Mickey Freunde und Weggefährten wie seinen Trainer (Ron Perlman), winkt seiner Tochter, zu der er keinen direkten Kontakt mehr hat, der wir als Zuschauer*innen aber vorher in kleinen Rückblenden mehrmals begegnet sind, aus der Ferne zu, schaut bei einem Freund aus Schulzeiten vorbei, der jetzt Priester geworden ist, versetzt den Ehering seiner Mutter, um so genügend Geld für ein Spiel mit hohem Einsatz zu haben. Es ist eine auf den ersten Blick ziellos wirkende Odyssee durch ein heruntergekommenes New York, eine Stadt der Loser und kleinen Leute, die sich — auf andere Weise zwar, als Mickey dies tut — durchboxen müssen, denen zum Leben und Überleben nicht viel bleibt.

Immer wieder gelingen Huston dabei berührende Momente, so etwa, wenn Mickeys dementer Vater (Joe Pesci) verzweifelt versucht, ein Wort herauszubringen und wir diesem später als imaginiertem Taxifahrer wiederbegegnen. Und auch eine Gesangsszene, wenn Mickeys Ex-Frau als Barsängerin eine hinreißende Version von CCRs Have you ever seen the rain ins Mikrofon einer Bar haucht, was kontrastiert wird zum Einlaufen der Kämpfer in den Ring des Madison Square Garden, rührt nicht nur die Interpretin selbst zu Tränen. 

Bisweilen vertraut Huston allerdings zu wenig in die Aufmerksamkeit des Publikums und dreht eine erklärende Volte zu viel, um die Gefahren von Mickeys riskantem Spiel in Erinnerung zu rufen, und auch die Musik forciert nicht immer an den richtigen Stellen. Insgesamt aber ist Day of the Fight auch dank einer exzellenten Besetzung ein gelungenes Debüt und ein Boxerfilm, der zwar nicht an die Klassiker des Subgenres heranreicht, sich aber tief vor diesen verbeugt.

Day of the Fight (2023)

In „Day of the Fight“ zeichnet Jack Huston in kraftvollen Schwarz-Weiß-Bildern das Portrait des ehemals gefeierten Boxers Mikey, der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis zu seinem Comeback antritt. Doch nur Mikey weiß, dass sein Leben bei diesem Kampf auf dem Spiel steht. (Quelle: IFFMH 2023)

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