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Deutsche Regiedebüts: Mehr „Einfach mal machen“!

Ein Beitrag von Harald Mühlbeyer

Der deutsche Film: Was soll das überhaupt sein? Unser Autor Harald Mühlbeyer sieht viel Bewegung, Improvisation und grandioses DIY im Kino der Gegenwart. Es gibt viel zu entdecken. 

Meinungen
Letzter Abend/AlkiAlki/Knochen und Namen
Ein letzter Abend /Alki Alki / Knochen und Namen

First Look Award in Locarno, Regie-Auszeichnung beim Max Ophüls Preis: „Letzter Abend“ hat schon einige Meriten erhalten. Der Film startet am 24. August und ist eines der Beispiele dafür, wie aus Not Tugend wird, wie Beschränkungen kreativen Gewinn bedeuten. Der Film spielt explizit in einem Corona-Sommer, gerade nach einem der Lockdowns, ein Abend unter Freunden soll es werden, der naturgemäß eskaliert. Die klassische Einheit von Schauplatz, Zeit und Figuren wird neu und originell durchdekliniert. Und mit behänder Kamera und halb improvisierten Dialogen greift Regisseur Lukas Nathrath auch zurück auf die wichtigste Impulsbewegung des deutschen Kinos der letzten Zeit, die 2011 mit Axel Ranischs „Dicke Mädchen“ durchstartete.

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Inzwischen hat Ranisch sich dem Opulenten zugewandt, mit seiner Film-Opern-Melange Orphea in Love. Das Spielerische aber, das die German-Mumblecore-Filme auszeichnet, lebt weiter. Spielerisch im Umgang mit der filmischen Inszenierung, Stichwort Improvisation, spielerisch aber auch im Umgang mit Dramaturgie und Handlung – Stichwort Tragikomödie, Stichwort Alltagsabsurditäten.

Während die Berliner Schule um 2000 heftig auf Festivals, Zuspruch durch Kritik und Förderung angewiesen war, weil absichtsvoll quer zum Mainstream, stilistisch gekonnt dem Spektakulären ausweichend, lebt die German-Mumblecore-Bewegung nach dem Motto: „Einfach mal machen!“ Das setzt sich auch in den nicht improvisierten Filmen fort, die in letzter Zeit immer wieder produziert wurden und sogar in die Kinos kamen – mit bisher leider noch zu geringem Publikum (wie es bei deutschen Filmen, originellen zumal, allzu häufig der Fall ist).

Beat Beat Heart © Daredo Media / Darling Berlin

Man kann hier einen Bogen spannen, ausgehend von den Filmen mit erfrischenden Drehbuch-, Charakter- und Dialogimprovisationen. Axel Ranisch mit Ich fühl mich Disco (2013), Reuber (2013 – Mumblecore als Kinderfilm!) oder Alki Alki (2015), Nico Sommer mit Silvi (2013) und Familienfieber (2015), Luise Brinkmann mit Beat Beat Heart (2016) waren letztlich kleine Liebes- oder Familiendramen in lockerer Komödienform.

Inzwischen scheint das „Einfach mal machen“ aber sein Repertoire erweitert zu haben. Der Grundimpuls bleibt, die Form ändert sich, das Repertoire wird erweitert: Weg von Stegreif-Filmen, die den Alltag mit komischer Tragik füllen, hin zu traditionellen Genres – neu interpretiert.

 

Vom Mumble zum Genre

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Filmgenre als Grundlage für eigene, reizvolle Kreativität: Darauf baute etwa Marcel Barion, der jahrelang am Wochenende mit Freunden Science Fiction kreierte. Das letzte Land zeigt zwei Leute in einem alten Raumschiff unterwegs durchs Weltall. Ein Garagenfilm, ohne CGI, mit vielen Ideen, perfekt umgesetzt aus Modellbauteilen (Eisenbahnen, Schiffe und gelegentlich ein X-Wing reichen aus) und Schrott (Waschmaschine!). Gips und Pfannkuchen müssen nur richtig gefilmt werden, um einen Planeten zu erschaffen. Das sieht nicht nach Trash aus, und auch nicht billig wie ein Aufguss der Sechzigerjahre-Serie Raumpatrouille Orion, sondern ist Zeugnis davon, dass ohne wirkliches Budget eben doch alles – naja: vieles – möglich ist.

Steffen Cornelius Tralles drehte mit Fisch für die Geisel einen Kriminalfilm, einen Gangsterthriller, der es in sich hat. Was brauchte er dafür? Ein verlassenes Haus. Und natürlich ein perfektes Drehbuch. Und perfekte Darsteller. An ersterem feilte er lange, letztere fand er in Florian Hacke, Enno Hesse und Mats Kampen, die zwei Brüder und deren Entführungsopfer spielen. Nach einem Überfall verschanzen sie sich im Abbruchhaus, und die Dynamik ihrer Wechselbeziehungen wird losgelassen. Tralles drehte den Film mit viel eigenem Geld, auch, um eine Visitenkarte zu haben auf dem Weg in die Filmbranche, der ihm hoffentlich gelingen wird.

Ach du Scheiße! @drop-out cinema

Ein Dixiklo. Das reicht Regisseur Lukas Rinker für einen ganz großen kleinen Film: Ach du Scheiße! heißt er passenderweise. Auf der Baustellentoilette nämlich ist ein Architekt gefangen, sein Arm von einer Eisenstange durchbohrt, die Baustelle wird in einer halben Stunde gesprengt – ein filmgewordenes Exitroom-Spiel mit einer Echtzeit-Handlung, in der sich Splatter, schwarzer Humor, Einfallsreichtum und Hochspannung vereinen.

Vieles spielt sich akustisch ab. Am Rande der Baugrube findet ein Volksfest mit feierndem Bürgermeister statt. Das ganze Außen ist im Kopf des Zuschauers, aber auch hier nicht mit dem Makel der Beschränkung behaftet, sondern mit der Tugend der einfallsreichen Genauigkeit und der strategischen Informationsökonomie. Wann was gezeigt werden muss und welches Detail zu zeigen ausreicht, um den Film zu erzählen, darin erreicht Ach du Scheiße! seine Meisterschaft.

Bis ans Ende der Nacht © grandfilm

Interessanterweise ist dieser Bogen von Mumblecore zu Do-It-Yourself-Genre nicht das einzige Beispiel dafür, dass offenbar das Genre so eine Art Fluchtpunkt für filmische Bewegungen ist. Dies scheint nämlich auch die Entwicklung zu sein, die viele der Berliner-Schule-Regisseure gehen. Etwa Thomas Arslan, der 2010 mit Im Schatten einen Gangsterfilm, 2013 mit Gold einen Western vorlegte. Christoph Hochhäuslers Die Lügen der Sieger von 2014 ist ein Journalisten-Enthüllungs-Thriller, Bis ans Ende der Nacht, 2023 auf der Berlinale uraufgeführt, ein Polizeifilm, der die Standards des Genres zugleich bedient und verdreht.

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Übrigens war der Neue Deutsche Film der 1960er auf ähnlichen Pfaden unterwegs. Von filmischen Gesellschaftsbeobachtungen hin zum Genre, von Alexander Kluges Abschied von gestern oder Volker Schlöndorffs Der junge Törless (beide 1966) zu Klaus Lemkes 48 Stunden bis Acapulco (1967) oder zu Rudolf Thome mit Detektive (1968). Da wurde der Weg Richtung Kriminalfilm eingeschlagen, stark geleitet von Godard. Dies aber nur nebenbei. Aber das passt einfach zu gut.

 

Aus der Not die Tugend machen!

Ach du Scheiße! wurde – überraschend – von HessenFilm und Medien gefördert, vermutlich deshalb in Offenbach gedreht, wiewohl der Herr Bürgermeister offenkundig als veritable Bayern-Karikatur dargestellt ist. Das letzte Land und Fisch für die Geisel sind hingegen privat finanziert, und das heißt: Crowdfunding. Das war auch bei einigen der frühen German-Mumblecore-Filme nötig. Durch die Gemeinschaft des Internets kam das Geld zusammen, nicht durch die Abhängigkeit von Zuwendungen durch Fördergremien und TV-Anstalten.

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„Ein sehr guter Film hängt nicht vom Budget ab. Er entsteht in Freiheit selbstbestimmt und unabhängig quasi von glücklichen Filmautoren. Sehr gute Filme sind die Bio-Produkte der Deutschen Filmlandschaft“, so beginnt Axel Ranischs Manifest zum German Mumblecore. Es geht also darum, sich dem Film hinzugeben, die drumherum liegenden Produktionsbedingungen willentlich und wissentlich möglichst zu reduzieren. Im „FOGMA“-Konzept von Jakob Lass, das dessen Love Steaks (2013) zugrundeliegt, heißt es: „Mit den Prämissen zu FOGMA überwinden wir das ganze ‚Wie man Filme richtig macht.‘ Wir setzen uns unsere eigenen Maßstäbe.“

Kunst ist schön, heißt es. Macht aber viel Arbeit. Filmkunst ist nicht nur schön, macht nicht nur viel Arbeit, sondern ist auch teuer. Das Überwinden des ganzen „Wie man Filme richtig macht“, das im German Mumblecore gefordert wird, mutet daher an wie eine Utopie. Man kann nicht „einfach mal machen“ – oder doch? Filme zu drehen ist ebenso Bedürfnis wie Wirtschaftsprodukt, und wenn man das ökonomische System ohnehin nicht bedienen kann, warum nicht einfach dem Bedürfnis nachgehen?

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Timo Jacobs geht diesen Weg, hat sich einen eigenen „Cowboy“-Charakter geschaffen, den er auf Berlin loslässt, mit Klappe Cowboy (2012) und Mann im Spagat (2016) bis Stand up! Was bleibt, wenn alles weg ist. Angefangen hat er als Darsteller für Klaus Lemke, der ja immer schon für den Undergroundfilm trommelte, dafür, unter dem Radar der Gremien sein Ding durchzuziehen. Ist dies nicht schon die geradezu traditionelle Methode des Maverick, exemplarisch Orson Welles, der seit den 1950ern nurmehr sehr prekär seine Filme drehen konnte und dabei Meisterwerke ablieferte, über Jahre in verschiedenen Ländern von verschiedenen Finanziers produziert. Da wird dann zu einer Kameraeinstellung in Nordafrika der Gegenschuss erst Monate später in Italien oder Griechenland gedreht. Wie es sich halt grade ergab.

 

Die Verantwortung des Publikums

Wie Welles ist Jacobs Schauspieler. Es ist quasi der Brotjob, um seine Regiearbeiten zu finanzieren. Der Idealismus für die Kunst, das kann durchaus eine Qual sein. Hoffentlich eine letztlich für den Schöpfer befriedigende – freilich mit dem steten Problem, dass Filme unter dem Radar des Mainstreams kaum gesehen werden. Filmfestivals helfen – aber wer nicht alle Filme in Saarbrücken oder Hof sichtet, wer nicht beim Filmfest München dabei sein kann, oder bei Achtung Berlin, dem entgeht so manches. Und die Filme entgehen ihrem Publikum.

Sicherlich eine gute Sache, wenn Claudia Roth vorschlägt, die Sichtbarkeit deutscher Filme zu erhöhen, indem „insbesondere die Struktur der Verleihunternehmen in Deutschland gestärkt werden“ soll, wie sie in ihrem Eckpunktepapier zur Filmförderung vom Februar des Jahres schreibt. Aber der Sprung vom kuratierten Filmfestival auf die Kinoleinwände ist weit, und wenn er überhaupt gelingt, dann eben doch nur hin zu ein paar kommunalen Kinos. Ob es da hilfreich ist, dass die Sektion Perspektive Deutsches Kino der Berlinale aufgelöst, die hiesigen Debüts auf die anderen Sektionen des größten deutschen Festivals verteilt werden?

Sparzwang führt zu forcierter Unsichtbarkeit und zu einer Verschiebung der Pflichten von Experten auf den (hoffentlich interessierten) Laien, von kluger Kuratierung durch Filmfestivals und, davon abhängig, von Vorschusslorbeeren, die ein engagierter Verleih für die Vermarktung nutzen kann, hin zum Publikum, das sich mehr bemühen muss, die guten Filme in den guten Kinos zu finden. Wie es sich auch durch den Dschungel der Streamingdienste durchschlagen muss, wo man den Film vor lauter Content nicht mehr sehen kann. Es ist zu viel.

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Dennoch liegt letztlich am Zuschauer, filmischen Enthusiasmus aufzuspüren, die Hingabe von jungen, frischen Filmemachern zur Kunst gegen alle wirtschaftlichen Hindernisse zu finden. Dazu gehört auch die Linie an kleinen, bizarren, absurden, grotesken, farcehaften Produktionen, die keine eigene Bewegung sind, aber doch eine eigene kleine Subsubsparte bilden: Beispielsweise Timm Kröger mit Zerrumpelt Herz 2014; Nikias Chryssos gehört dazu, der mit Der Bunker 2015 debütierte, dem er 2021 A Pure Place folgen ließ; Max Linz, der seinen ganz eigenen filmischen Kosmos schafft von Ich will mich nicht künstlich aufregen (2014) über Weitermachen Sanssouci (2019) bis L’etat et moi (2022); Julian Radlmaier mit seinem Erstling Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes von 2017 und Blutsauger von 2021; die Brüder Ramon und Silvan Zürcher mit dem 2013er Das merkwürdige Kätzchen und dem 2021er Das Mädchen und die Spinne; Das melancholische Mädchen (2019) von Susanne Heinrich gehört dazu, Alexander Koberidzes Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen von 2021 oder Natalia Sinelkikovas Wir könnten genausogut tot sein (2022).

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Es sind absonderlich-wunderliche Filme, die sich absondern vom sonstigen Filmgut, die Preise gewinnen und die Herzen von Festivalbesuchern erobern. Filme, die stark von ihren Autoren geprägt sind, die dabei freilich ihre Weltsicht nicht 1:1 in Film gießen, wie es im klassischen cinéma des auteurs propagiert wird, sondern vielmehr ihre eigene, durchaus (gesellschafts/politik/establishment-)kritische Philosophie ironisch brechen. Filme, in denen das Aufbrechen, fast kubistisch, die Reflexion gleich zum Betrachten mit eingeschweißt ist, die immerzu eigene Metawerke sind – und das, ohne in die viel geschmähte postmoderne Beliebigkeit reiner Spielerei der Form zu rutschen. Knochen und Namen von Fabian Stumm, Premiere in der Berlinale-Perspektive 2023, geht ebenfalls in diese Richtung, Kinostart am 18. Januar 2024. Man kann ihn nur ans Herz legen: Möge das Publikum ihn entdecken!

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