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... und das Kino denkt sich selbst (IV): Kino als Zufluchtsort

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

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Filmstill zu The Fabelmans (2022) von Steven Spielberg
The Fabelmans (2022) von Steven Spielberg

Eskapismus, Trost, Zerstreuung. Ins Kino gehen, um dem Alltag zu entfliehen. Die echte Welt vorübergehend vergessen durch das Eintauchen in eine gemachte Welt. Auch davon erzählt das Kino häufig selbst — aber meist nur in der Vergangenheitsform.

In dem zu Unrecht verrissenen kalifornischen Psychodrama The Canyons (2013) von Paul Schrader (Regie) und Bret Easton Ellis (Skript) gibt es eine sehr pointierte Szene, in der das Model Tara (Lindsay Lohan), das sich an der Entstehung eines Films beteiligt hat, sein in der Film-PR-Branche tätiges Gegenüber fragt: „Do you really like movies? […] When was the last time you went to see a movie in a theater?“ Eine zufriedenstellende Antwort auf ihre Frage erhält Tara nicht. Die Bilder leer stehender, zerfallender Lichtspielhäuser, mit denen Schrader sein Werk eröffnet, sprechen allerdings für sich. Die Figuren in The Canyons suchen sich andere Wege, um vor der Realität zu flüchten. Filme werden hier nur aus Langeweile und Machthunger produziert; ansehen will sie letztlich keiner.

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Das ist natürlich ziemlich schonungslos. Doch das Kino scheint sich selbst nur in der Rückschau als idealen Ort zum (Weg-)Träumen zu sehen. Steven Spielbergs Die Fabelmans etwa beginnt vor einem Kino — im Januar 1952. Der achtjährige Sammy (Mateo Zoryan) darf zum allerersten Mal einen Film auf großer Leinwand sehen, zusammen mit seinen Eltern Mitzi (Michelle Williams) und Burt Fabelman (Paul Dano). Die beiden haben hierfür den aufwendigen Hollywood-Zirkusfilm Die größte Schau der Welt von Cecil B. DeMille auserwählt. Was Sammy dort im riesigen Lichtspieltheater, flankiert von Mitzi und Burt, erblickt, ist dann zunächst zwar eher verstörend — aber es wird zum Ausgangspunkt der Liebe für eine audiovisuelle Wunderwelt, die Sammy im Laufe seines Erwachsenwerdens immer wieder dabei helfen wird, die Härten des realen Lebens zu überstehen.

Auch Empire of Light von Sam Mendes feiert das Kino: das frische Popcorn und die Snacks im Foyer, die mächtigen Filmrollen, die auf ihren Einsatz warten, und die gigantischen Säle, in denen sich die Leute von einem breiten Filmprogramm unterhalten lassen. Angesiedelt ist die Handlung indes im Jahre 1981. Dass sowohl Die Fabelmans als auch Empire of Light trotz Starpower vor und hinter der Kamera keine Hits an den Kinokassen wurden, könnte den Eindruck verstärken, den The Canyons bereits vor einer Dekade vermittelte: dass die Kinokultur ausstirbt; das wir kein Interesse (mehr) daran haben, uns von Filmen ins Reich der Fantasie entführen zu lassen.

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Allerdings ist die Fokussierung auf die Vergangenheit eben auch nichts Neues. In den 1980er Jahren, also jener Ära, in der Empire of Light angesiedelt ist, entstand beispielsweise The Purple Rose of Cairo — ein Film, der wiederum viele Jahrzehnte zurückging, um davon zu erzählen, wie sich eine Frau während der Great Depression ins Kino zurückzieht. Und in den 1950er Jahren, also der Phase, in der Spielbergs Alter Ego in Die Fabelmans das Kino für sich entdeckte, wurde etwa in Singin’ in the Rain die goldene (Kino-)Zeit der 1920er Jahre gefeiert — oder in Boulevard der Dämmerung ebenjener glamourösen Epoche nachgetrauert, inklusive eines traurigen Cameos der Stummfilm-Slapstick-Legende Buster Keaton.

Es wird womöglich noch mindestens 20 bis 30 Jahre dauern, ehe wir das heutige Kino und dessen Bedeutung für uns im Kino selbst abgebildet sehen. Das heißt: Wir können alle dazu beitragen, dass es schöne, ansprechende Bilder werden, die nachfolgende Generationen dann davon zu sehen bekommen — hoffentlich nicht nur daheim auf ihren Endgeräten. Also: When was the last time you went to see a movie in a theater?

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