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Nicolas Cage – viel mehr als der König der Memes

Ein Beitrag von Christopher Diekhaus

Nic The Cage. Kein Schauspieler ist so sehr Meme-Kultur geworden. Verlacht, verehrt und respektiert. Kino-Zeit wirft einen Blick auf den Exzentriker.

Meinungen
Cage

Wie es sich anfühlt, die Kontrolle zu verlieren, erlebte Nicolas Cage, als er irgendwann in den 2000er-Jahren erstmals zum Hauptdarsteller in sogenannten Memes wurde. Das sind im Internet verbreitete Bilder und Videos, die sich über sein exzessives Schauspiel lustig machen. Die von ihm schmerzerfüllt hinausgebrüllte Bitte „Not the Bees!“ dürfte vielen Menschen ein Begriff sein, auch wenn sie den Film, aus dem sie stammt, nie gesehen haben. In zahlreichen kleinen Zusammenschnitten wurden die verrücktesten Cage-Momente aus dem übel verrissenen Horrorthriller „Wicker Man – Ritual des Bösen“ (2006) aneinandergereiht und entwickelten rasch ein Eigenleben. Bis heute basteln YouTuber*innen und andere Onlinepublizist*innen eifrig an immer neuen Cage-Gedächtnis-Memes, denen der US-Darsteller nach eigenem Bekunden früher frustriert gegenüberstand.

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Um Kontrollverlust und die Unmöglichkeit, das eigene öffentliche Bild zu beherrschen, geht es auch in Cages jüngstem hierzulande veröffentlichten Spielfilm Dream Scenario (2023). Mit Halbglatze und Brille verkörpert der 1964 in die Coppola-Familie hineingeborene Mime einen Spießer, der von seinem Durchschnittsleben gelangweilt ist und sich nach etwas mehr Beachtung sehnt. Und siehe da, sein Wunsch wird erhört. Denn plötzlich taucht dieser Paul Matthews nicht nur in den Träumen seiner engsten Vertrauten auf, sondern besucht auch wildfremde Menschen im Schlaf. Die Konsequenz? Ein weltweiter Hype, auf den sich der Biologiedozent zunächst bereitwillig einlässt. Die Schattenseiten des unverhofften Ruhms lernt er allerdings rasch kennen. Denn als sich das Verhalten seines Traum-Alter-Egos ändert, soll sich Matthews auf einmal für Dinge verantworten, die er überhaupt nicht steuern kann.

Not just a meme

Was Kristoffer Borglis surreale Satire neben ihren atmosphärischen Qualitäten so spannend macht? Cages Performance, die sich zwischen ganz unterschiedlichen Polen bewegt – und damit belegt, dass er mehr ist als der Over-the-top-Schauspieler, zu dem ihn die Memes reduzieren. Schon früh in seiner Karriere, die Anfang der 1980er Jahre mit Ich glaub‘ ich steh‘ im Wald (1982), Valley Girl (1983) und Rumble Fish (1983) langsam ins Rollen kam, sah sich Nicolas Kim Coppola, so sein Geburtsname, mit Kritik an seinem exaltierten Stil konfrontiert.

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In der Startphase bemühte sich der aufstrebende Darsteller darum, unter anderem in Rumble Fish und Peggy Sue hat geheiratet (1986), von seinem berühmten Onkel Francis Ford Coppola besetzt, auf eigenen Beinen zu stehen. Der erste wichtige Schritt: Ein Künstlername! Bereits in Valley Girl tauchte er als Nicolas Cage im Abspann auf. Als großer Comic-Fan entlieh er seinen neuen Nachnamen dem Marvel-Superhelden Luke Cage. Eine witzige Wahl. Mag die Bedeutung des Wortes doch so gar nicht zu ihm und seinem Leinwandschaffen passen. In einen Käfig sperren, einzwängen ließ sich Nicolas Cage bis heute jedenfalls nicht.

Große Emotionen. Ungebändigtes Temperament.

Temperament und eine Vorliebe für groß ausgelebte Emotionen bewies Cage auch in seinen ersten stärker beachteten Auftritten. Zu nennen ist hier neben der romantischen Komödie Mondsüchtig (1987) vor allem David Lynchs furioses Roadmovie Wild at Heart: Die Geschichte von Sailor und Lula, der Cannes-Gewinner von 1990. „Das ist eine Schlangenlederjacke. Sie ist ein Symbol meiner Individualität und meines Glaubens an die persönliche Freiheit“, proklamiert Cages Figur, der gerade aus der Haft entlassene Tunichtgut Sailor Ripley, mit Blick auf sein ungewöhnliches Kleidungsstück. Ein Zuviel an Energie drückt sich in Sailors Gewalteskalation zum Einstieg, in seinen wilden Kung-Fu-Tanzeinlagen und seinem unstillbaren Sexdurst aus. Unerschrocken warf sich Cage in diese Larger-than-life-Rolle und zementierte ein Image, das ihn fortan begleiten sollte.

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Zum Tragen kommt die manische Ader seines Spiels einmal mehr in seinem Oscar-Triumph Leaving Las Vegas (1995), einer bitteren Studie über einen alkoholsüchtigen Drehbuchautor namens Ben, der sich in der Glücksmetropole schlechthin zu Tode saufen will. Schreiend und augenrollend ist Cage hier mehrfach zu sehen. Gleichzeitig blitzt aber auch das auf, was ihm viele Kritiker*innen leichthin absprechen: die Fähigkeit, leise Töne anzustimmen. Durch Mark und Bein geht beispielsweise Bens leerer, melancholischer Blick, als ihn die Prostituierte Sera (Elisabeth Shue), seine Partnerin für die letzten Tage in seinem Leben, bittet, endlich auch etwas für sie zu tun. Ein herzzerreißender Moment, denn alles, was wir sehen, ist ein gebrochener Mann, zu dem die flehentlichen Worte nicht durchdringen.

Unwahrscheinlicher Actionheld

Das Mitwirken in den Actionfilmen The Rock: Fels der Entscheidung (1996), Con Air (1997) und Im Körper des Feindes (1997) spülte Cage Ende der 1990er-Jahre dann in die Erste Liga Hollywoods. Bezeichnend allerdings, dass er sich nicht komplett von der Studioindustrie vereinnahmen ließ. In den 2000er-Jahren drehte er anspruchslose Blockbuster-Ware wie Das Vermächtnis der Tempelritter (2004), nahm aber auch weiterhin herausfordernde Rollen an. Martin Scorseses sträflich unterschätzter Großstadtalbtraum Bringing Out the Dead – Nächte der Erinnerung (1999), der Cage als desillusionierten Rettungssanitäter zeigt, und Spike Jonzes Meta-Tragikomödie Adaption – Der Orchideen-Dieb (2002), in der er zwei Drehbuch schreibende Zwillingsbrüder verkörpert, zeugen von großer Lust an unkonventionellen Charakteren und Geschichten.

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Dass er in dieser Zeit besonders mit Wicker Man – Ritual des Bösen Schiffbruch erlitt und viel Häme einstecken musste, ist fast schon tragisch. Auch wenn der Film, ein Remake des bizarren Folk-Horror-Klassikers The Wicker Man (1973), erzählerisch und darstellerisch aus dem Ruder läuft, demonstriert er Cages bedingungslosen Einsatz, wenn es um eigene Leidenschaften und Interessen geht. Als großer Fan des schrägen Originals trieb er auch als Produzent die Neuauflage entscheidend voran.

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Einen Richtungswechsel folgte dann ungefähr 2011: mit dem Abschied vom großen Studiozirkus. Ganz bewusst, wie er selbst betonte. Immerhin seien Spontaneität und Improvisation – wichtige Elemente seiner Arbeit – im Hollywood-System nicht mehr möglich. Vor allem gegen Ende der Dekade steigerte er seine Produktivität enorm, drehte teilweise sechs Filme pro Jahr, wobei die Qualität dabei nicht selten auf der Strecke blieb. Fand er früher regelmäßig auf der Leinwand statt, entwickelte sich nun der Direct-to-Video-Bereich zu seinem Hauptbetätigungsfeld. Einfach gestrickte Action- oder Thriller-Werke wie Pakt der Rache (2011) und The Watcher – Willkommen im Motor Way Motel (2018) gingen in Serie an den Start, begleitet von echten Gurken wie dem Fantasy-Streifen Left Behind (2014) oder dem Horrorunfall Pay the Ghost (2015). Drei seiner fünf Schauspielnominierungen für die Goldene Himbeere, den berüchtigten Anti-Oscar, erhielt er in ebendieser Schaffensphase, was das in den Medien oft beschworene Bild des abgestürzten Stars untermauerte.

Sich aus den Memes spielen

Zwei Dinge werden in der Betrachtung jedoch gerne unterschlagen: Im Gegensatz zu vielen anderen Filmgrößen mit Karriereknick kann man Cage selten Lustlosigkeit vorwerfen. Seine Parts spielt er nicht einfach runter, sondern bemüht sich, seinen Figuren markante Eigenarten zu verleihen. Die um die toxische Beziehung zwischen Dracula und seinem treuen Diener kreisende Horrorkomödie Renfield (2023) etwa macht deutlich zu wenig aus ihrer interessanten Prämisse. Als ikonischer Vampirfürst reißt Nicolas Cage, der sich für die deutsche Dracula-Variation Nosferatu, eine Symphonie des Grauens (1922) schwer begeistern kann, aber jede Szene an sich.

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Ein weiteres Beispiel: Werner Herzogs Krimigroteske Bad Lieutenant: Cop ohne Gewissen (2009). Als drogensüchtiger Polizist mit irrem Blick und wilden Grimassen ist er fast ständig im Amokmodus. Ein Gefühl für das Rückenleiden des Protagonisten vermittelt er allerdings durch eine schiefe, immer schlimmer werdende Körperhaltung. Ein Moment für die Ewigkeit auch der Augenblick, in dem sein Cop völlig zugedröhnt, sich fahrig rasierend hinter einer Tür zum Vorschein kommt, um zwei Frauen brutal in die Mangel zu nehmen. Schwer vorstellbar, dass dieser Auftritt so im Drehbuch stand.

Wer bei Cage stets nur auf den nächsten Ausbruch, die nächste Gesichtsentgleisung wartet, läuft Gefahr, Nuancen und ruhige Passagen zu übersehen. In David Gordon Greens Provinzdrama Joe – Die Rache ist sein (2013) gibt der Vollblutmime einen Ex-Kriminellen, der seine Vergangenheit hinter sich lassen will, in dem es jedoch spürbar brodelt. Die große Kunst in diesem Fall: wie natürlich sich der Starschauspieler in ein Ensemble einfügt, das zahlreiche Laien vereint. Noch eindrucksvoller ist sicher Pig (2021), wo Cage mit zauseligen Haaren einen zurückgezogen im Wald lebenden Ex-Sternekoch verkörpert.

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Ein Mann, der früher auf der Höhe seiner Kunst war, dann aber von der großen Bühne abtrat – irgendwie erinnert das an seine eigene Karriere. Hinzu kommt ein spannender Bruch mit den Erwartungen. Obwohl Cages Figur nach der Entführung ihres geliebten Trüffelschweins auf einen enthemmten Cage-Rachefeldzug à la Mandy (2018) gehen könnte, bleibt es erstaunlich ruhig. Zurückgenommen wie selten, mit kontrollierten Bewegungen und starrem Blick, lässt der Hauptdarsteller seinen Waldschrat die Fährte aufnehmen.

Ein kleiner Coup war nicht zuletzt die Actionkomödie Massive Talent (2022), in der Cage eine fiktionalisierte Version seiner selbst zum Besten gibt und sich herrlich uneitel präsentiert. Sein turbulentes und exzessives Privatleben (fünf Ehen, skurrile Sammelleidenschaften, extravagante Immobilien und beträchtliche Steuerschulden) wird darin ebenso augenzwinkernd behandelt wie seine ausdrucksfreudige Schauspielkunst, die er gerne als Nouveau Shamanic bezeichnet.

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Etwas Selbstironisches haftet auch dem nun startenden Dream Scenario an. Nicht nur tritt Energiebündel Cage hier eine Hälfte lang als Inbegriff des Biedermanns auf, der im Grunde nie aus der Haut fährt. Sein Collegeprofessor erscheint in den oft horrorartigen Träumen seiner Mitmenschen überdies als passiver Beobachter, der stoisch jede Panik um sich herum ignoriert, keinen Finger krümmt, um zu helfen. Wie könnte man den Vorwurf, nur einen Gefühlszustand zu beherrschen, ständig am Anschlag zu spielen, schöner unterlaufen?

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