Das unerwartete Glück der Familie Payan

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Zu Beginn sieht Nicole Payan (Karin Viard) noch wie ein Zitronenfalter aus: Ganz in zartes Gelb gewandet, treibt sie ihre über mehrere Generationen verteilte Familie zur Eile an, denn heute steht ein ganz besonderes Ereignis an — und wieder einmal sind die Payans spät dran: Da muss ihre leicht verwirrte und immer wieder unter Absencen leidende Mutter, genannt „Mamilette“ (Hélène Vincent), in den Rollstuhl gehievt werden, während Nicoles Enkelin Zoé (Stella Fenouillet) trotz der Aufforderung, sich schick zu machen, ein Spiderman-Kostüm angezogen hat.
Zoés Mutter Arielle (Manon Kneusé) ist natürlich mal wieder ebenso zu spät dran wie Nicoles Ehemann Jean-Pierre (Philippe Rebbot), so dass die Payans aller Eile zum Trotz den familiären Termin grandios vergeigen: Als sie am Hafen eintreffen, wo das U-Boot der französischen Marine, auf dem Vincent (Raphaël Ferret) seinen Dienst versieht, für einen Kurzbesuch lag, ist das gerade eben wieder abgetaucht. Und das ist nur der Auftakt für eine ganze Reihe von Ereignissen, denen sich die chaotische Sippe im Lauf der kommenden 140 Minuten Laufzeit ausgesetzt sieht. Zumal es noch viel dicker kommen wird. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen.

Denn zu ihrem Entsetzen muss die 49-jährige Nicole feststellen, dass ihre Übelkeit, die sie zur Zeit öfters plagt, keine Folge der zu erwartenden Menopause ist, sondern dass sie einen „kleinen Untermieter“ in sich trägt — mit anderen Worten: Sie ist noch einmal schwanger. Als hätte sie nicht schon genug damit zu tun, den Alltag und die vielfältigen Probleme ihrer Familie in Zaum zu halten. Neben ihrer zunehmend hinfälliger werdenden Mutter plagen die Familie auch noch Geldsorgen, da Jean-Pierre seit zwei Jahren arbeitslos ist und Nicoles Verdienst als Kassiererin in einer Mautstation an der Autobahn nicht gerade üppig ausfällt. Ganz zu schweigen von dem aus der Arbeitslosigkeit resultierenden Minderwertigkeitskomplex, den Jean-Pierre entwickelt hat, der früher mal kurz davor war, einer der kommenden Turnstars Frankreichs zu werden, und der viel Energie auf seine (natürlich unbezahlte) Tätigkeit als Trainer eines Nachwuchsteams ver(sch)wendet, was immer wieder für Konflikte zwischen ihm und seiner Gattin sorgt. Das sich die lebenslustige Arielle recht wenig um ihre kleine Tochter kümmert und damit ihren Eltern noch mehr Verantwortung aufhalst, verschärft die Lage noch mehr.

Angesichts der Vielzahl an Problemen und Figuren, die Nadège Loiseau in ihrem Langfilmdebüt Das unerwartete Glück der Familien Payan (Originaltitel: Le petit locatire; zu deutsch: „Der kleine Untermieter“) auffährt, gerät das titelgebende Ereignis fast schon zum Nebenkriegsschauplatz, der vor allem als Katalysator dient, um die Handlung in Gang zu bringen. Das ist zwar durchaus turbulent und abwechslungsreich gespielt, wirkt aber zugleich unglaublich überladen und bisweilen recht fahrig, wenn munter von einem Handlungsstrang zum nächsten durchgewechselt wird. Es scheint beinahe so, als habe Nadège Loiseau zu viele Ideen im Kopf, zu viele Figuren und zu viele Themen, die sie allesamt unbedingt in ihren Film hineinpacken wollte, der auf ihrem Kurzfilm mit dem Titel Le locataire aus dem Jahre 2013 beruht. Hinzu kommt, dass nicht alle ihre Ideen wirklich zünden: Vieles davon erweist sich als Sackgasse, die zwar hübsch anzusehen ist, letzten Endes aber die Handlung eher zerfasern lässt, als sie voranzubringen. Nicoles seltsame erotische Phantasien über ihren Gynäkologen nehmen sich wie Fremdkörper aus und einzelne Nebenfiguren wie ihr tumber Arbeitskollege oder der aus Kanada stammende und an einen Knuddelbären erinnernde Krankenpfleger, der sich um Mamilette kümmert, sind nichts weiter als schlampig hingeworfene Skizzen, die kaum jemals Tiefe entwickeln, sondern lediglich als Stichwortgeber fungieren.

Der streckenweise hohe Unterhaltungswert unterläuft zudem die durchaus vorhandenen ernsten Aspekte der Geschichte und lässt diesen zu wenig Raum, um ihre Wirkung zu entfalten: Trotz der vielfältigen Probleme der Payans erscheinen diese vor allem als Erfindungen des Drehbuchs, über die mit Leichtigkeit und teilweise auch Oberflächlichkeit munter hinweg galoppiert wird, immer auf der Suche nach dem nächsten Hindernis, das im vollen Lauf genommen werden kann.

Dass der Film trotz dieser deutlichen Mängel nicht vollends auseinanderfällt, ist vor allem Karin Viard zu verdanken, deren Funktion als Schauspielerin nahezu deckungsgleich mit dem Agieren ihrer Rolle ist: Sie ist es, die das Chaos mit Bravour zusammenhält und den Film ebenso wie die verzwickten Angelegenheit der Payans zu einem guten Ende führt.

Das unerwartete Glück der Familie Payan

Nicole geht auf die 50 zu und sieht sich plötzlich damit konfrontiert, dass die Symptome, unter denen sie seit einiger Zeit leidet, nicht die Auswirkungen der Wechseljahre sind, sondern die einer Schwangerschaft. Natürlich versuchen nun alle Menschen um sie herum ihr zu sagen, was nun das Beste für sie wäre. Doch Nicole muss ihren Weg allein finden …
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Meinungen

Martin Zopick · 28.02.2023

Der Film ist von erfrischender Spritzigkeit, vermeidet selbst bei hohem Tempo jedweden Klamauk und enthält sogar gut gemachte sentimentale Szenen, die einen rühren können. Das liegt zum einen daran, dass die Regisseurin Nadège Loiseau eine unverbrauchte Newcomerin ist, zum anderen an dem absolut authentischen Ensemble, vor allem aber an einer grandiosen Karin Viard (Nicole Payan), die hier wohl die Rolle ihres Lebens verkörpern darf. Sie passt in die Rolle wie Hand zu Handschuh.
Die Vielseitigkeit der Familie Payan mit den 3 Generationen bietet allein schon genügend Stoff für eine lebhafte Komödie. Von der Enkelin Zoé (Stella Fenouillet) bis zur Großmutter Mamilette im Rollstuhl (Hélène Vincent) mit ihren Aussetzern kommt noch der knuffige Vermieter Toussaint (Antoine Bertrand) hinzu sowie der ‘nette‘ Frauenarzt Gentil (Grégoire Bonnet), der für die Ausgestaltung von Nicoles Sexträumen während ihrer Schwangerschaft zuständig ist.
Nadège Loiseau bringt ganz individuelle Facetten ins Spiel, nicht nur die allseits bekannte Übelkeit. Auch von der weiblichen Lust ist hier die Rede.
Ganz große Mimik ist angesagt, wenn bei Tisch die Neuigkeit von Nicols Schwangerschaft enthüllt wird. Manche wissen davon, andere nicht oder tun so als ob. Bei der Frage der Abtreibung streifen die Dialoge ernstere Gefilde. Bei dem Hinweis auf Nicols sich langsam wölbenden Bauch wird aber wieder Klartext geredet:
-‘Der kleine Untermieter da in deinem Bauch‘. (Originaltitel)
-‘Ich würde da ja eher von Zwangsbesetzer reden‘.
Ein weiteres Highlight der Komik ist die unter Geschwistern seit Kindertagen existierende Geheimsprache. Hier teilt die Schwester Arielle Payan (Manon Kreusé) ihrem Bruder Vincent (Raphaël Ferret) in seinem U Boot mit, was daheim passiert ist. Köstlich!
Die typisch leichte französische Inszenierung rauscht sowohl durch heitere als auch dramatische Gefilde. So ist der Film mehr als nur ein heiterer Spaß. Toll!

Martin Zopick · 30.06.2022

Der Film ist von erfrischender Spritzigkeit, vermeidet selbst bei hohem Tempo jedweden Klamauk und enthält sogar gut gemachte sentimentale Szenen, die einen rühren können. Das liegt zum einen daran, dass die Regisseurin Nadège Loiseau eine unverbrauchte Newcomerin ist, zum anderen an dem absolut authentischen Ensemble, vor allem aber an einer grandiosen Karin Viard (Nicole Payan), die hier wohl die Rolle ihres Lebens verkörpern darf. Sie passt in die Rolle wie Hand zu Handschuh.
Die Vielseitigkeit der Familie Payan mit den 3 Generationen bietet allein schon genügend Stoff für eine lebhafte Komödie. Von der Enkelin Zoé (Stella Fenouillet) bis zur Großmutter Mamilette im Rollstuhl (Hélène Vincent) mit ihren Aussetzern kommt noch der knuffige Vermieter Toussaint (Antoine Bertrand) hinzu sowie der ‘nette‘ Frauenarzt Gentil (Grégoire Bonnet), der für die Ausgestaltung von Nicoles Sexträumen während ihrer Schwangerschaft zuständig ist.
Nadège Loiseau bringt ganz individuelle Facetten ins Spiel, nicht nur die allseits bekannte Übelkeit. Auch von der weiblichen Lust ist hier die Rede.
Ganz große Mimik ist angesagt, wenn bei Tisch die Neuigkeit von Nicols Schwangerschaft enthüllt wird. Manche wissen davon, andere nicht oder tun so als ob. Bei der Frage der Abtreibung streifen die Dialoge ernstere Gefilde. Bei dem Hinweis auf Nicols sich langsam wölbenden Bauch wird aber wieder Klartext geredet:
-‘Der kleine Untermieter da in deinem Bauch‘. (Originaltitel)
-‘Ich würde da ja eher von Zwangsbesetzer reden‘.
Ein weiteres Highlight der Komik ist die unter Geschwistern seit Kindertagen existierende Geheimsprache. Hier teilt die Schwester Arielle Payan (Manon Kreusé) ihrem Bruder Vincent (Raphaël Ferret) in seinem U Boot mit, was daheim passiert ist. Köstlich!
Die typisch leichte französische Inszenierung rauscht sowohl durch heitere als auch dramatische Gefilde. So ist der Film mehr als nur ein heiterer Spaß. Toll!