National Gallery (2014)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Tags im Museum

Es beginnt beinahe wie eine Diaschau: Wir sehen Bilder, Bildausschnitte, leere Museumsräume und -fluchten. Fast scheint die National Gallery in London in diesen ersten Momenten so etwas wie eine schlafende Schönheit zu sein, ein Gebilde, in dem die Bilder und Kunstwerke ganz für sich sind und über Nacht, so könnte man imaginieren, ein geheimnisvolles Eigenleben führen.

Nun aber schlafen sie, ruhen sich aus von den Jahrhunderte alten Abenteuern und Geschichten, die sie schon gesehen und erlebt haben. Bis ein Angestellter des altehrwürdigen Hauses, in dem sie ihre Ruhe gefunden haben, mit einer Bohnermaschine die Stille jäh zerstört.

Dann belebt sich der Film; die Menschen, die als Besucher in das Museum strömen und die Mitarbeiter, die vor und hinter den Kulissen der National Gallery wirken, nehmen ihre Plätze ein. Besonders beeindruckend sind dabei zu Beginn die verschiedenen Museumsführer, die mit viel Verve, Fachwissen und Eloquenz die Bilder erläutern, verschiedene Blickwinkel erläutern, Kleinkindern ebenso wie Jugendlichen und Erwachsenen etwas zu vermitteln wissen, das diese mit in die Welt da draußen nehmen können. Fast immer geht es um die Faszination an Geschichten, um die versteckten Details, die versteckten Hinweise, um die Einordnung dessen, was man zu sehen bekommt, in die historische Lebenswelt und um die Vermittlung, das Näherbringen, kurz: um die Liebe zu Bildern und dem, was sich hinter ihnen verbirgt.

Frederick Wisemans knapp dreistündige Studie des Innenlebens einer Kulturinstitution von Weltrang gleicht fast ein wenig jener Röntgenaufnahme eines Reiterbildes, das der Restaurator der National Gallery an einer der schönsten Stellen des Filmes vorstellt. Seine detailreichen Erläuterungen vor den Kollegen über die Schwierigkeiten und Herausforderungen während der Arbeit an dem Bild beginnen den Zuschauer (zumindest den, der nicht selbst die gleiche Profession ausübt wie dieser durchaus eloquente Mann) gerade ein wenig zu ermüden, dann folgt eine Pointe, die beinahe wie ein Zaubertrick anmutet, mit der schlagartig das Interesse des Betrachters von Neuem geweckt wird. Bei der Röntgenaufnahme des Bildes nämlich stellte sich heraus, dass unter dem eigentlichen Bild ein zweites verborgen ist, die Ansicht eines Mannes ohne Pferd, die später übermalt und in Details wiederverwendet wurde.

Frederick Wisemans Einblicke in das Innenleben der National Gallery erhebt nicht den Anspruch, ein vollständiges Bild des Museums nachzuzeichnen — die Menschen, die er hauptsächlich zeigt, stehen fast ausschließlich in direkter Verbindung mit den Exponaten, sie wirken als Führer, Restauratoren, Ausstellungsmacher, Museumspädagogen oder Marketingexperten, die mit viel Sinn und Verstand über das Image des Museums wachen und die dabei immer wieder die Balance finden müssen zwischen der Grundidee ihres Hauses und dem immer mehr in den Vordergrund tretenden Eventcharakter, ohne den heute auch auf ihrem Feld nichts mehr geht. Eine Ahnung davon bekommt man am Ende des Films, wenn eine Lesung und eine Ballettaufführung vor den Bildern stattfinden. So ganz ohne Kompromisse geht es dann eben doch nicht — der kurz zuvor auf einem Gemälde gezeigte Wettstreit der Künste erfordert in Zeiten harter Konkurrenz um Fördergelder und knapper werdender öffentlicher Ausgaben für den Bereich Kultur just genau das, was man eigentlich verhindern wollte. Dennoch kann man diesen Kulturpessimismus oder -realismus in Wisemans Film allenfalls erahnen. Wie man überhaupt Kritisches in National Gallery eher mit der Lupe suchen muss.

Im Vergleich zu den früheren Arbeiten Wisemans fällt auf, dass soziale Fragestellungen für den Filmemacher kaum mehr von Interesse sind. Niemals sehen wir die kleinen Arbeiter und Angestellten des Museums, bekommen keine Ahnung davon vermittelt, wie eigentlich ihr schlecht bezahlter und unterfordernder Arbeitsalltag aussieht, erfahren nichts über die Probleme, die in einem Mikrokosmos wie dem Museum herrschen, hören nie etwas von Spannungen, Auseinandersetzungen oder Zwistigkeiten. In Wisemans idealisierter Welt ist kein Platz für solche Widrigkeiten und unerfreulichen Phänomene, so scheint es.

Trotz dieser Auslassungen, der enormen Länge von fast drei Stunden und seiner unverhohlen bildungsbürgerlichen Zielrichtung ist National Gallery dennoch ein unglaublich kurzweiliger und interessanter Film, der immer wieder Überraschendes zutage zu fördern versteht. Er verdeutlicht den Wert der Kultur und die Mühe, die ihre Erhaltung, ihre Pflege und vor allem das Vermitteln erfordert. Und man ertappt sich fast dabei, dass man sich wünschen würde, Wiseman möge sich als nächstes Projekt einer Filminstitution zuwenden — die Begeisterung, die er für den Gegenstand seiner Betrachtung zu wecken versteht, täte dem Kino und all den Menschen, die sich tagtäglich dafür einsetzen, gut. Wenn er dann noch den Finger auf die reichlich vorhandenen Wunden und Missstände legen würde, dann würde das ein Film werden, auf den man tatsächlich gewartet hätte.
 

National Gallery (2014)

Es beginnt beinahe wie eine Diaschau: Wir sehen Bilder, Bildausschnitte, leere Museumsräume und -fluchten. Fast scheint die National Gallery in London in diesen ersten Momenten so etwas wie eine schlafende Schönheit zu sein, ein Gebilde, in dem die Bilder und Kunstwerke ganz für sich sind und über Nacht, so könnte man imaginieren, ein geheimnisvolles Eigenleben führen.

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Meinungen

martin rohwer · 11.01.2015

Ein wirklich gelungener und kurzweiliger Film. Und für mich war es eine spannende Erfahrung, die Perspektive des beobachtenden Beobachters einzunehmen. Klar fehlen die kritischen Aspekte zum Kunst- und Museumsbetrieb weitgehend. Dennoch zeigt Wiseman auch - ob bewusst oder nicht - die lächerlich elitären und weltfremden Seiten des Kulturbetriebs. Und ich war schon enttäuscht, als der Film plötzlich zu Ende war - ein gutes Zeichen.