Follow Me (2020)

Jigsaw gefällt das

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

„Look at this – so much content!“, ruft der US-Vlogger Cole (Keegan Allen) begeistert, als er mit seiner Clique einen Nachtclub in Moskau betritt. Die Aussage macht unmissverständlich klar: Im Leben von Cole geht es nicht darum, Schönes zu erleben – sondern Erlebtes direkt zu verwerten, für seinen Social-Media-Kanal und seine zahlreichen Follower. Wir lernen den jungen Mann im Flugzeug kennen, als er eine Videobotschaft an seine Fans schickt. Sein Kumpel Dash (George Janko) hat ihn zur Feier des zehnjährigen Jubiläums seines erfolgreichen Channels auf einen Trip nach Russland eingeladen, um in der dortigen Hauptstadt einen Escape Room zu besuchen. Allerdings nicht irgendeinen Escape Room, sondern einen ganz besonders harten, der speziell für ihn von dem wohlhabenden Alexei (Ronen Rubinstein) entwickelt wurde. Mit von der Partie sind zudem Coles Freundin Erin (Holland Roden) sowie Thomas (Denzel Whitaker) und Sam (Siya).

Interessant an der Eröffnungssequenz von Follow Me ist in erster Linie das Spiel des Hauptdarstellers Keegan Allen. In der bittersüßen Teen-Soap Pretty Little Liars (2010-2017) verkörperte dieser in 90 Serienepisoden einen introvertierten Außenseiter; in der Porno-Krimi-Satire King Cobra (2016) legte er die Rolle eines Mörders irgendwo zwischen Naivität, Trauma und Psychopathie an. Seine Vielseitigkeit hat Allen also bereits bewiesen. Und doch ist es erstaunlich, wie glaubhaft er sich hier all die enervierend-narzisstischen Influencer-Posen angeeignet hat. Eine Studie über junge Menschen, die ihr Dasein stets mit Handykamera festhalten, will der Film allerdings nicht sein. Drehbuchautor und Regisseur Will Wernick hat sich schon in Escape Room (2017) – nicht zu verwechseln mit dem bekannteren, gleichnamigen Werk aus dem Jahre 2019 – mit dem Grusel-Potenzial eines Escape-Room-Aufenthalts befasst; und auch Follow Me zielt vor allem auf Horror-Unterhaltung ab.

Denn natürlich erwartet Cole kein spaßiges Abenteuer, sondern eine fiese Tortur – und uns als Zuschauer_innen ein Mix aus Saw, Teil 1 bis 8 (2004-2017), Hostel (2005) und ähnlichem Terrorkino. Es wird blutig und dreckig; die Figuren müssen Rätsel lösen und sich aus tödlichen Fallen befreien – und sie werden von schaurigen Gestalten gequält. So hatte Cole sich das selbstverständlich nicht vorgestellt. Während er anfangs noch glaubt, alles sei ein Spiel, bangt er bald um sein Leben und um seine Clique. Wie so oft in Werken dieser Art hält sich das Mitfiebern indes in Grenzen, da alle Beteiligten recht charakterlos sind. Über Coles besten Freund Thomas wissen wir eigentlich nur, dass er Thomas heißt und (warum auch immer) Coles bester Freund ist. Ein Mann ohne Eigenschaften. Ebenso sind Erin, Dash und Sam austauschbares Personal, dessen Schicksal wenig mitzureißen vermag. Der Film wartet mit zwei großen Twists auf; der zweite führt zu einem herrlich bösen Schlusspunkt, stellt allerdings kein Novum in der Geschichte des Spannungskinos dar.

Irgendwo in Follow Me steckt ein entschieden reizvollerer Film, der weniger mit dem Aufkochen von Genre-Versatzstücken beschäftigt wäre, sondern einen präziseren Blick für moderne Entertainment-Wege entwickelt hätte. „Why are we watching this“, schreibt eine Person im Live-Chat, als Cole zu Beginn des „Spiels“ mit einer (echten?) Leiche konfrontiert wird; „Why can't I stop watching“, schreibt eine andere Person. Voyeurismus im Social-Media-Zeitalter, die Gier nach immer krasserem „Content“ – aus diesen Ansätzen hätte etwas Wuchtigeres werden können als ein leicht modernisierter Saw- und Hostel-Verschnitt. Jigsaw und dessen Fans werden das vermutlich liken; Zuschauer_innen, die im Horrorkino nach etwas mehr Tiefe suchen, werden dieser Chose womöglich frühzeitig entfolgen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/follow-me-2020