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Sandra sitzt hochschwanger ein: „Monster im Kopf“ ist das hochspannende Porträt einer Straftäterin und ganz großes Schauspielerinnenkino.

Monster im Kopf (2023)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Schwanger in Haft

Welch ungeheures Glück, endlich das eigene Baby auf den nackten Bauch legen zu können. Es quäkelt, es kuschelt sich ran, ein Strahlen liegt in Sandras Gesicht, das bisher im Film nie zu sehen war. Im Hintergrund beobachten Polizisten die Szene. Sandra ist in Haft. Auch in der Geburtsklinik. „Monster im Kopf“ porträtiert diese Frau, so lebensecht, wie es nur gehen kann.

Regisseurin Christina Ebelt hat 2019, ebenfalls mit Franziska Hartmann in der Hauptrolle und mit denselben Personen in Schlüsselstellen der Crew, ihr Debüt Sterne über uns vorgelegt, ebenfalls das Porträt einer Mutter in Zwangslage, damals mit halbwüchsigem Sohn und obdachlos. Wobei dies im Ganzen doch zu konstruiert wirkte, um seine volle Kraft auszuschöpfen. Monster im Kopf vollendet, was Sterne über uns begonnen hat an Realismus auf der Leinwand: Alle Darsteller agieren ohne jeden Filter, ohne Folie zwischen sich und ihrer Rolle, ohne Hintergedanken, völlig instinktiv, ganz in ihrer Rolle – es ist kein Schau-Spiel mehr, in keinem Sinn: weder Schau, sondern Sein, noch Spiel, sondern bitterer Ernst.  

Allen voran Franziska Hartmann legt eine unglaubliche Performance hin in ihrer Rolle einer hochschwangeren Gefängnisinsassin, die unter keinen Umständen ihr Kind verlieren will – weder in der Risikoschangerschaft, in der sie sich befindet, noch später an Pflegeeltern, noch an den Kindsvater. Sie will in die MKA, die Mutter-Kind-Abteilung, bei offenem Vollzug. Schwierig, wenn man ihre Tat bedenkt. Dass die furchtbar war, das ist schnell klar. Weil wir Sandra sehen: mit zusammengekniffenen Kiefern in steter angestrengter Selbstbeherrschung, mit brodelndem Zorn in sich, mit aufgewühlter Wut und dem nun mit größter Kraft getriebenen Willen, Provokationen nicht zu beantworten.

Geschickt legt die Filmmontage Rückblenden an, erzählt parallel die Vorgeschichte. Sandras erste Fehlgeburt. Die Pläne von Freund Micki (Slavko Popadić), Mechaniker in einem Rennsportteam zu werden. Die Pflege der Mutter (Martina Eitner-Acheampong), die Sandra große emotionale Kraft kostet – die Mutter triggert sie mit allem, was sie tut (oder nicht tut), da muss es eine enorme Vorbelastung geben, wenn man sieht, wie Sandra immer tief schnaufen muss, sich richtig runterzwingen, bevor sie die Tür zur Wohnung der Mutter öffnet. Ihre Arbeit im Schlachthof wurde in einem echten Schlachthof gedreht; die Krankenhausszenen ist ein echtes Krankenhaus – keine leichten Drehorte in Corona-Zeiten. Krankenschwestern spielen Krankenschwestern, Polizistinnen Polizistinnen: Die Abläufe, wie der Umgang mit einer schwangeren Inhaftierten ist, sind akkurat wiedergegeben in diesem Film.

Vor allem aber ist dieser Film in seiner Gesamtheit emotional authentisch. Wir haben eine Frau, die Schreckliches getan hat. Das ist kein Geheimnis, und was genau vorgefallen ist, wird zwar erst gegen Ende aufgedeckt, ist aber nicht entscheidend. Entscheidend ist die Nähe, die Ebelt aufbaut, und die Bandbreite der Gefühle, die sie abdeckt. Sandra ist uns nah, wir leiden mit ihr – Hartmann spielt sie ja auch in starker Körperlichkeit, vom Zusammenschlagen eines Rennwagenfahrers über die Zärtlichkeit mit Micki und das Zerlegen von Schweineteilen bis zur Fußpflege bei der Mutter. Und von Geburt und Babyglück ganz zu schweigen. Sie stürzt den Zuschauer ständig in widerstreitende Gefühle, bei grundsätzlicher Zuneigung immer wieder auch in Ablehnung, von Verständnis direkt in Unverständnis – bis hin zur Frage, wie sie in ihrer fragilen Mentalität, mit ihrem dünnen Nervenkostüm und kurzer Zündschnur ein Kind großziehen will, das ja auch mal nervt und nicht macht, was die Mama will.

Der Realismus des Films entspringt damit nicht nur der Darstellung und der Inszenierung nahe an realen Umständen, sondern vor allem der Emotionalität, die ganz offen und direkt den Zuschauer anspringt.

Monster im Kopf (2023)

„Monster im Kopf“ erzählt die Geschichte einer Gewalttäterin, die ihre Freiheitsstrafe im Gefängnis absitzt, wo sie als werdende Mutter dafür kämpft, dass ihr Kind nach der Geburt bei ihr bleiben kann. Gleichzeitig, diesem langwierigen Prozess gegenübergestellt, lernen wir ihre Vorgeschichte kennen, wer sie ist und erleben sie in Situationen, in denen sie immer wieder die Kontrolle verliert.

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