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Das Museum im Kino

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

Museen und Kinos sind die Tempel verschiedener Religionen, die denselben Gott verehren, ihn aber unterschiedlich benennen. Zwei Gebäude, die man aus ähnlichen und doch gänzlich verschiedenen Gründen besucht. Glaubt man ihren Namen, leben im einen Schutzgöttinnen der Künste, im anderen erfasste Bewegungen. Irgendwo in der Vergangenheit der Glaubensrichtungen liegt ein Schisma und heute bleiben nur die diversen Formen ökumenischer Messen, um eine Einheit zwischen ihnen zu erleben.

Meinungen
Filmstill aus Francofonia
Filmstill aus "Francofonia"

Alexander Sokurows Francofonia läuft aktuell in den deutschen Kinos und zeigt, wie schön ein solches Zusammentreffen sein kann; wie viel es zwischen diesen alten Freunden zu besprechen gibt, die sich viel zu selten sehen. „Wer würden wir ohne Museen sein?“, fragt er in seinem filmischen Essay, das vor dem Hintergrund des von den Nazis besetzten Paris von der Widerstandsfähigkeit der Kunst erzählt – und von ihrer Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen. Vor allem aber geht es um den Louvre, das wahrscheinlich berühmteste Museum der Welt.

Das Kino eröffnet seinem Publikum eine schier unendliche Zahl von Räumen (von denen viele nur auf der Leinwand existieren) und weist ihnen eine Rolle zu. Die Feststellung, dass Städte, Gebäude und Landschaften selbst zu Haupt- und Nebendarstellern werden können, ist keine neue. Man denke nur an das Monument Valley, wohl der größte Westernstar neben John Wayne und Clint Eastwood. Oder an das Sixth Street Viaduct, das man immer und immer wieder sieht und trotzdem vor allem flüchtig kennt. Thom Andersen lag richtig, als er sein wundervolles Filmessay über die „Stadt der Engel“ Los Angeles Plays Itself betitelte. Schauspieler repräsentieren, was sie nicht wirklich sind, für Leinwand-Orte gilt dasselbe.

Wie diese Rollen heißen, erfährt man oft nur aus Drehbüchern. Dort liest man dann am Anfang einer Szene beispielsweise „Kosmetikgeschäft“, „Polizeiwache“ oder „Heruntergekommenes Hotelzimmer“; so wie Darsteller „Polizist“, „Taxifahrer“ und „Wütender Passant“ spielen.

Schauplätze können mythologische und symbolische Qualitäten haben, viele erzählen allein durch ihre Präsenz eine eigene Geschichte. Jedem Cineasten ist bewusst, dass sich in einem Saloon zwielichtige Gestalten herumtreiben, dass es in einem verlassenen Schloss spukt und ein arabischer Markt quasi eine manifestierte Herausforderung zu einer Verfolgungsjagd an James Bond oder Indiana Jones ist. Und ein Museum?

Russian Ark
Filmstill aus Russian Ark; Copyright: DCM Filmdistribution

 

Das ist schon im Fall von Francofonia nicht so leicht zu beantworten. Für Sokurow sind sowohl der Louvre als auch die Eremitage in Russian Ark zuerst einmal Geisterhäuser, in denen historische Persönlichkeiten wie Peter der Große oder Napoleon Bonaparte wandeln, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Das Museum ist ein Ort der Gleichzeitigkeit, an dem Vergangenheit und Gegenwart einander begegnen. Es ist kein Zufall, dass John Ferguson in Hitchcocks Vertigo – der deutsche Zusatztitel lautet passenderweise Aus dem Reich der Toten – Madeleine Elster ausgerechnet in eine Galerie verfolgt. Viele von Hitchcocks Filmen spielen in Museen, beispielsweise das Finale von Erpressung (British Museum) oder längere Sequenzen von Der Fremde im Zug (National Gallery) und Der zerrissene Vorhang (Alte Nationalgalerie).

Kunstwerke und Geister verbindet, dass sie Teil einer vergangenen Welt sind, die in der bestehenden nachhallen. Schon durch ihre Existenz fordern sie die Gegenwart heraus. Nicht nur in Horrorgeschichten wird aus „art imitates life“ oftmals „art initiates life“. Gemälde werden mit einem Eigenleben und als Portale in andere Welten dargestellt, von Literaten wie H.P. Lovecraft, Lewis Caroll und Roald Dahl, in psychologischen Dramen wie Lynchs Twin Peaks – Der Film bis hin zu Blockbustern wie Ghostbusters II oder Kinderunterhaltung wie Looney Tunes: Back in Action. Sokurows Russian Ark trägt in Deutschland den dezent sperrigen Zusatztitel Eine einzigartige Zeitreise durch die Eremitage, weil die Kamera nicht nur durch den Winterpalast in Sankt Petersburg, sondern gleich durch die russische Historie fährt.

Museen versprechen, Geschichte lebendig zu machen. In der zumindest finanziell erfolgreichen Nachts im Museum-Reihe passiert genau das: Der Nachtwächter Larry muss sich während seiner Schichten im Museum of Natural History mit einem Tyrannosaurus Rex, einem wütenden Pharao und Gaius Octavius herumschlagen, die allesamt von unbelebten Ausstellungsstücken zu realen Bedrohungen werden. Als später jedoch Verbrecher wertvolle Kunstschätze rauben wollen, passiert genau das, was man sich auch im Fall der Nazis im Louvre gewünscht hätte: Das Museumsinnenleben macht mobil gegen die äußeren Bedrohungen.

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Trailer zu Nachts im Museum von Shawn Levy

 

Es ist eines der vielen Szenarien, in denen die moving pictures ihrem Namen alle Ehre machen. Mit den auf den ersten Blick unbewegten Bildern einer Galerie konfrontiert, kann das Kino gar nicht anders, als sie in Bewegung zu versetzen. (Natürlich ist das nichts Ungewöhnliches – welche Kunstform verformt fremde Stoffe nicht nach ihren jeweiligen Anforderungen und Regeln?)  Zauberkünstler und Kinopionier Georges Méliès präsentierte die Magie und technische Innovation des Kinos gleich mehrfach im Kleinen, beispielsweise 1899 in Das mysteriöse Porträt. Auch Alain Resnais animierte mit schnellen Schnitten, wilder Kameraarbeit und Soundeffekten Picassos Guernica in seinem gleichnamigen Kurzfilm. Und Gene Kelly tanzt im großen Finale von Ein Amerikaner in Paris durch Imitationen der Werke von Renoir, Rosseau und van Gogh, als wären sie immer schon als Kulisse für ein Ballett zu Gershwin-Musik konzipiert gewesen. Das kann man unterschiedlich deuten: Zum einen zeigt sich hier wieder einmal die besitzergreifende Fratze des Kinos, andererseits sind Museen auf der Leinwand vielleicht so schön, weil die manchmal erbarmungswürdige Gefangenschaft der Kunst durch das freie Auge der Kamera negiert wird.

Museum Hours
Filmstill aus Museum Hours; Copyright: Arsenal Institut

 

Natürlich funktioniert die gesamte Logik von Bewegung und Beschleunigung auch umgekehrt: Wenn es einen Regisseur nach Ruhe und Kontemplation verlangt, schickt er seine Figuren ins Museum. Im Kino kann man sich nicht aussuchen, was man sehen will, wie lange, aus welchem Winkel. Die Protagonisten aus John Hughes Highschool-Komödie Ferris macht blau sind weder sonderlich nachdenklich noch übermäßig kultiviert, aber selbst die verspielten Teenager können sich der Magie von Georges-Pierre Seurats Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte nicht entziehen. Jem Cohens Museum Hours erzählt die Geschichte eines ehemaligen Rock- und Punkband-Managers, der sich vor dem Lärm seiner früheren Profession in die Stille des Kunsthistorischen Museums in Wien gerettet hat.

In seiner vordergründigen Beschaulichkeit ist das Museum im Kino oft ein Ort des Konservativen: Hinter roten Kordeln und in goldenen Rahmen hat hier alles seinen Platz und seine Richtigkeit und das in sich Ruhende wird zum Stillstand umgedeutet. Ausgestellt wird dort dann neben Kunst vor allem aristokratischer Kontrollwahn und bürgerliche Spießigkeit. In Howard Hawks Screwball-Komödie Leoparden küßt man nicht spielt Cary Grant einen Paläontologen, dessen größtes Ziel im Leben darin besteht, das ausgestellte Brontosaurus-Skelett fertigzustellen. Wenn Katharine Hepburn das Gerippe am Ende des Films zum Einsturz bringt, ist auch ein starres, verknöchertes Weltbild dahin. Dass keiner der Filme der Marx Brothers in einem Museum spielte, ist rückblickend nur schwer zu erklären.

Das Kino hat sein Selbstverständnis als demokratische Begegnungsstätte schon immer ostentativ nach außen getragen. Auch indem es andere kulturelle Institutionen wie Theater, Oper oder eben das Museum als elitär brandmarkte und diese Räume zu Elfenbeintürmen erklärte. Wer im Film ein Museum besucht, ist oft abgehoben und intellektuell. Nicht umsonst fühlen sich die Figuren von Woody Allen und Noah Baumbach hier besonders wohl. Sicher, Mary Wilkes aus Manhattan mag die meisten Ausstellungsstücke im New Yorker Guggenheim Museum für „Bullshit“ halten, trotzdem scheinen sie und Allens Isaac Davis wie für ein Leben zwischen Cézanne und Gauguin geschaffen. Und Walt Berkman erkennt sein inneres Ringen in Der Tintenfisch und der Wal in einem Diorama wieder, das (so oder so ähnlich) im American Museum of Natural History hängt. Manchmal wirken diese Filme dann, als wollten sie dem Publikum schmeicheln und zu einem Surrogat für eine andere Erfahrung werden. Der Kinobesuch als Ersatz für den des Museums.

Der Tintenfisch und der Wal
Filmstill aus Der Tintenfisch und der Wal; Copyright: Sony Pictures Germany

 

Dem Pöbel bleiben angesichts der unsichtbaren Mauern vor den Kunsthallen dann eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Godards Außenseiterbande hetzt demonstrativ so schnell durch den Louvre, wie es ihnen möglich ist. Bei nur 9 Minuten und 45 Sekunden Aufenthalt (so der aufgestellte „Rekord“) verschwimmen Gemälde und Skulpturen und erscheinen unbedeutend angesichts der Bewegung, über die sich das Kino definiert. Der Erneuerer Godard bringt seine Verachtung zum Ausdruck. Doch das Kino ist schnelllebig: Bertoluccis Träumer unterbieten die Bestzeit knapp vierzig Jahre später deutlich. Während Verfolgungsjagden durch Ausstellungen, wie etwa in The International oder Coogans großer Bluff, sieht man von der Kunst wahrscheinlich sogar noch weniger.

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Ausschnitt aus Die Außenseiterbande von Jean-Luc Godard

 

Die andere Möglichkeit besteht in einem direkten Angriff: In den zahllosen Filmen über Diamantenraub oder sonstigen Einbrüchen in ein Museum – Topkapi, Der rosarote Panther kehrt zurück, Wie klaut man eine Million?, vielleicht sogar das Wallace & Gromit-Abenteuer Die Techno-Hose – wirkt es oft, als ginge es darum, das Herz einer herrschaftlichen Festung zu stehlen. Würde es den Schurken nicht um die persönliche Bereicherung gehen, könnte man darin fast das Gegenstück zu Indiana Jones’ Expeditionen (Raubzügen?) sehen. Diese stehen ja bekanntermaßen unter dem Motto: „Es gehört in ein Museum!“

Auch davon erzählt Francofonia: Aus dem Off erklärt Sokurow eine Sphinx-Skulptur zur Gefangenen. Kritisch betrachtet können Museen Schatzkammern der Reichen und Mächtigen sein. Zoos, in denen Imperatoren Opfergaben und Raubgut unterjochter Zivilisationen zur Schau stellen. Der Film erzählt von mit Kunstwerken beladenen Schiffen, die im Meer versinken. Die Frage, wieso Kunst einen Sammelpunkt braucht, steht im Raum.

Es ist nur einer von vielen Streitpunkten, die dort ausgehandelt werden. Dokumentarfilme wie Frederick Wisemans National Gallery oder Johannes Holzhausens Das große Museum wagen sich in all die kleinen Ritzen und Verwaltungsapparate, in denen aus genau solchen theoretischen Erwägungen Praxis wird. Museen sind nun einmal auch ökonomischen Zwängen unterworfen. Wo es in Francofonia noch um das pure Überleben geht, wird hier der gleichzeitig grau-biedere und bunt-chaotische Alltag in Friedenszeiten geschildert.

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Trailer zu National Gallery von Frederick Wiseman

 

Die Bilder, Formen, Räume und Bewegungen des Museums im Kino sind so facettenreich wie die Ausstellungen und Kunstwerke, die es überall auf dem Globus in diesen Gebäuden zu bestaunen gibt. Francofonia endet mit einem Pakt zwischen Franz Wolff-Metternich, der den euphemistisch „Kunstschutz“ benannten Teil der Wehrmacht leitete, und dem damaligen Louvre-Direktor Jacques Jaujard. Gemeinsam bewahrten die Männer Schätze, die für immer hätten verloren gehen können. Und so funktioniert wohl die Beziehung zwischen Kino und Museum. Es ist nicht immer Liebe in den Augen beider Seiten, aber man erkennt die Stärken des anderen an und arbeitet zusammen, wo man kann. Man glaubt nicht dasselbe, lebt und liebt anders – aber man will, wenn alles gesagt und getan ist – dasselbe. Sokurows Film appelliert an das Museum, bekommt aber keine wirkliche Antwort. Aber derer gab es zuvor ja genug. Auf eine weitere kommt es wirklich nicht an.

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