Peggy Guggenheim - Ein Leben für die Kunst

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Exzentrik, Kunst und Liebe

Sie unterhielt Affären mit Samuel Beckett, Marcel Duchamp und Jackson Pollock, führte als Erbin eines mächtigen Clans ein abenteuerliches Leben zwischen Bohème und High Society, half bei der Flucht von Emigranten vor den Nazis und baute nebenbei eine der bedeutendsten Sammlungen für moderne Kunst auf, die die Welt kennt. Peggy Guggenheim ist in der Geschichte der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts eine Ausnahmeerscheinung – und das liegt nicht nur (aber auch) daran, dass sie in einer männlich beherrschten und entschieden patriarchalen Kunstwelt als eine der wenigen Frauen den Ton angab. Lisa Immordino Vreeland hat der exzentrischen Grande Dame der klassischen Avantgarde ein schillerndes Porträt gewidmet, das der Porträtierten allerdings nicht immer gerecht wird.
Als Peggy (eigentlich Marguerite) 1898 geboren wurde, zählten die Guggenheims schon zu den bedeutendsten Industriellenfamilien der USA und als Beweis dafür, dass der amerikanische Traum Wirklichkeit werden konnte. Im Jahre 1912 folgte der entscheidende Wendepunkt im noch jungen Leben Peggys: Wegen eines Streiks der Heizer musste ihr Vater Benjamin eine Passage von Europa zurück in die USA umbuchen und schiffte schließlich auf der RMS Titanic ein – die Folgen sind bekannt. Der Industriemagnat und sein Sekretär starben in den eiskalten Fluten des Nordatlantik: „Fest entschlossen, wie Gentlemen zu sterben, hatten sie den Frauen und Kindern ihre Plätze in den Rettungsbooten überlassen“, schrieb Peggy viele Jahre später in ihrer Autobiographie.

Zumindest ein Gutes hatte der frühe Tod des Vaters: Mit Vollendung des 18. Lebensjahres erhielt sie ein stattliches Erben von 450.000 Dollar, das sie weitgehend unabhängig von ihrer Familie machte und ihr ein selbstbestimmtes Leben ermöglichte. Mit großem Eifer stürzte sie sich, der nun alle Türen offen standen, begierig hinein ins pralle Leben und leistete sich dabei auch manchen Fehlgriff wie etwa eine Schönheitsoperation an der Nase, die dank des Standes der Medizin damals tüchtig misslang. 1921 zog es die lebenshungrige junge Frau nach Paris, wo sie eintauchte in die schillernde Welt der Künstler- und Literaten-Bohème. Bald schon gehörte Marcel Duchamps, Man Ray und Djuna Barnes zu ihrem Freundeskreis – und Laurence Vail, ein Maler und Bildhauer, den sie 1922 heiratete und mit dem sie zwei Kinder (Sindbad, geb. 1923 und Pegeen (1926)) hatte. Diese Ehe war sehr turbulent, da Laurence gerne und viel trank und dann zu gewalttätigem Verhalten neigte. Und so wurde die Ehe nach acht Jahren wieder geschieden – nicht zuletzt auch deshalb, weil Peggy sich in den Schriftsteller John Holmes verliebt hatte, der ebenfalls ein Säufer war und 1934 verstarb.

So bezeichnend ihre Neigung zu Fehlgriffen bei Männern war, so legendär war ihr Gespür für Kunst. Ab 1937 begann sie sich als reine Autodidaktin nach einer Empfehlung Samuel Becketts mit moderner Kunst zu beschäftigen und sammelte vor allem Werke der klassischen Avantgarde (Braque, Dalí, Duchamp, Kandinsky und Picasso gehörten zu ihren ersten Erwerbungen), die den Grundstock für ihre erste Galerie in London bildeten. Bereits nach zwei Jahren kehrte sie von der Insel nach Paris zurück, sammelte weiter unermüdlich und half vielen ihrer Freunde aus der Klemme, als der Zweite Weltkrieg ausbrach und zahlreiche Künstler fluchtartig die französische Hauptstadt verlassen mussten. In diesen unruhigen Zeiten wuchs ihre Sammlung täglich, wobei Peggy die Situation niemals ausnützte: „Ich habe einfach bezahlt, was man mir gesagt hat.“

Später unterstützte sie tat- und finanzkräftig Varian Frys von Marseille aus operierende Fluchthilfeorganisation Emergency Rescue Committee, die vor allem Intellektuelle und Künstler vor dem Zugriff der SS und der Schergen des Vichy-Regimes rettete. 1941 schließlich wurde die Lage in Frankreich so unerträglich, dass die Sammlerin Europa verließ und nach New York zurückkehrte – mit einem neuen Mann an ihrer Seite. Doch die Liebe zu Max Ernst, den sie kurz vor dem Weihnachtsfest 1941 heiratete, hielt lediglich fünf Jahre, weil der Künstler die Malerin Dorothea Tanning kennen und lieben gelernt hatte.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zog es Peggy Guggenheim nach Europa zurück. Sie ließ sich in Venedig nieder, wo sie 1948 den prachtvollen Palazzo Veneir dei Leoni am Canale Grande erstand und für sich umbauen ließ. In den Jahren bis zum ihrem Tod 1979 diente das Gebäude gleichzeitig als Wohnort wie als Ausstellungsraum für ihre beachtliche Sammlung, die sie seit 1951 der Öffentlichkeit zugänglich machte. Auch in Italien widmete sie sich weiterhin ihrer Sammelleidenschaft und erwarb vor allem einheimische Künstler, bis sie in den 1960er Jahren das Sammeln aufgab: Die explodierenden Preise auf dem Kunstmarkt und die Zumutungen der Pop Art sollen, so heißt es, schuld daran gewesen sein. Heute sind die Werke ihrer legendären Sammlung nach wie vor in der Peggy Guggenheim Collection, aber auch im Solomon R. Guggenheim Museum in New York und im Guggenheim-Museum in Bilbao zu besichtigen.

Peggy Guggenheims exzentrisches Leben ist ohne Zweifel filmreif: Eine Erbin aus bestem Haus (freilich bei weitem nicht so vermögend wie allgemein vermutet), die alle gesellschaftlichen Barrieren durchbricht und kopfüber eintaucht in die moderne Kunst, die Avantgarde, das Bohème-Leben in Paris, London und New York, die ohne jede kunsthistorische Ausbildung, aber mit untrüglichem Gespür für Entwicklungen und Innovationen zur Geburtshelferin vieler heute weltberühmter Künstler wird, dazu legendäre Freundschaften und Beziehungen von bemerkenswerter sexueller Offenheit – das ist eine unwiderstehliche Mischung. Allerdings – und hierin liegt das Problem vieler Dokumentarfilme, die nicht mehr lebende Personen zum Gegenstand haben – wirkt die schillernde Persönlichkeit Guggenheims schwer fassbar.

Ein weiterer Grund hierfür ist sicherlich auch in der begleitenden Filmmusik zu suchen, die kaum je verstummt. Sie nivelliert alle emotionalen Momente, wirkt wie eine Vernissagen-Muzak, die im Hintergrund dahinplätschert, sich aber dennoch wie ein Schleier über den Off-Kommentar legt. Weil der zudem vorwiegend aus Interviewpassagen besteht, die dann mit einer deutschen Übersetzung versehen werden, entsteht so ein Klangteppich, der dem Film fast schon den Charakter eines bebilderten Radiofeatures gibt. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Bebilderung, die überwiegend aus Zooms und Schwenks über Fotografien oder Kunstwerke und aus talking heads – Gesprächen mit Experten – besteht. Und so wünscht man sich am Ende dieses informativen, aber auch ein wenig bieder inszenierten kunsthistorischen Namedroppings, dass irgendwann einmal sich ein Produzent ein Herz fasst und aus dieser Geschichte einen Spielfilm formt, in der die ganze lebenspralle Sinnlichkeit und Exzentrik dieser Frau deutlicher zu spüren und zu erfahren sein wird.

Peggy Guggenheim - Ein Leben für die Kunst

Sie unterhielt Affären mit Samuel Beckett, Marcel Duchamp und Jackson Pollock, führte als Erbin eines mächtigen Clans ein abenteuerliches Leben zwischen Bohème und High Society, half bei der Flucht von Emigranten vor den Nazis und baute nebenbei eine der bedeutendsten Sammlungen für moderne Kunst auf, die die Welt kennt. Peggy Guggenheim ist in der Geschichte der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts eine Ausnahmeerscheinung – und das liegt nicht nur (aber auch) daran, dass sie in einer männlich beherrschten und entschieden patriarchalen Kunstwelt als eine der wenigen Frauen den Ton angab.
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Meinungen

rita salanga · 13.05.2016

Lieber Herr Kurz,
Vernissagen-Muzak, talking heads, kunsthistorischen Namedroppings, Radiofeatures.
Die Filmbewertung trotzt nur so von Fremdwörtern, wo ich erst einmal überlegen muß, was meint er denn jetzt damit ?
Oberflächlich klug, aber bei genauerem Hinsehen, beeindruckt mich dieser Artikel wenig, schon wegen der Schlagwörter, unter denen sich Mancher nichts vorstellen kann, geschweige denn weiß was gemeint ist.