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Ein vietnamesisches Ehepaar lebt seit drei Jahrzehnten in Deutschland. Inzwischen sind die Kinder aus dem Haus und die Frage, wo sie ihren Ruhestand verbringen wollen, steht im Raum. Eine Heimat-Doku der etwas anderen Art.

Mein Vietnam (2020)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Ein Stück Heimat via Heimcomputer

Dieser Film beginnt und endet mit einem 30 Jahre alten Video. Tam und Bay haben Vietnam den Rücken gekehrt. Im März 1990 sitzen sie gemeinsam mit ihren kleinen Kindern in ihrer deutschen Wohnung bei einem Festessen. Die Aufnahmen sind für die Verwandtschaft gedacht. Audiovisuelle Grüße aus einem fernen Land. Drei Jahrzehnte später sind die Übertragungswege kürzer und ist das Heimweh größer geworden. Hien Mai, die Tochter des Paars, hat zusammen mit ihrem Co-Regisseur Tim Ellrich ein ganz persönliches Homevideo über das Leben ihrer Eltern gedreht.

Inzwischen führt der Weg nach Vietnam über Datenkabel. So weit entfernt die alte Heimat auch sein mag, einen Klick später sitzt die Verwandtschaft in Echtzeit im Münchner Wohnzimmer. Stolz trägt Tam seinen Laptop durch die beengte Wohnung, um mit deren Größe zu prahlen. Die Wohnungen seiner Kinder seien viel kleiner. Wenige Sätze später gesteht er allerdings ein, dass er sich das Leben in Deutschland kaum leisten könne. Vor 30 Jahren hörte sich das noch ganz anders an. Auch seine Frau Bay blickt kritisch zurück. Die zwei sehen jedoch nicht dasselbe, vor allem aber sehen sie eine völlig verschiedene Zukunft.

Tam plagt das Heimweh. Fast jeden Abend sitzt er vor seinem Computer und stimmt mit einem Bier in der Hand traurige Lieder an. Nicht für sich allein, sondern in einem Video-Chat mit gleichgesinnten, rund um den Globus verteilten Exil-Vietnamesen. Eine Art Online-Selbsttherapie, die nicht zum ersten Mal in einem Dokumentarfilm zu sehen ist, aber auch dieses Mal ins emotionale Schwarze trifft. Die Kamera, von Co-Regisseur Ellrich selbst geführt, sieht dem Geschehen unauffällig zu.

Ob dieses Paar ein ihm vollkommen fremdes Filmteam ähnlich nah an sich herangelassen hätte? Schwer zu sagen. Es ist zumindest kein Nachteil, dass hier eine Tochter das Leben ihrer Eltern festhält. Die Nähe ist die große Stärke dieses Films. (Die vielen unbeantworteten Fragen sind eine Schwäche, etwa die, warum die Kinder ihren Eltern finanziell nicht unter die Arme greifen und der Mutter einen Flug zur Beerdigung ihrer Schwester ermöglichen.) Nicht nur zwischen Mutter und Tochter entstehen intime Momente, ehrliche und unverstellte Gespräche zwischen Küchentisch und Wohnzimmercouch, auch das Paar selbst lässt tiefe Einblicke in ihre Beziehung und ihr Seelenleben zu. Dabei trägt Tam sein Herz auf der Zunge. Bay gibt weniger von sich preis.

Es ist ein Leben voll harter Arbeit und Entbehrungen. Während andere noch schlafen oder längst Feierabend haben, schrubbt das Paar Toiletten und putzt Büros. Ihre einsame Arbeit isoliert sie von ihrer Umwelt. Bay möchte das nun endlich ändern und nimmt an einem Deutschkurs teil – wohl auch, weil sie ihre Zukunft bei ihren Kindern und ihrem eben erst geborenen Enkelkind sieht. Tam will zurück. Das in Vietnam erworbene Haus, das nach einem Sturmschaden repariert werden muss und dem Paar einmal als Alterssitz dienen soll, würde Bay am liebsten verkaufen.

Mein Vietnam stellt spannende Fragen, auf die jede/r beim Zusehen eigene Antworten finden muss. Wie viel sind Eltern zu opfern bereit, um ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen? Bringen die modernen Medien einem die weit entfernte Heimat näher oder verstärken sie nur das Heimweh? Gibt es so etwas wie eine virtuell erschaffene Heimat? Und wird dieses Paar am Ende an seinen unterschiedlichen Zukunftsplänen wachsen oder daran scheitern? Der letzte Blick auf sie macht Hoffnung. So unterschiedlich die zwei auch sein mögen, in ihrer eigenen kleinen Münchner Version von Vietnam haben sie sich ganz gut eingerichtet.

Mein Vietnam (2020)

Das vietnamesische Ehepaar Bay und Tam lebt seit 30 Jahren in Deutschland. Abseits der deutschen Gesellschaft arbeiten die beiden in leeren Büroräumen als Putzkräfte. Durch Skype und Online-Chatrooms haben sie ihre eigene virtuelle Version von Vietnam in ihrer Münchner Wohnung erschaffen. Doch die Begrenzungen dieser Blase zeigen sich, als ihr Haus in Vietnam durch einen Sturm zerstört wird. Mehr und mehr müssen sich Bay und Tam der Frage stellen, wo ihre wirkliche Heimat ist.

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