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Video on Demand: Couch-Perle: Born in Flames

Ein Beitrag von Simon Stockinger

Lizzie Bordens radikale und witzige Punk-Mockumentary feiert 40. Geburtstag. Das Werk hat hinsichtlich seiner DIY-Ästhetik und seines spöttischen Humors nichts an Charme verloren; und bezüglich seiner politischen Dringlichkeit nichts an Gültigkeit eingebüßt.

Salzgeber
Born in Flames

Im Jahr 1983 herrscht in New York bereits seit zehn Jahren eine „sozialistische Demokratie“. Diese konnte nach Beendigung eines Bürgerkrieges errichtet werden und hat sich seither etabliert. Aber es brodelt im fiktiven Utopia. Denn die vormaligen Kämpfer*innen sind nun zum Establishment geworden, ihre 70er-Jahre-Slogans zu nostalgischen Stehsätzen versteinert, dauerwiederholt von einer staatsnahen Presse (darunter Kathryn Bigelow als Redakteurin!) und arroganten Wohlfühl-Apparatschiks. Der Bezug zu den aktuellen Kämpfen und Widersprüchen ist diesem sozialdemokratischen Establishment verloren gegangen bzw. – wie sich zeigen wird – ist es von der Macht längst korrumpiert.

Widerstand dagegen formiert sich einerseits durch die von Schwarzen und lesbischen Frauen dominierte „Womans Army“, die gegen Übergriffe und Alltagssexismus aufsteht und um die Gründerin Adelaide Norris (Jean Satterfield) als zentrale Figur organisiert ist. Andererseits durch zwei aktivistische Radiosender: „Radio Ragazza“ mit seiner radikalen Moderatorin Isabel (Adele Bertei) und „Phoenix Radio“ mit der ruhigeren Honey (Honey) als zentrale Stimme. Norris sucht Kontakt zu Rebellinnengruppen im Ausland und wird nach ihrer Rückkehr verhaftet. Nachdem sie in Polizeigewahrsam ums Leben kommt und sich herausstellt, dass es sich um ein Attentat handeln könnte, das als Suizid getarnt wurde, finden die Aktivistinnen im Kampf gegen den post-revolutionären Staat langsam zusammen.

Lizzie Bordens Punk-Mockumentary Born in Flames ist eine rebellische Utopie, die zuerst gegen die Gesetze der eigenen Gattung rebelliert: Utopia liegt hier weder in der Zukunft noch auf einer abgelegenen Insel (wie in Thomas Morus‘ Urstoff), sondern in der Vergangenheit. Zumindest ihr Startpunkt. Denn die sozialistische Demokratie ist seit ihrer Erringung im Jahr 1973 ein voranschreitender Prozess. Born in Flames ist also eine emanzipatorische Fake-Historie, in der die Aufbruchstimmung der 1970er Jahre tatsächlich in eine linke gesellschaftliche Transformation geführt hat und nicht in einer neoliberalen Konterrevolution erstickt wurde (Thatcher + Reagan + „New Labour“ + etc.). Mit ihrem Film beschwörte Borden bereits vor 40 Jahren jenes Gespenst, das den Kulturtheoretiker Mark Fisher in seinem letzten Text Acid Communism (2017) umtreiben wird: die Heimsuchung der ausgebliebenen Befreiung.

 

Aber diese Befreiung läutet in Bordens vibrierender DIY-Vision noch längst kein sozialistisches „Ende der Geschichte“ (Fukuyama) ein. Ganz im Gegenteil wirkt es beinahe so, als wollte sie diesen Slogan, der erst nach dem Ende der Blockkonfrontation so berühmt wird, schon vor seiner Existenz persiflieren. Die punkige Counter-Culture-Positionierung wendet sich damit nicht nur gegen das heraufdämmernde liberale Phantasma von einem endgültigen Marktfrieden, sondern bezieht auch eine notwendige linke Selbstkritik mit ein. Und zwar in Form eines verspielten Angriffs auf die autoritär verordneten Heilsversprechen orthodox-marxistischer Prägung. Dem entgegen zeichnet Born in Flames ein Bild von Emanzipation als Praxis, als voranschreitender Kampf. Und dieser Kampf ist natürlich all das, was auch große Teile der realen Linken in ihrer Klassenkampf-Saturiertheit so lange vergessen haben: antisexistisch, antirassistisch und mit Raum für einen Pluralismus an Begehrens- und Lebensformen. Man könnte den Film als popkulturelle Vorwegnahme des intersektionalen Feminismus bezeichnen; eine Feier der transformativen Intervention und der gelebten Politik ist er jedenfalls. 

Dabei ist weder Pathos noch eine ideologisch kohärente Message zentral, sondern das Spielerische und Experimentelle – wild, ergebnisoffen und voller Musik. Gerade damit ist Bordens kinematographischer Punk eine Rebellion gegen den Neoliberalismus, den man dem bereits erwähnten Mark Fisher zufolge am besten als ein Projekt begreift, das „das Ziel hatte, die demokratisch-sozialistischen und libertär-kommunistischen Experimente zu zerstören, die Ende der sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre aufgeblüht sind“. Eine Wiedersichtung führt heute schmerzhaft vor Augen, wie sehr das Spielerische inzwischen im Rahmen einer Gamifizierung aller Lebensbereiche entpolitisiert wurde – so weit, dass das soziale Experiment unter den Vorzeichen ergebnisoffener emanzipatorischer Praxis kaum noch vorstellbar scheint oder eben schnell ins ästhetische Register kommodifizierter (Selbst-)Optimierungs-Tools kippt. Diese Weiterentwicklung des Neoliberalismus war 1983 noch nicht absehbar. 

Born in Flames ist im Queer Cinema Channel bei Amazon Prime Video verfügbar.