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Bücher: Von #MeToo bis zum Blockbuster-Kino - Buchempfehlungen für den Filmherbst

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Das Gute am Ende des Sommers ist ja, dass nun wieder mehr Zeit bleibt für das Kino und das Lesen. Und deshalb hat sich Sonja Hartl in die Novitäten versenkt und einige Lektüretipps für die länger werdenden Abendstunden — darunter auch eine antiquarische Kostbarkeit

Dass Drehbuchautoren nicht lesen, ist nur eine bedenkenswerte Idee in Nicholas Rays „In a lonely place“. Dort bekommt Drehbuchautor Dix Steele – gespielt von Humphrey Bogart – das Angebot, das populäre Buch Althea Bruce zu adaptieren. Doch er will es nicht lesen, im Gegensatz zu der Garderobiere Mildred Atkinson (Martha Stewart), die es gerade begeistert beendet hat. Also lädt er sie zu sich nach Hause ein, sie soll ihm erzählen, wovon das Buch handelt. 

Welche Absichten er wirklich damit verfolgt, bleibt unklar. Noch kurz zuvor war in einer Begegnung mit seiner Ex-Freundin Frances Rudolph (Alice Talton) lesen ein Code für Sex: „Remember how I used to read to you?“, fragt sie ihn. „Since then I have learned to read myself“, antwortet Dix. Benutzt er das Buch als Vorwand, um Sex mit Mildred zu haben? Oder will er sich tatsächlich nur die Lektüre sparen?

 

Das ist der erste spannende Moment in Nicholas Rays freien Adaption von Dorothy B. Hughes gleichnamigen Roman. In seiner Wohnung bietet Dix Mildred einen Drink an, zieht sich einen Bademantel an – was spätestens seit Harvey Weinstein ein ungutes Gefühl erzeugt – und behauptet, er habe es gerne bequem, wenn er arbeite. Es ist ein widersprüchliches Verhalten, das zwischen Arroganz und Desinteresse schwankt. Was immer er auch vorhatte, in dem Moment, in dem er seine Nachbarin von gegenüber erblickt, schwindet sein Interesse. Nachdem sie das Buch zusammengefasst hat, schickt er sie mit einem Taxi nach Hause. Am nächsten Morgen wird er von seinem alten Polizistenkumpel geweckt: Mildred wurde in der Nacht ermordet, er ist einer der zwei Hauptverdächtigen. Entlasten kann ihn die Nachbarin von gegenüber: Laurel Gray (Gloria Grahame) hat gesehen, wie Mildred seine Wohnung verlassen hat. Doch Zweifel an Dix‘ Unschuld bleiben. 

 

Schon in der Romanvorlage ist Dix eine faszinierende Figur: Bei Dorothy B. Hughes ist der Kriegsveteran ein Hochstapler, der sich einen monatlichen Unterhalt von seinem Onkel erschwindelt hat und in Los Angeles nach einem guten Leben sucht. Nach den ersten Seiten ist klar, dass er außerdem ein Frauenmörder ist – die Taten finden indes zwischen den Kapiteln statt. Aber die Erzählperspektive bleibt bei ihm, blickt in seinen Kopf und offenbart einen Mann, der sich beständig benachteiligt fühlt, mit den gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zurechtkommt und alle Frauen für Betrügerinnen, Lügnerinnen und Huren hält. 

Nicholas Rays Dix Steele ist ebenfalls ein Kriegsveteran, als Drehbuchautor hatte er seine Glanzzeit vor dem Krieg und die Frauen mögen ihn, er aber legt ein zynisches Verhalten gegenüber allen Menschen an Tag. Er trinkt und lässt keine Gelegenheit aus, jemanden zu verprügeln. Im Gegensatz zu dem Hughes‘ Steele, der sich stets kontrolliert zu verhalten versucht. Es sind diese Gewaltausbrüche, die im Film die Zweifel an seiner Unschuld schüren. Dazu kommen irritierende Ideen, so lässt er weiße Rosen an die ermordete Mildred schicken. Und seine neue Freundin Laurel – die Nachbarin, die ihm ein Alibi gab – bekommt zunehmend Angst vor ihm.

Es gibt viele Abweichungen zwischen dem Roman und dem Film – Beruf der Hauptfigur, die Rolle der Frauen in den Ermittlungen und vor allem des Endes. Dorothy B. Hughes zu Unrecht viel zu unbekannter Roman spielt mit den typischen Figuren des Noir und macht sehr deutlich, dass Trauma und (toxische) Maskulinität zu sexueller Gewalt führen. Nicholas Rays Adaption zeichnet ebenfalls ein kritisches Männlichkeitsbild: Dix‘ Maskulinität wird vor allem durch sein zerstörerisches Verhalten dargestellt. Zugleich aber findet der Film immer wieder Entschuldigen für dieses Verhalten, Entschuldigen, die noch heute allenthalben angeführt werden: Er sei nun einmal ein sehr guter Autor, deshalb verzeiht ihm sein Agent seine Ausraster immer wieder – inklusive eines Schlags in sein Gesicht. Das Werk ist also nicht immer vom Leben zu trennen, sondern gerne auch ein Rechtfertigungsgrund für schlechtes Verhalten. 

 

Dix‘ Agent ist es auch, der zu Laurel sagt, sie müsste seine Gewaltausbrüche hinnehmen, weil seine guten Seiten nicht ohne die schlechten zu haben seien. Viel zu lange war das eine gesellschaftliche Auffassung, die zudem schmerzt, wenn man weiß, wie lebensklug die Laurel in Dorothy B. Hughes‘ Roman ist. Hier aber bleiben Dix und Laurel am Ende beide allein: Dix aufgrund seines Verständnisses von Männlichkeit. Doch herausgestellt wird am Ende Laurels Einsamkeit, deren einziger Fehler darin bestand, ein gewalttätiges Verhalten zu hinterfragen. 

 

Jedoch erweisen sich sowohl Dorothy B. Hughes In a lonely place als auch Nicholas Rays Adaption noch heute als hochspannende Studien zu Misogynie und Gewalt.

 

Dorothy B. Hughes: Einsamer Ort. Übersetzt von Friedrich A. Hofschuster. Unionsverlag. Nur noch antiquarisch erhältlich.

Im englischsprachigen Original gibt es eine lesenswerte Neuauflage inklusive Nachwort von Megan Abbott im Rahmen der New York Review Books

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Martin Poltrum, Bernd Rieken, Thomas Ballhausen (Hrsg.): Zocker, Drogenfreaks & Trunkenbolde. Rausch, Ekstase und Sucht in Film und Serie.

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Das verlorene Wochende von Charles R. Jackson ist eines der besten und verstörendsten Bücher über Alkoholismus, das jemals geschrieben wurde. Und Billy Wilders Verfilmung aus dem Jahr 1945 ist einer der besten und einflussreichsten Filme zum Thema Sucht. Es ist einer der Filme, der in dem Buch Zocker, Drogenfreaks und Trunkenbolde ein eigenes Kapitel analysiert wird. Dazu versammeln die Herausgeber weitere 30 Beiträge, vornehmlich mit Einzelanalysen zu weiteren Filmen, die sich mit der Darstellung von Sucht in Filmen und Serien seit über 100 Jahren beschäftigen. Sie sind thematische geordnet, es geht um Alkoholismus, Heroinsucht, Kokain und Crack, aber auch Kifferkomödien, Sexsucht und „Vampire im Blutrausch“. Dadurch bietet das Buch einen guten Einblick und guten Einstieg in das Thema „Sucht im Film“.

 

Martin Poltrum, Bernd Rieken, Thomas Ballhausen (Hrsg.): Zocker, Drogenfreaks & Trunkenbolde. Rausch, Ekstase und Sucht in Film und Serie. Springer 2019. 29,99 Euro. 

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