Casting (2017)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Making of Vorproduktion

Ein Film darüber, wie ein Film gedreht wird, ist grundsätzlich immer ein hervorragendes Konzept. Was hier für Doppelbödigkeiten, Emotionalitäten, Machtverhältnisse auf ganz konzentriertem Raum erzählt werden können! Wie hier von dem gesprochen werden kann, was die Filmemacher ganz genau kennen. Wie dabei auch das Bedürfnis des Publikums angesprochen wird, mal „hinter den Kulissen“ dabei zu sein und zu sehen, wie „so etwas“ „wirklich“ abläuft. Und wie nah kann bei einem solchen Film im Film das Scheitern sein, wie leicht kann das alles schiefgehen. Nicolas Wackerbarth kann es: Casting ist ein ganz wunderbarer Film. Es geht um die Vorproduktion eines Remakes eines Fassbinder-Films, die Regisseurin sucht die Hauptdarstellerin, dem Produzenten sitzt die Redaktion im Nacken, der Hauptdarsteller ist auch noch nicht ganz klar – und das sechs Tage vor Drehbeginn.

Wackerbarth geht in medias res, direkt in eine Castingsituation, und wir erkennen gleich, was hier läuft: Eitelkeiten und Verletzlichkeiten, Machtverhältnisse und Unentschlossenheit, emotionaler Input und Divenhaftigkeit, die Fragen von Erfolg, Leidenschaft und Ausnutzung. Muss Ursina Ladi jetzt tatsächlich nochmal in die Maske? Und was soll das mit der Perücke? Und wer ist dieser Gerwin, der heute ihr Anspielpartner sein soll?

Die Phase der Vorproduktion stand für Wackerbarth als Idee am Anfang, und diese Figur des Anspielpartners. Casting: Da ist noch gar nichts sicher, da wird noch nichts festgelegt, aber die Rollen immerhin sollten dann doch besetzt werden. Der Anspielpartner: Das ist so eine Zwischenstation, der wird nicht im Film auftauchen, im Idealfall wirkt er als Katalysator, der im Endprodukt überhaupt nicht mehr vorkommt. Diesem Gerwin folgen wir in dem Film, als Außenseiter der Produktion, aus seiner Sicht bekommen wir all die verschiedenen Figuren dargeboten, Maske, Assistenz, Regisseurin und natürlich die Schauspielerinnen, die vorsprechen für die Rolle der Petra im Remake zu Fassbinders Die bitteren Tränen der Petra von Kant. Es soll zum 75. Geburtstag des Regisseurs im Fernsehen laufen. Weshalb die Redaktion bitte ein bekanntes Zugpferd als Star haben will. Wobei die Regisseurin eigentlich eher weiß, was sie nicht will.

Der richtige Stuhl, das richtige Telefon, die richtige Darstellerin: Es gibt so viele Entscheidungen, so viele Möglichkeiten und so wenig Zeit. Und so wenig Raum, um sich mal aus dem Weg zu gehen. Das Fernsehstudio, in dem Casting spielt, wirkt einerseits labyrinthisch, andererseits klaustrophobisch, ist vor allem ein Treibhaus der Emotionen, wenn immer wieder Figuren aufeinandertreffen, die ganz unterschiedliche Ziele haben; die aber aus menschlichen, aus professionellen oder aus psychologischen Gründen diese Ziele nicht offen vortragen können, man will ja keinen Streit, das wäre ganz schlecht für Stimmung und Nerven. Man will eben doch vor allem sich präsentieren, sich durchsetzen, das gilt für die Schauspielerinnen, die die Rolle wollen, ebenso wie für die Regisseurin, die das Beste will für ihr Projekt. Und nicht zuletzt für den Anspielpartner Gerwin, der eigentlich ganz gerne die männliche Hauptrolle hätte. Dies aber nie zugeben würde.

Ganz hervorragend und in kleinen Nuancen und Details spielt Wackerbarth die Dynamik der Beziehungen und Verhältnisse aus, mit all dem verbrämten Egoismus und Opportunismus, mit der ganzen Leidenschaft dafür, hier Kunst zu schaffen, mit der Energie und Kraft, die kanalisiert werden wollen. Ursina Ladi, Marie-Lou Sellem, Andrea Sawatzki treten unter anderem auf, sie wollen die Rolle, und es ist natürlich wunderbar, Schauspielerinnen dabei zu beobachten, wie sie Schauspielerinnen spielen. Und das alles improvisiert, um die Natürlichkeit zu erhalten und eine Authentizität zu erreichen, wenn sich Menschen selbst spielen. Wackerbarth setzt seine Kamera stets distanziert ein, beobachtend, daraus ergibt sich auch eine Ironie, wenn Gerüchte durch den Flurfunk wabern und Wahrheiten unterdrückt werden und Entscheidungen dann doch nicht sicher sind.

Starke Stütze ist bei diesem Konzept natürlich die Referenz auf Fassbinders Petra von Kant, in dem sich die Themen spiegeln, von der Emotion, der Macht, dem Aufeinander-angewiesen-Sein bis hin zur Genderthematik, wenn in diesem Remake die Geschlechterrollen vertauscht sind. Und dann haben wir die Regisseurin und die Assistentin und die Maskenbildnerin, und sie machen Fleischbeschau bei Gerwin, der vielleicht doch die Rolle bekommen könnte … Und ist es ein Problem, dass er schwul ist? Ist er zu alt? Einen knackigen Arsch hat er ja. Könnte er den nicht mal zeigen? Und warum zickt er jetzt so rum, wenn er doch lauter Komplimente bekommt?

Casting funktioniert auf unheimlich vielen Ebenen, als Schauspieler(innen)film, als Nabelschau der Filmbranche, als Gefühlsthriller, als dramatische Satire, als Hommage – und nicht zuletzt im Kino, auf der großen Leinwand.

Casting (2017)

Ein Film darüber, wie ein Film gedreht wird, ist grundsätzlich immer ein hervorragendes Konzept. Was hier für Doppelbödigkeiten, Emotionalitäten, Machtverhältnisse auf ganz konzentriertem Raum erzählt werden können! Wie hier von dem gesprochen werden kann, was die Filmemacher ganz genau kennen. Wie dabei auch das Bedürfnis des Publikums angesprochen wird, mal „hinter den Kulissen“ dabei zu sein und zu sehen, wie „so etwas“ „wirklich“ abläuft.

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