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Features: European Outdoor Film Tour 19/20

Ein Beitrag von Susanne Gottlieb

Nicht jeder ist zum Abenteurer geboren, doch fast jeder möchte gern einmal ein Abenteuer erleben. Outdoor Touren, risikofreudige Hobbies und Extremsportarten vor imposanten Naturkulissen finden allerdings in einer Welt statt, die den meisten verschlossen bleibt. Eine Möglichkeit, sie uns näher zu bringen, bietet der Outdoor Film.

European Outdoor Film Tour 19/20
European Outdoor Film Tour 19/20 - KeyArt

 

Eine der vielen Qualitäten von Filmen ist es, nicht nur spannende Geschichten zu erzählen und komplexe Charaktere zu zeigen, sondern auch die aufregendsten Winkel der Welt einzufangen. Ein Festival, das sich dem Abenteuer in den entlegensten Ecken des Planeten verschrieben hat, ist die European Outdoor Film Tour. Ab dem 9. Oktober 2019 geht diese in 20 Ländern auf Tour und zeigt die unterschiedlichsten Menschen und Abenteuer vom Alpinen Trekking bis zum Freeriden.

Das Konzept des Outdoor Films, in dem Menschen an ihre Grenzen gehen, sich neuen sportlichen Herausforderungen stellen und sich dabei das Rampenlicht mit der rauen Schönheit des Planeten teilen, bietet Abenteuer, die nur das Leben selber schreiben kann. Wer kann schon von sich behaupten, wie der Franzose Eliott Schonfeld in Le Minimaliste – An Himalayan Adventure mit einem Pferd die asiatische Bergkette zu Fuß von West nach Ost durchquert zu haben? Oder wie Adam Rolston und Ron Rutland in The Longest Hole einen Golfball quer durch das mongolische Hochland geschlagen zu haben? 

 

Repräsentative Abenteuer auf der Leinwand

Diese alles andere als alltäglichen, teils gar hochgefährlichen Abenteuer sind aufgrund ihrer Authentizität reizvoll und sprechen seitens der ZuschauerInnen tiefliegende Bedürfnisse nach Eskapismus an: Abenteuer erleben, ohne sich wirklich den Gefahren der Realsituation aussetzen zu müssen. Das kann bisweilen auch abschreckend wirken. Denn die Protagonisten vollführen Stunts und Wagnisse, die dem Publikum allein beim Zuschauen einen Adrenalinschub bescheren — die Gefahren werden nahbar. Selbst die vermeintliche Sicherheit des Kinosessels nützt da ob der Gewissheit, dass es sich dabei nicht um fiktive, sondern reale Akteure handelt, wenig. 

 

Nicht zu verachten sind dabei die technischen Aspekte. Noch nie zuvor war es möglich so genau, so nah und oftmals interaktiv Bilder und Blickwinkel einzufangen und dem Zuschauer das Gefühl zu vermitteln, selber vor Ort zu sein. Wenn drei Männer sich in Zeppelin Skiing aus einem Luftschiff abseilen um einen Berg talwärts zu bezwingen, dann sind das visuelle Eindrücke, die man im Alltag nie zu Gesicht bekommt. Das Adrenalin schießt vom aufstiebenden Schnee direkt in die Blutbahn des Publikums. Die Helmkamera-Aufnahmen vermittelt ein Gefühl der Unmittelbarkeit – die ZuschauerInnen werden zu stummen Begleitern des Trios bei ihrem wahnwitzigen Abenteuer auf den höchsten Gipfeln der Welt. 

Doch es müssen nicht immer die abgelegensten Winkel und die riskantesten Unterfangen sein. Ein Outdoor Film kann es sich ebenso zum Ziel machen, alltägliche Sportarten in außergewöhnlicher Ausführung zu interpretieren und ihnen dadurch neue Facetten zu verleihen. In The Movement beispielsweise zelebrieren die Regisseure eine der ältesten Bewegungsformen überhaupt: das Laufen. Wenn sich die Massen wie Ameisen über die Brooklyn Bridge schieben, dann eröffnen sich durch den Fokus der Linse neue Deutungsmöglichkeiten. Die Differenzen der Menschen -  kulturelle wie sozioökonomische — verschwimmen in der Masse. Sie wirken ebenbürtig, vereint durch den gemeinsamen Wunsch vom Startpunkt ins Ziel zu kommen. 

The Movement; Camp4Collective/Jaybird

Ähnlich beschäftigt sich Africa Riding: Karim mit einem für uns gewöhnlichen Sport, der durch seine geografische Verortung jedoch zu einem ungewöhnlichen Erlebnis wird. In Ruandas Hauptstadt Kigali, in der die Wände keine Sprayer und die Parks keine sich schwungvoll über den Asphalt windende Halfpipes gesehen haben, fährt Karim gerne mit seinen Skates auf offenen Straßen entlang. Sein bescheidenes Hobby bietet daher einen einzigartigen Anblick und erhebt das Alltägliche in einen neuen Kontext.

Africa Riding: Karim; Step by Step Productions

 

Wiederentdeckung der Natur

Das Ungewöhnliche und Abenteuerliche einzufangen bedeutet auch, es vor einer Kulisse geschehen zu lassen, die dem Ganzen in nichts nachsteht. Die ProtagonistInnen mögen zwar die Hoheit über das Geschehen haben, doch die gewaltigen Naturkulissen erzählen ihre ganz eigenen Geschichten. Diese Orte, die sonst nur die wenigsten Menschen zu Gesicht bekommen, können nicht nur optisch überwältigend wirken. Sie bieten dem Zusehenden auch die Möglichkeit mit dem eigenen Leben und Erfahrungen daran anzuknüpfen.

Outdoor Filme zeigen somit nicht nur das Erlebnis selbst, sie platzieren es innerhalb einer Wechselwirkung von Mensch und Natur. Der Mensch kann nur existieren, wenn beides in Verbindung tritt, er muss sich auf die ihn umgebenden Bedingungen einlassen und ihre Regeln akzeptieren. Damit fangen die Filme auch den Zeitgeist ein. So wurde in der Vergangenheit oft angenommen, dass der Mensch und die Natur in Dichotomie stehen. Vor allem in westlichen Kulturen galt der Mensch als ungebunden zu seiner Umwelt, während Menschen in anderen Regionen eine stärkere – oft auch spirituelle — Verbindung zur Natur zugeschrieben wurde. 

Le Minimaliste; Eliott Schonfeld

Dass diese kulturell antrainierte Dichotomie trotz dessen immer noch den Umgang des Menschen mit der Natur bestimmt, legen diese Filme bisweilen auch offen. In Le Minimaliste — An Himalayan Adventure ist es die imposante Himalaya Bergkette, die sich im Hintergrund erhebt und den ZuschauerInnen mit ihren kahlen, verschneiten Weiten und den meterhohen Bergwipfeln in den Bann zieht. Die Extremsituation, diese zu Fuß mit einem Pferd zu durchqueren und sich dieser Urgewalt zu stellen, verschärft sich durch den Fehler Eliott Schonfelds, die Natur unterschätzt zu haben und die Reise mit zu wenig Ausrüstung angetreten zu sein. Die eisigen Höhen sind unnachgiebig, das Kräftemessen mit ihnen und das Wandern am Rande des Limits machen die Geschichte daher umso nervenaufreibender.

Ähnlich in The Longest Hole: Zwar gelten nicht dieselben Extreme wie beim Durchqueren mehrerer Achttausender, die unendlichen grünen und braunen Weiten des mongolischen Hochlands bieten jedoch ihre ganz eigene Magie. Diese grenzenlose Landschaft vermittelt dem Zuschauer den Eindruck von Freiheit und die Umsetzung von persönlichen Fantasien, wie etwa einen Golfball von einem Ende des Landes ans andere zu schlagen. Der wahre Konflikt ergibt sich jedoch aus der zwischenmenschlichen Komponente: Zwei Männer, allein in einer von Menschen verlassenen Gegend, müssen sich ob ihrer unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammenraufen. Abhauen gibt es nicht, sie sind aufeinander angewiesen. Nicht nur um weiter zu golfen, sondern auch um in der Wildnis zu überleben.

The Longest Hole; The Longest Hole Media Co.

 

Herausforderung des Menschen

Diese historische Entfremdung und etappenweise Wiederentdeckung unserer Verbundenheit mit der Natur macht den Aufbau vieler dieser Filme so spannend. Der Mensch hat eine Tendenz dazu die Natur zu romantisieren und fühlt sich zu jenen Orten hingezogen, die wie ein ideales Habitat wirken. Aber genauso wie die Natur uns umsorgt, kann sie sich auch gegen uns erheben. Sie ist eben nicht immer nur romantisch und schön — sie kann auch unberechenbar und gnadenlos sein. Der Mensch mag wissenschaftlich und technologisch weit entwickelt sein, doch gegen die Naturgesetze und -gewalten ist er letztendlich immer noch machtlos. Das müssen die Abenteurer nicht nur im Laufe des Films erkennen, daran wird auch der Zuschauer vor der Leinwand immer wieder erinnert. Und so fiebert man beim Schauen mit, ist Teil eines Abenteuers, das man selbst vermutlich nie durchleben wird und das wenig mit unserem Alltag zu tun hat. 

Outdoor Filme holen die Menschen dort ab, wo sie ihren eigenen Alltag verlassen wollen und in die aufregenden Welten einer Abenteuerreise abtauchen wollen. Darin liegt letztendlich die Magie von Film und Kino. Dem Zusehenden neue Welten und Perspektiven zu öffnen, die ihn oder sie vielleicht inspirieren, sich selbst auf solch eine Reise zu begeben. Oder wenigstens die Erkenntnis zu gewinnen, dass es in der Welt nach wie vor Dinge gibt, die trotz allen Fortschritts die Fähigkeiten des Menschen einfach überschreiten.

 

Die European Outdoor Film Tour 19/20 findet in Deutschland statt vom 11.10.2019 bis 05.02.2020.

Dieser Text entstand im Auftrag der European Outdoor Film Tour.