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Empfehlungen: Alte Filme, alte Liebe - Die Filmbuchkolumne Juni 2021

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Unsere Buchkolumnistin Sonja Hartl präsentiert eine Handvoll lesenswerte Bücher mit Filmbezug.

Vor ungefähr drei Jahren befiel mich eine gewisse Filmmüdigkeit, die mich – einmal diagnostiziert – sehr beschäftigt hat. Filme waren immer meine Leidenschaft, meine erste große Liebe, aber irgendwann, irgendwo ist sie kleiner geworden und ich hatte Angst, dass sie verschwindet. Also nahm ich einige Anpassungen vor: Ich schaute weniger Filme, beschäftigte mich mit anderen Themen und hoffte, diese Pause würde mir guttun. Tatsächlich habe ich dann erkannt, dass es nicht der Film ist, der mich müde macht. Es ist die Filmindustrie, die Branche, es sind die Arbeitsbedingungen, dieser Aktualitäts-Neustart-Druck, das ständige Gefühl, nie alle Filme gesehen zu haben, die ich gesehen haben sollte. Also griff ich vermehrt auf das zurück, was diese Liebe zu Filmen erst hat entstehen lassen: (vor allem Hollywood)-Filme der 1930er bis 1950er Jahre – oder wie ich es kategorisiere: Filme mit Männern mit Hüten.

Davon konnten die Planer der Berlinale-Retrospektive natürlich nichts wissen. Aber als ich dann las, dass es bei der Berlinale 2021 um Mae West, Rosalind Russell und Carole Lombard gehen sollte, hatte ich zwei Gedanken: Das ist wie für mich gemacht. Aber wie passen diese drei Schauspielerinnen zusammen? Bekanntermaßen fand die Berlinale dann Anfang März als Fach-Event statt, gerade läuft in Berliner Open-Air-Kinos die Sommer-Berlinale. Aus der Retrospektive wird nur ein Film (I’m No Angel) gezeigt, sie wurde auf 2022 verschoben. Das Begleitbuch von Rainer Rother ist dennoch bereits erschienen – und es liefert nicht nur auf meine Frage eine erste Antwort. Auf rund 160 Seiten gibt diese zweisprachige Ausgabe in drei Essays eine fundierte, gute und anregende Einführung in das Schaffen dieser drei so unterschiedlichen Schauspielerinnen, die alle wichtiger Teil der Hollywood-Filmgeschichte sind.

Mae West in ›I’m No Angel‹, USA 1933, Regie: Wesley Ruggles (c) Deutsche Kinemathek, courtesy of Universal Studios Licensing, LLC

Rother zeichnet nach, wie Mae West immer wieder die Grenzen auslotete und den Hollywood Production Code unterlief. Sie spielte nicht nur Rollen, sie war eine Persona, die auf Provokation setzte, aber stets zu ihren eigenen Bedingungen. Deshalb schuf das Hollywood-System kein Image für sie, sie hatte es schon selbst erschaffen. „Sie musste nur noch besetzt, nicht mehr erfunden werden“, formuliert Rother. Die Kunstfigur Mae West war ein Star – und mit ihrer lasziv ausgestellten Art von Weiblichkeit hinterfragte sie zugleich Vorstellungen von weiblicher Identität.

Rosalind Russell in ›Take a Letter, Darling‹ USA 1942, Regie: Mitchell Leisen (c) British Film Institute, courtesy of Universal Studios Licensing, LLC

Dagegen galt Rosalind Russell als die Nicht-Glamouröse, die Bodenständige. Sie spielte oft Karrierefrauen und durch ihre Rollen zeigte sich die reale Ungleichheit auf der Leinwand. Ihre Figuren zweifeln, „dass sie als Profi und Frau die gleiche und angemessene Akzeptanz erfahren.“ Gespielt werden sie von Russell oftmals mit expressiven Blicken und viel körperbetonter Komik. Gerade dieser Einsatz der Körperlichkeit unterscheidet sie zu dem von West und Lombard. „Russells Hände sind in permanenter Bewegung – ein Pendant zum Redeschwall der Screwball-Komödien.“

Carole Lombard in ›Mr. &  Mrs. Smith‹ USA 1941, Regie: Alfred Hitchcock (c) Deutsche Kinemathek

Carole Lombard verkörperte Eleganz und Glamour, ihre Figuren sollen häufig bestimmte Klischees, bestimmte Schemata bedienen. Durch ihre Spielweise setzt sie ihnen etwas entgegen – auch hier ist es ein betontes Spielen. Gerade in den Komödien, so Rother, grimassiert sie „verblüffend“ oft. Dabei ermöglichte ihr ihre differenzierte Spielweise zwar nicht, den typisierten Besetzungen zu entgehen, aber sie versuchte alle Gelegenheiten zu nutzen, die die Drehbücher ihr boten, diesen Klischees etwas entgegenzusetzen.

„No Angels“ (c) edition text+kritik

Deshalb plädiert Rainer Rother in seinem Buch dafür, dass sich die Darstellungen von Mae West, Rosalind Russell und Carole Lombard „gegen all die Schemata fabrikmäßiger Hollywood-Produktionen“ behaupteten und liefert überzeugende Analysen und Argumente. No Angels hat mir große Lust gemacht, mich mit dem Schaffen und diesen Schauspielerinnen noch näher zu beschäftigen. Und ich freue mich schon darauf, seine These im nächsten Jahr bei der Berlinale zu überprüfen. Im Kino.

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell, Carole Lombard. Edition text + kritik 2021. 162 Seiten. 15 Euro.

Bloomsbury UK
M von Anton Kaes

Klassiker-Beschäftigung

Vor 20 Jahren hat sich der Filmhistoriker Anton Kaes in der Reihe BFI Film Classics mit Fritz Langs M beschäftigt, der wiederum vor 90 Jahren im Mai 1931 in Berlin uraufgeführt wurde. Nun ist in dieser Reihe eine überarbeitete Neuausgabe erschienen, in der noch einmal sehr deutlich wird, warum M fraglos einer der großen Klassiker des (deutschsprachigen) Kinos ist.

Anton Kaes: M. British Film Institute 2021. 112 Seiten. ca. 14,77 Euro.

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