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Specials

Mut zur Lücke: Twin Peaks

Ein Beitrag von Ipke F. Cornils

Der Kanon ist ein lähmender Imperativ. Eigentlich sollte man alles gesehen haben, die gesamte Filmgeschichte. Hat man aber nicht. In dieser Reihe schreiben unsere Autor*innen über eben jene Lücken, über die man sonst gerne schweigt. Diesmal: David Lynchs „Twin Peaks“. Ipke F. Cornils hatte die Serie nie zu Ende gesehen, obwohl David Lynch ein Idol seiner Jugend war – bis jetzt.

Meinungen
Twin Peaks Vorspann

### Vor der Sichtung ###

Man stelle sich Folgendes vor: Ein Krawattenträger sitzt in einem seltsam eingerichteten, irgendwie unwirklich erscheinenden Raum. Die Möbel, zwei Sessel und eine Stehlampe, sehen massiv und schwer, gleichzeitig futuristisch wie retro aus. Der Teppich hat ein seltsam zackiges Zebramuster und die Wände sind komplett mit rotem Vorhang verkleidet – wenn sich überhaupt Wände hinter dem sich wellenden Samt verbergen. Eine Person in der Größe eines höchstens zehnjährigen Kindes tritt aus einer Vorhangöffnung hervor. Sie hält eine brennende Pik-Aß-Karte in der Hand und macht seltsame Tanzschritte. Als sie zu reden anfängt, klingen die Worte grotesk verzerrt, so als würden sie rückwärts und verlangsamt abgespielt. Unterlegt ist das Ganze mit entspanntem Cool Jazz, der durch seinen intensiven Schlagzeugbesen-Einsatz auffällt.

Erkannt? Viele Film- und Serienfans würden nach der Beschreibung dieser Szene wahrscheinlich sofort Twin Peaks rufen. Was weder komplett falsch noch richtig wäre. Denn hier sitzt nicht Agent Cooper beim Man from another Place, wie der Rollentitel des von Ian Anderson gespielten Kleinwüchsigen im roten Anzug lautet. Wir wohnen einem Traum von Chief Wiggum bei, in dem Lisa verzweifelt versucht, dem begriffsstutzigen Polizeichef Hinweise darauf zu geben, wer in der ersten Folge der siebten Staffel der Simpsons auf Mr. Burns geschossen hat. Die wirklich wichtige Antwort lautet also: Twin Peaks ist eindeutig Teil des allgemeinen (pop-)kulturellen Gedächtnis. Denn was bestätigt einem Werk diesen Status mehr als eine Simpsons-Parodie?

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Bis heute wird die von David Lynch zusammen mit Mark Frost erdachte TV-Serie aus den Neunzigerjahren von einer Vielzahl von Menschen abgöttisch geliebt. In Berlin gibt es z.B. eine Bar, die dieser komplett gewidmet ist. Die vorgebrachten Gründe sind u.a. der kongeniale Soundtrack von Angelo Badalamenti, inklusive des von Julee Cruise gesungenen Intro-Songs, der schräge Humor und subtile Grusel als auch die skurrilen und gleichermaßen liebenswerten Charaktere. Daneben gilt sie als Vorreiter von Mystery-Serien wie Akte X, Lost oder Fringe und inspirierte Videospiele wie Alan Wake oder Deadly Premonition. In letzterem Fall wurde gleich die gesamte Grundhandlung der Serie übernommen: Ein FBI-Agent kommt in ein verschlafenes US-Städtchen voller uriger Einwohner:innen, um die mysteriöse Ermordung eines Teenager-Mädchens aufzuklären. Das Oeuvre David Lynchs an sich markiert derweil für viele Filmfans einer bestimmten Generation den ersten Kontakt mit eher unkonventionellen, künstlerischen Filmen. Viele verfielen daraufhin, euphorisiert von dieser Entdeckung, einer regelrechten Lynch-Manie. Zumindest war das bei mir so. Lynchs Filme flimmerten während meiner Adoleszenz durchgehend über den gemeinsamen Familienfernseher, dazu zitierte ich Anekdoten aus dem Interviewbuch Lynch on Lynch und ließ mir sogar im Copyshop sein Konterfei auf ein T-Shirt drucken.

Selbstverständlich stieß ich während dieser dieser Zeit auch auf Twin Peaks. Schließlich beinhaltet die Serie all das, was allgemein als Lynch-esk angesehen wird: einen schwer nachvollziehbaren Plot, irgendwo zwischen Krimi, Horrorfilm und Traum-Tagebuch, das vermeintliche Idyll einer typisch amerikanischen Kleinstadt, das von bösen Mächten heimgesucht wird, und einen schrulligen, zuweilen albernen Humor. Trotz meiner Lynch-Euphorie und meines Wissen um die kulturelle Bedeutung der Serie, habe ich sie damals nicht zu Ende geschaut. In der Zwischenzeit ist meine Begeisterung  für den Regisseur mit der auffälligen Frisur nach und nach abgeebbt. Man hat halt mittlerweile mehr gesehen. Dennoch blieb in meinem Hinterkopf immer das Gefühl, dass es für mich irgendwann wieder zurück nach Twin Peaks gehen würde…
 

### Welcome to the Fifties ###

Das Wichtigste zuerst: Twin Peaks ist wirklich das Fernsehjuwel, das so viele bis heute in der Serie sehen. Die Mischung aus Murder-Mystery-Story, Lynch-Wahnsinn und ulkiger Daily Soap hat einfach eine unglaubliche Sog-Wirkung, die selbst einen Serienmuffel wie mich zum Binge-Watcher werden lässt. Wurde gerade noch bei Cherry Pie und schwarzem Kaffe im Double R Diner rumgealbert, geht es im nächsten Moment um drogenschwangere Sexpartys voller sadomasochistischer Praktiken. So düster und zugleich leicht und kurzum faszinierend konstruiert die Serie ihre Welt, dass man sich den anfangs erwähnten Lobgesängen gleich anschließen möchte. Sie haben Recht: Der Soundtrack ist genial, der Humor so seltsam wie lustig, der Horror leise, aber effektiv und die Charaktere liebenswerte Eigenbrötler.

Aber wieso hatte ich dann meinen ersten Besuch im verschlafenen Örtchen an der Grenze zu Kanada damals frühzeitig abgebrochen? Staffel zwei hat mir den Grund schlagartig in Erinnerung gerufen: Ab dem Moment, an dem der Mörder Laura Palmers bekannt gegeben wird, verliert die Serie an Faszination. Aus dem selben Grund kamen laut allgemeiner Meinung irgendwann die Zuschauer:innen abhanden, bis die Serie schlussendlich abgesetzt wurde. Wer Twin Peaks gut kennt, wird sich an diese Szene erinnern können: In der Folge direkt nach der Offenbarung wird der Mörder von Agent Cooper und Sheriff Mason im Auto aufgehalten. Wir wissen, dass er der Gesuchte ist und zudem eine weitere Leiche im Kofferraum hat, nur die beiden Ermittler wissen davon nichts. Suspense durch einen solchen divergenten Wissensstand zwischen Publikum und Akteur:innen zu erzeugen, ist ein ganz gewöhnliches erzählerisches Mittel in Film und Fernsehen. Daran gibt es per se nichts zu kritisieren. Nur war Twin Peaks in den Folgen davor halt alles andere, außer gewöhnlich.

"Twin Peaks"
Fünfzigerjahre-Nostalgie? Die Einwohner:innen von Twin Peaks. (© CBS Studios International)

Mit Ende des Falls Laura Palmer begann also der für mich neue Teil der Serie. Und über dessen Verlauf hinweg wurde nicht nur meine Enttäuschung immer größer, sondern auch meine Lynch-kritische Stimme im Kopf immer lauter. Ich bin nicht allein mit dieser Stimme: In den letzen Jahren wird immer häufiger gefragt, welche ideologischen oder politischen Ansichten sich in Lynchs Filmen eigentlich verbergen, statt sie nur als unverständliche, surreale Meisterwerke abzufeiern. Besonders die Frauenfiguren in Lynchs Filmen und deren Fetischisierung der Fünfzigerjahre werden in diesem Kontext häufig kritisch ins Auge genommen und nach und nach verstärkt sich dabei der Eindruck, dass Lynch nicht bloß die Autos, Musik und Mode der Fünfzigerjahre gut findet, sondern auch deren politische Ausrichtung. Owen Gleibermann erinnert in der Variety daran, dass Lynch in den Achtzigerjahren ein ziemlich offenkundiger Supporter Reagans und von dessen Politik war: „It made him feel that the 50s of his youth was still going on, that Fortress America was still here to protect him.“ Auch Twin Peaks ist voll von dieser Fünfzigerjahre-Nostalgie. Weiße Menschen mit Pomade in den Haaren, Cowboy-Hüten auf dem Kopf oder Marilyn-Monroe-Gedächtnis-Schönheitsflecken über der Lippe verteidigen ihr ländliches Kleinstadtidyll gegen böse Kräfte von außen, die in Form der Entität Bob dazu auch noch optisch an einen lateinamerikanischen Hippie erinnern.
 

### Kill Your Idols ###

Problematisch ist auch das manichäistische Weltbild, das dabei zum Ausdruck kommt. In fast allen Werken Lynchs finden wir diese apolitische Vorstellung vom ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, vermutlich nicht unwesentlich durch Lynchs Verbindung zur Szene der transzendentalen Meditation beeinflusst. Tat man diese früher bloß als weitere Schrulle des exzentrischen Regisseurs ab, so weiß man spätestens seit David Sievekings Dokumentation David wants to fly – Ein yogisches Abenteuer, dass Lynch hier einer äußerst geschäftstüchtigen Sekte aufgesessen ist. Wie problematisch das Weltbild ist, wird in einer Sequenz in Twin Peaks besonders deutlich: Kurz nachdem das Familiengeheimnis, um das sich ein Großteil des Falls Laura Palmer dreht, offenbart wurde, philosophieren Agent Cooper und Sheriff Mason über die guten und bösen Kräfte in der Welt, den Kampf zwischen Licht und Dunkelheit, und wie wenig man diesen beeinflussen könne. Dabei ist das, was die Figur Laura Palmer erlebt hat, nämlich sexueller Missbrauch, für viele Menschen bittere Realität. Nun stelle man sich mal vor, jemand würde diesen Menschen raten, wie es die Serie indirekt tut, die Dinge hinzunehmen wie sie sind, weil alles um uns herum ja eh von irgendwelchen metaphysischen Kräften vorherbestimmt sei. Man solle einfach seinen inneren Frieden finden. Ganz ehrlich: Das ist schon eine echt gräßliche New-Age-, Achtsamkeits-, Meditationsideolgie.

"David wants to fly"
Filmstill aus „David Wants To Fly“ (© Lichtblick)

Dass Lynchs Filme so freudianisch sind, dass dies fast schon parodistisch wirkt, erkennt wahrscheinlich jede:r sofort, der:die sich schon einmal näher mit dem Werk des Erfinders der Psychoanalyse beschäftigt hat. Besonders der „Hure-Madonna-Komplex“ begegnet einem bei Lynch immer wieder: In seinem anderem großen Fifties-Revivalwerk Blue Velvet kann man dies am deutlichsten in Form der älteren Femme Fatale Dorothy mit ihrem Hang zu kinky Sexpraktiken sowie der reinen, mädchenhaften Polizeichef-Tochter Sandy beobachten. Für wen sich Hauptprotagonist Jeffrey am Ende entscheidet, ist klar. Die provozierende, verwöhnte, aber im Herzen doch gute Millionärstochter Audrey aus Twin Peaks lässt sich nicht so eindeutig einer der beiden fragwürdigen Kategorien zuordnen. Gegen die unberührte, im Internat aufgewachsene Annie hat sie trotzdem keine Chance. Trotz ihrer Avancen entscheidet sich Cooper nicht für Audrey – weil sie mit ihren 18 Jahren fast noch ein Kind ist, könnte man denken. Dies scheint aber weniger ein Problem zu sein, als dass sie undercover im Bordell ihres Vaters war. Dabei hat sie Cooper ganz ehrlich versichert, dass sie dort nichts getan habe – als sei das entscheidend angesichts dessen, was ihr dort passiert ist: Sie wurde gefangengenommen, unter Drogen gesetzt und fast von ihrem eigenen Vater entjungfert. Auch in Lost Highway gibt es dieses Motiv: Die schlimmste Vorstellung eines jeden Mannes ist, dass seine Frau eine Schlampe sein könnte.

Zugegeben: Auch die großen Twin-Peaks-Anhänger:innen blieben für lange Zeit unversöhnt mit den späteren Folgen ihrer Lieblingsserie. „Was wäre möglich gewesen, wenn Lynch und Frost durchgehend die volle kreative Kontrolle gehabt hätten?“ Über dieser Frage zermarterten sie sich die Köpfe. Mehrere Jahrzehnte später sollten sie mit Twin Peaks: The Return endlich eine Antwort und einen auf Endstufe geschalteten Lynch erhalten. Da ist es wieder, das Außergewöhnliche! Ich habe jede Sekunde der dritten Staffel genossen. Aber erneut stellten sich mir beim weiteren Nachdenken Fragen: Ist das nicht irgendwie auch Trumps Amerika? Entspricht Twin Peaks: The Return nicht auch der in Trumps Wahlkampf propagierten Vorstellung von einer komplett disruptiven Welt, die insgeheim von unsichtbaren dunklen Kräften beherrscht wird und daher ganz dringend eine starke, klare Führungshand braucht?

Ich werde Lynch wahrscheinlich nie wieder so lobpreisen können wie ich es als Teenager tat. Denn selbst wenn Lynch kein direkter Trump-Supporter ist, wie angesichts bestimmter Äußerungen von ihm 2018 mal diskutiert wurde, ist mir sein Weltbild doch irgendwie zu konservativ und schwurbelig. Und so hat mir mein erneuter Besuch in Twin Peaks vor allem gezeigt, wie ich es in Zukunft mit meinem einstigen Jugendidol halten werde. Mit den Worten von Eric Cohen bei IndieWire: „You don’t need to agree with that worldview to relish his astonishing, singular vision.“

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