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Mamoru Hosoda oder: Vom Finden der eigenen (Film-)Sprache

Ein Beitrag von Christian Neffe

Mit „Belle“ startet der achte Spielfilm von Mamoru Hosoda in den Kinos. Der kreative Weg des Anime-Regisseurs war lang und steinig — inzwischen hat er sich jedoch bis an die Spitze seiner Zunft emporgearbeitet.

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Mamoru Hosoda
Mamoru Hosoda

Manche Künstler*innen legen vom Fleck weg einen kometenhaften Start hin — bei anderen hingegen dauert es einige Zeit, bis sie ihre eigene kreative Sprache finden, ihre Visionen verwirklichen können. Der japanische Anime-Regisseur Mamoru Hosoda, geboren 1967 in Kamiichi, gehört in die zweite Kategorie. Im Jahre 1991, direkt im Anschluss an ein Kunststudium, heuerte er bei der renommierten Anime-Schmiede Tōei Animation (Dragonball, One Piece) an. Es brauchte jedoch bis 1999, bis er seine ersten Kurzfilme und mit Digimon — Der Film ein Jahr später seinen ersten Spielfilm realisieren durfte. Keine eigene Story also, sondern ein Franchise-Produkt, das allerdings schon eine späteres Kernthema Hosodas aufgriff: das konfliktbeladene Verhältnis zwischen digitaler und analoger Welt, Moderne und Tradition.

Anfang der 2000er wechselte Hosoda dann kurzzeitig zu Studio Ghibli, war dort im Gespräch für die Regie zu Das wandelnde Schloss, hatte aber damit zu kämpfen, dass ihm zu viele Auflagen auferlegt wurden. Letztlich übernahm dann Hayao Miyazaki die Inszenierung. Das kreative Verhältnis zwischen Hosoda und Miyazaki (der, wie man in der Doku-Reihe 10 Years with Hayao Miyazaki sehr gut sehen kann, als Kontrollfreak gilt) war mutmaßlich kein besonders harmonisches — und so wird seit jeher gemunkelt, dass die Rolle des Antagonisten in Hosodas nächstem Spielfilm One Piece — Baron Omatsuri und die geheimnisvolle Insel an eben jenen Miyazaki angelehnt war: ein Mann, der ein mystisches Inselreich kontrolliert, das zwar viele Abenteuer und Spaß verspricht, doch unter einem diktatorischen Herrscher leidet.

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Nach einer Rückkehr zur Tōei, wo er neben dem One-Piece-Film auch die inzwischen als Kultklassiker geltende Serie Samurai Champloo inszenierte, zog Hosoda weiter zu Madhouse — und fand dort endlich die Möglichkeit, eigene Projekte und Ideen nach seinem Gusto zu verwirklichen. Unter seiner Regie entstanden Das Mädchen, das durch die Zeit sprang (2006) und Summer Wars (2009) — zwei Filme, an denen Anime-Fans nicht vorbeikommen. Ersterer handelt von einer Schülerin, die plötzlich in der Zeit zurückreisen kann und die dadurch entstehenden Möglichkeiten natürlich vollends auskostet: Fehler rückgängig machen, den Karaoke-Abend ins Unendliche verlängern — was man als Jugendliche*r eben so tut. Ohne jedoch die Konsequenzen zu bedenken, die sich zwangsläufig daraus ergeben.

Summer Wars hingegen spielt einerseits auf dem Land, Schauplatz ist das Anwesen einer traditionellen, einst äußerst bedeutsamen, machtvollen Familie, die von einer wohlwollenden Matriarchin geleitet wird. Andererseits im sozialen Netzwerk Oz, in der sich die gesamte Welt versammelt und die nun von einer künstlichen Intelligenz angegriffen wird. Das alte System tritt gegen das neue an: Tradition vs. Moderne ist der große Konflikt dieses Films, in dem der Schüler Kenji und seine Klassenkameradin Natsuki die Hauptrollen übernehmen.

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Der Erfolg beider Filme war groß genug, dass Hosoda 2011 sein eigenes Anime-Studio gründete: Studio Chizu. Dort blieb er seinen Protagonist*innen treu: junge Menschen respektive Schüler*innen, deren Leben durch Begegnungen mit ungewöhnlichen Erscheinungen ordentlich durcheinandergewirbelt werden, seien sie nun magischer oder digitaler Natur. Ame & Yuki (2012) erzählt die Geschichte zweier Geschwister, die als Kinder einer Menschenfrau und eines Wolfsmenschen aufwachsen, und von ihren Problemen in der Schule. In Der Junge und das Biest (2015) verschlägt es den neunjährigen Ren in ein magisches Reich voller Tierwesen, wo er in die Lehre beim titelgebenden Biest geht. In Mirai — Das Mädchen aus der Zukunft (2019) wird der kleine Kun mit einer existenziellen Krise konfrontiert: Er bekommt eine Schwester und ist nun nicht mehr das Zentrum der Aufmerksamkeit seiner Eltern. Und in Belle (2021) kehrt Hosoda in die digitale Welt zurück, zeichnet sie jedoch ambivalenter als noch in Summer Wars: als Ort, an dem Licht und Schatten gleichermaßen existieren (metaphorisch am deutlichsten erkennbar in der Figur des Biestes), und er verpasst damit der noch technikskeptischen Vision von Summer Wars ein zeitgenössisches Upgrade.

An Hosodas Stil hat sich seitdem wenig verändert: Er legt — im Großen — schon immer viel Wert auf ausufernd detaillierte Hintergründe sowie — im Kleinen — auf die Augen seiner Figuren, über die er effektiv Emotionen transportiert. Inhaltlich hingegen ist — bei aller Konstanz hinsichtlich seiner Protagonist*innen — seit einigen Jahren ein deutlicher Reifeprozess zu erkennen. Einerseits was den Konflikt Digital vs. Analog betrifft, andererseits bei den Familienmodellen, die Hosoda auf die Leinwand wirft. Wo etwa in Summer Wars und Ame & Yuki noch traditionelle Familienbilder dominierten, schickte er in Mirai die Mutter auf Arbeit, während der Vater zu Hause auf die Kinder aufpassen muss — und damit völlig überfordert ist. Da flossen zweifellos auch eigene biografische Erfahrungen ein: 2012 kam Hosodas erstes von bislang zwei Kindern zur Welt. Diese einschneidende Veränderung in seinem Leben ist in den Filmen deutlich zu spüren: Es gibt überforderte Eltern, selbstbewusste Kinder/Jugendliche, die die Probleme der Welt bewältigen müssen, sowie grundlegend positive, lebensbejahende Botschaften für Letztere.

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Es ist höchst bedauerlich, dass aktuell nur wenige der genannten Filme hierzulande als Stream verfügbar sind. Dass Hosoda inzwischen aber einer relevantesten Anime-Schöpfer überhaupt ist, davon zeugt die Tatsache, dass Belle hierzulande einen regulären Kinostart bekommt und nicht wie in so vielen anderen Fällen nur in Special-Screenings gezeigt wird. Spätestens wenn Hayao Miyazaki mal in Rente gehen sollte (wann immer das auch ist), dürfte Hosoda endgültig an der Spitze stehen.

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