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„La bête“ von Bertrand Bonello verschlingt uns genüsslich – und überrascht mit allem, was in seinem komplexen Inneren auf uns wartet.

The Beast (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Drei (echte) Leben

Ein Melodram mit eleganten Kostümen, angesiedelt im Jahre 1910 in den Pariser Salons der oberen Gesellschaft, wie aus der Feder des Romanciers Marcel Proust. Ein kühler Thriller im Stil einer Bret-Easton-Ellis-Geschichte über die urbane Einsamkeit in Los Angeles in der Mitte der 2010er Jahre. Und ein melancholischer Science-Fiction-Film, etwa zwei Dekaden von unserer Gegenwart entfernt. „La bête“ von Bertrand Bonello ist all das – und auf allen drei Erzählebenen verdammt großartig.

Zu Beginn sehen wir Léa Seydoux vor einem Greenscreen. Ihr wird die Szene erklärt, in der sie zu agieren hat – mit all den Dingen, die sich nach der Bearbeitung des Bildes in der Postproduktionsphase um sie herum befinden werden. Sie hört aufmerksam zu. Wenn wir im Anschluss daran erleben, wie Seydoux gleichsam ins Nichts hinein spielt, wie sie Angst und Panik vermittelt, obwohl sie einfach nur in einem Studio vor einem grünen Hintergrund steht, dann ist das eine ziemlich eindrückliche Demonstration ihrer Schauspielkunst.

Und auch in anderer Hinsicht ist La bête eine wahre Talentprobe von Seydoux und ihrem Co-Star George MacKay, die sich gemeinsam in drei Filmuniversen zugleich einfühlen müssen. So sind die Hauptfiguren Gabrielle und Louis im historischen Setting des frühen 20. Jahrhunderts zwei heimlich Verliebte, die der steigenden Lust aufeinander zu widerstehen versuchen, da die Pianistin Gabrielle mit einem (zugegebenermaßen langweiligen, aber grundsoliden) Puppenfabrikanten verheiratet ist.

Gabrielle und Louis kennen sich von früher. War es vor drei Jahren in Rom? Oder doch vor sechs Jahren in Neapel? Ach, wer weiß das schon so genau. Damals jedenfalls wollte Gabrielle keine Beziehung eingehen, weil sie eine schreckliche Ahnung hatte. Die wild durchs Wohnzimmer flatternde Taube scheint ihr wissend zuzurufen: „Wie Recht du hattest!“

Wenn Gabrielle und Louis durch die Pariser Straßen laufen, lassen Bonello und seine Kamerafrau Josée Deshaies das (Wunsch-)Paar wie Geister, wie flüchtige Traumgestalten erscheinen. Als unglückliches Model mit Hollywood-Ambitionen und zorniger Incel im kalifornischen Großstadtdschungel des Jahres 2014 sind die beiden wiederum weit von dieser Zärtlichkeit entfernt. Ähnlich wie Paul Schrader in seiner schonungslos-bitteren Avantgarde-Soap The Canyons (2013) lauert hier hinter der sonnigen Fassade die absolute Finsternis. Das Internet rät Gabrielle zu plastischer Chirurgie; die Online-Wahrsagerin sieht so brutal zermürbt aus, dass wir leider annehmen müssen, sie kann tatsächlich in die Zukunft sehen, die für uns alle wohl so richtig desaströs ausschaut. Fuck!

Wie Gabrielle, die (auf dieser Zeitebene) ein riesiges Haus in einer isolierten Luxusgegend sittet, sich mehr und mehr in die Tiefen der eigenen Traurigkeit begibt, lässt auch an Olivier AssayasPersonal Shopper (2016) denken, in dem die diffusen Bedrohungen im Netz und in der nicht weniger unecht anmutenden „realen“ Welt ebenso stets imstande zu sein schienen, die Schwelle zum Psychothriller, vielleicht gar zum übersinnlichen Horror unrettbar zu übertreten.

Und dann ist da ja noch besagte Zukunft, die bedauerlicherweise nicht schön ist. Künstliche Intelligenzen haben einen Großteil unserer Arbeit übernommen – was indes nicht zu gesellschaftlicher Freiheit und Freude geführt hat, sondern dazu, dass für die Menschen kaum irgendwelche erfüllenden Jobs übrig bleiben. Gabrielle will sich einer sogenannten DNA-Reinigung unterziehen, um selbst zur KI zu werden. Alle Traumata und störenden Sentiments – wie weggeblasen! Klingt doch toll, oder? Die Prozedur bewirkt, dass sich Gabrielle an ihre früheren Leben, an die verbotene Sehnsucht in Paris und an den Ennui und die Gefahr in L.A. erinnert.

Zuweilen besucht sie in der trist-dystopischen Stadt des Jahres 2044 einen Nachtclub, der immer wieder eine andere Dekade kopiert. Mal sehen darin alle wie Boy George in den poppigen 1980er Jahren aus, mal wie im Disco-Fieber der Seventies. Nett sind die Leute, die Gabrielle dort trifft, allerdings nie – egal, welchem Ex-Trend sie gerade hinterherjagen. Aber vielleicht klappt es ja diesmal endlich mit Louis? Hm, nein, sorry – wer nach diesen fulminanten und infernalischen zweieinhalb Stunden, die uns Bonello in La bête präsentiert, ernsthaft noch Hoffnungen auf ein Happy End hegt, hat wirklich erschreckend viele Anzeichen übersehen.

Gesehen bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig.

The Beast (2023)

Lea Seydoux spielt die Rolle der Gabrielle, einer Frau, die plant, ihre DNA zu reinigen, um in ihre vergangenen Leben einzutauchen. Doch dann trifft sie auf Louis (George MacKay). Die beiden haben eine starke Verbindung und das, obwohl er gefährlich zu sein scheint.

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