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PosterArt: The Lobster

Ein Beitrag von Sebastian Seidler

Das Kino lebt nicht nur in der Projektion. Immer schon war die Werbung, waren die Filmplakate ein wichtiger Bestandteil der Filmkultur. Kino-Zeit widmet sich den gelungenen und weniger gelungen Kunstwerken. Dieses Mal: „The Lobster“

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PosterArt_Lobster
The Lobster

Was soll das eigentlich sein, ein gutes Filmplakat? Ist es eines, was besonders gut gefällt? Wohl eher nicht. Über den individuellen Geschmack lässt sich nicht gut streiten. Vielmehr – so scheint es uns – muss ein gutes Filmplakat bereits in sich selbst eine Geschichte erzählen oder den Kern eines Films in eine andere Form übersetzen. Artwork ist nicht einfach eine Anordnung von Informationen zu einem Film und es reicht auch nicht, die Hauptdarsteller aufzureihen, wie man es im Mission: Impossible-Franchise gerne macht. Allzu häufig verkommt der Aushang vor dem Kino des Vertrauens zu einer bloßen Werbetafel. Wir sagen: Eine Galerie muss es sein. Um sich diesem Thema anzunähern, greifen wir, etwas eklektisch, unsere Favoriten heraus und stellen sie vor: Dieses Mal schreibt Sebastian Seidler über The Lobster.

The Lobster von Yorgos Lanthimos

Colin Farrell und Rachel Weisz umarmen offensichtlich eine Person, oder zumindest den Umriss davon. Nein, das ist noch nicht präzise genug. Es ist die leere Fläche einer Person, die erst durch die sie umschlingenden Arme eine Form erhält, sich aus dem Hintergrund schält. Besonders glücklich sehen die Gesichter nicht aus: gezwungen oder traurig, beinahe so, als würde diese Umarmungen eine Unmenge an Kraft benötigen.

Dann darunter in schweren schwarzen Lettern der Titel: The Lobster: An Unconventional Love Story by Yorgos Lanthimos. 

© Protagonist Pictures

Bleiben wir zunächst bei diesem (Unter-)Titel: Der Name des Regisseurs bürgt hier für eine bestimmte Art von Kino und markiert in etwa die Richtung, in die der Film gehen wird – zumindest für all diejenigen, denen der Name Lanthimos zu diesem Zeitpunkt bereits ein Begriff ist. Mit seinen gewagten und ästhetisch sehr eigensinnigen Filmen Dogtooth und Alpen hatte sich der Grieche in Windeseile in die Herzen der Kritiker*Innen katapultiert. The Lobster wurde zum unerwarteten Hit.

Aber was soll das nun sein, eine schräge Liebesgeschichte? Durch den schrägen Titel wird das alles nicht weniger seltsam und rätselhaft – ein Liebesfilm, der Hummer heißt? Und dann eben diese Umarmungen der leeren Flächen, deren Umriss Mensch wird. All das ergibt zusammen einen semantischen Kreisel, einen Wirbel an Bedeutungsmöglichkeiten. Auf dieser Ebene haben wir den klassischen Effekt: Ein Plakat soll neugierig machen, ein Rätsel stellen oder uns verführen ins Kino zu gehen. Wir wollen mehr wissen, herausfinden, was es damit auf sich hat. 

© Sony

Beschäftigt man sich aber eingehender mit den Motiven, der Bildwelt, die hier aufgespannt wird, tun sich philosophische Fragen auf. Eindeutig scheint sich in den Armen dieser Liebenden ein Widerstand, ein Gegenstand oder Körper zu befinden, der sich allerdings der Bestimmung und Sichtbarkeit entzieht. Mehr als eine Ahnung ist da nicht.

Wie nah kommen wir den eigentlich jemals dem Objekt unserer Liebe? Entzieht sich unsere Liebe nicht im Anderen? Findet sich hier etwa eine These über die Liebe selbst? Die Figuren – also Weisz und Farrell – scheinen eher einen Halt zu suchen, als dass sie jemanden in den Armen halten. Die Leerstelle sagt: Dieser haltgebende Mensch, der uns aufrecht hält, ist gar nicht so sehr von Bedeutung. Der Andere ist hier lediglich eine Stütze; ein Geheimnis, dem wir wohl nie auf die Spur kommen werden. 

Man kann allerdings noch eine Schleife drehen: Ist diese Fläche nicht gar der eigentliche Hintergrund, der Weisz und Farrell überhaupt erst zum Erscheinen bringt; eine Art Leinwand, auf die sich die Liebenden projiziieren? Im Film geht es ja viel darum, wie unsere bessere Hälfte sein soll und ob die Paarbeziehung nicht bereits eine Art überformter Übergriff eines romantischen Marktes ist – die Pervertierung der Matches, der Übereinstimmung von Interessen. Schleift euch aneinander ab!

Wenn wir nur wahrlich existieren, wenn wir einen Partner haben, was uns auch kulturell vorgegaukelt wird, dann wird die Paarbeziehung zu einer rein pragmatischen Entscheidung und das Ausbleiben dieser sozialen Funktion zu einer existenziellen Bedrohung. Dass es sich bei The Lobster dabei um eine abgründig-kluge Dystopie handelt, in der sich Rebellen dem Liebesdiktat entziehen und einsam im Wald lieben, wird hier nicht transportiert. Und dennoch versammelt das Kinoplakat von Lanthimos’ Film alle wesentlichen Elemente.

Sebastian Seidler

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