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Wenn Elvis Presleys Enkelin Riley Keough einen Spielfilm über den Alltag im Pine-Ridge-Reservat dreht, drückt sich darin ein neues Interesse der amerikanischen Gesellschaft an indigenen Lebensrealitäten aus. Indigene Stimmen waren allzu lange nicht gefragt, hier erzählen sie in eine kraftvolle Geschichte.

War Pony (2022)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Steht ein Bison im Reservat

Bill (Jojo Bapteise Whiting) dreht den Hip-Hop laut auf beim Autofahren und Matho (Ladainian Crazy Thunder) läuft mit seinen Freunden lachend davon, wenn ihm wieder einmal ein Jungenstreich gelungen ist. Der junge Erwachsene und das 12-jährige Kind verhalten sich so, wie es Amerikaner ihrer Altersgruppe nun einmal gerne tun. Aber die freie Zeit, die sie totschlagen und die abgewrackte Umgebung ordnen sie der Klasse sozial Abgehängter zu. Ihre Armut gründet im Rassismus: Bill und Matho leben im Pine-Ridge-Reservat der Lakota. Anstatt zu resignieren, ziehen sie jeden Tag mit gewitzter Energie in ihren persönlichen Kampf um ein wenig Selbstbestimmung und Glück

Das große Pine-Ridge-Reservat in South Dakota ist, wie viele andere Reservate für die indigene Bevölkerung auch, ein Ort der Hoffnungslosigkeit. Unter bundesstaatlicher Verwaltung müssen die Bewohner wie in einem Entwicklungsland hausen, bekommen Lebensmittel geliefert und haben oft keine Arbeit. Der Mangel und der kulturelle Identitätsverlust führen zu Gewalt und Drogenmissbrauch, die Sterblichkeitsrate ist hoch und die Lebenserwartung niedrig. Diese Realität bildet die Kulisse im Spielfilmdebüt der Regisseurinnen Riley Keough (als Schauspielerin bekannt durch Filme wie American Honey, Logan Lucky) und Gina Gammell.

Beschämend lange waren die Reservate ein blinder Fleck im Bewusstsein der amerikanischen Gesellschaft, die es versäumte, sich mit dem Rassismus gegenüber den Ureinwohnern ernsthaft auseinanderzusetzen. Die aus Peking stammende Filmemacherin Chloé Zhao lenkte mit ihren Filmen Songs My Brothers Taught Me und The Rider und der Neugier einer Außenstehenden die Aufmerksamkeit auf Pine Ridge. Wenn nun aber auch Riley Keough, die Enkelin von Elvis Presley, das Reservat filmisch erschließt, scheint das Thema wirklich in der Öffentlichkeit angekommen zu sein. Wie bei Zhao spielen auch hier viele Laiendarsteller*innen aus der Region mit. Keough und Gammell verfassten das Drehbuch gemeinsam mit Franklin Sioux Bob und Bill Reddy. Die Regisseurinnen legen erkennbar Wert, dass die Perspektive der Native Americans in den Film einfließt.

Oft erinnert War Pony aber mehr an The Florida Project von Sean Baker als an Zhaos Filme. Bill und Matho sind den alltäglichen Mangel gewöhnt, den Leerlauf, aber der Film zeichnet sie nicht als Opfer, sondern als starke Persönlichkeiten. Sie trotzen dem Alltag aufregende Abenteuer und spaßige kleine Siege ab. Matho verhökert mit seinen Freunden heimlich das weiße Drogenpulver seines jungen Vaters. Dann räumen die Jungs mit triumphierendem Lächeln die Süßigkeiten im Supermarkt ab. Matho will das Mädchen, für das er schwärmt, mit der Zigarette in der Hand beeindrucken. Nichtsahnend steuert er mit seinem Drogenhandel auf eine riesige Katastrophe zu.

Auch Bill, dessen Geschichte im Wechsel mit Mathos Abenteuer geschildert wird, in kurzen, die Spannung schürenden Szenen, ist kein Kind von Traurigkeit. Er hat zwei kleine Söhne von zwei Frauen, will die Ex zurückgewinnen und hat wenig Lust, die Kaution für die kürzlich inhaftierte jetzige Partnerin aufzutreiben. Aber dann entwickelt er mit viel Elan einen Haufen Geschäftsideen. Mit einem Pudel will er eine Hundezucht beginnen. Und als ihn auf der Landstraße ein Weißer mit einer Reifenpanne bittet, ihn zu seiner Ranch zu fahren, will er sich das etwas kosten lassen. Der Weiße bietet ihm dann auch einen, schließlich zwei Jobs an, die Bill annimmt. Er soll bei der Truthahnschlachtung helfen und junge Sexgespielinnen des Weißen ins Reservat zurückfahren. Dass ihn der Weiße zum Abendessen mit Weintrinken auf die Ranch einlädt, imponiert Bill, er glaubt, den sozialen Aufstieg zu schaffen.

Wie bei The Rider spielt auch hier der Western-Mythos eine Rolle. Dieser erscheint aus dem Blickwinkel Bills, Mathos und ihrer Freunde und wird gleichzeitig infrage gestellt. Eine beeindruckend originelle und kraftvolle Szene läuft auf der Halloweenparty des Weißen auf einen gespenstischen Showdown hinaus. Die Fronten zwischen den Tierzüchtern und den Native Americans sind plötzlich so klar gezogen, als wäre dieser Westen aus dem 19. Jahrhundert nie aus den Köpfen verschwunden.

Mit indigenen Traditionen verfährt die Geschichte zurückhaltend, denn Bill und Matho orientieren sich eher an der weißen Konsumgesellschaft. Bill ist sogar stolz darauf, dass er kein Lakota spricht. Ein Powwow lässt Matho etwas unschlüssig zurück, betrachtet den Brauch nur, weil dort das Mädchen tanzt, das er mag. Später erscheint ihm ein Bison, der auch Bill überraschend vor die Augen getreten ist – ein Bote, der an schlummernde Wurzeln erinnert. Und dann gibt es da noch den Trauerkonvoi mit den in Schlangenlinien auf der Landstraße fahrenden Autos, aus denen die Männer den Toten mit ihren lang gezogenen Rufen verabschieden. Die Klagelaute wirken zugleich wie Kampfgesänge, wie ein Versprechen darauf, dass die Sehnsucht nach Freiheit ungebrochen ist. Und das Abspannlied dieses beeindruckend stimmigen und kreativen Films gehört der kanadisch-indianischen Liedermacherin Buffy Sainte-Marie, die zu den künstlerischen Ikonen der Flower-Power-Ära zählt.

War Pony (2022)

Der 23-jährige Bill und der 12-jährige Matho wachsen im Pine-Ridge-Reservat auf. Bill hat den Plan, etwas aus sich zu machen. Entschlossen verfolgt er den American Dream, egal ob er Benzin absaugt, Waren liefert oder Pudel züchtet. Währenddessen kann es Matho, Sohn eines jungen Vaters, kaum erwarten, ein Mann zu werden. Doch eine Reihe impulsiver Entscheidungen stellt sein Leben auf den Kopf. 

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