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Die jugendlichen Schülerinnen, die der Dokumentarfilm bis in die Volljährigkeit begleitet, hat es aus Syrien, Irak, dem Libanon und anderen Ländern nach Brandenburg verschlagen. Kreative Workshops und der Austausch in der Gruppe helfen ihnen, sich selbst zu finden und die Zukunft zu planen.

Tell Them About Us (2024)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Jung, weiblich, fremd in Eberswalde

Am Schluss dieses Dokumentarfilms treten die jungen Frauen in fiktionalisierten Szenen auf, in denen ihre Träume wahr werden. Sie setzen sich in Pose in ihren Wunschberufen, als Polizistin oder Flugbegleiterin. Wessam sagt, wenn sie schon nicht Ärztin werden könne, dann wolle sie wenigstens im Film eine spielen. Mirna darf sich ihren Wunsch, ein eigenes Café zu betreiben, erfüllen. Sie steht hinter Tischchen und Theken mit feinen Torten und Kuchenstücken, in denen jeweils ein Reisepass steckt. Für ihr dokumentarisches Langfilmdebüt hat die Regisseurin Rand Beiruty eine Gruppe jugendlicher Migrantinnen im brandenburgischen Eberswalde von 2019 bis 2022 begleitet.

Die Jordanierin Beiruty hat in Weimar studiert und promoviert derzeit praxisorientiert an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. Sie beobachtet mit der Kamera, ob und wie sich die Jugendlichen in ihrer deutschen Umgebung zurechtfinden, wie sie erwachsen werden. Und sie wird zugleich aktiver Teil dieses Prozesses, indem sie verschiedene künstlerisch-kreative Workshops organisiert, in denen sich die jungen Migrantinnen, die überwiegend arabischer oder kurdischer Herkunft sind, mit Fragen zu ihrer Identität auseinandersetzen können. Sie dürfen ihren Gedanken und Gefühlen freien Lauf lassen, über ihre Stärken sprechen und darüber, was es für sie individuell bedeutet, zwischen den Kulturen zu stehen. Es wird viel gelacht und gescherzt, und die erlebte Gemeinschaft beim Erzählen, Malen, Singen und Tanzen trägt sie auf sanften Schwingen durch eine Zeit, die viel Anpassung und Neuorientierung von ihnen verlangt.

Rand Beiruty gelingen energiegeladene Szenen, in denen sich die unbändige Lebensfreude der jungen Mädchen und Frauen Bahn bricht. Gleichgültig, ob manche von ihnen Kopftuch tragen, andere ihr langes Haar frei fallen lassen: Die Jugendlichen verbindet viel. Allein schon, dass sie zusammen Arabisch sprechen können, verstehen, was ihr Gegenüber meint und welche Erfahrungen es mitbringt, gibt ihnen die Möglichkeit, sich auszudrücken und Halt in der Gruppe zu erleben. Die schönsten Szenen entstehen, wenn die jngen Frauen fröhlich einen Spielplatz zwischen den Wohnblocks kapern, lachend durch den Park streifen, einen Hip-Hop-Auftritt hinlegen. Der emotional berührende Film zeigt auf, wie wichtig dieser Zusammenhalt für die jungen Migrantinnen ist. Denn in ihren Erzählungen blitzt immer wieder auf, wie fremd sie sich in der deutschen Kleinstadt fühlen, dass sie sich nicht freundschaftlich aufgenommen sehen oder – obwohl sie betonen, dass es auch gute Erfahrungen gibt – Diskriminierung erleben. Einmal hört man bei einer Interviewszene mit einer Protagonistin im Park, wie ein Passant im Hintergrund rufend fordert, sie solle ihr Kopftuch abnehmen.

Viele der Teenagerinnen wollen zuerst eine Ausbildung machen und, wenn überhaupt, erst später heiraten. Sie begrüßen die Chance, sich von tradierten Geschlechterrollen ihrer Herkunftsländer zu emanzipieren. Aber die beruflichen Träume – Polizistin, Gastronomin, Ärztin – erweisen sich nicht selten als von hohen Hürden umstellt. In Pflegeberufen hingegen werden bekanntlich dringend Leute gesucht. Als ein Berater zwei der Jugendlichen im Gespräch diesen Ausbildungsweg nahelegt, hält sich ihre Freude sichtlich in Grenzen. „Besser den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach“, kommentiert der Mann seine Bemühungen. Nach dem Schulabschluss müssen viele aus der Gruppe ihre beruflichen Ziele modifizieren. Mehrere Protagonistinnen fangen in einem Seniorenheim zu arbeiten an.

Tell Them About Us regt zum Nachdenken an, wie sich die spürbare Kluft zwischen der Lebenswelt der neu angekommenen Migrantinnen und ihrer deutschen Umgebung besser überwinden ließe. In den Filmszenen zeigt sich, dass es vor Ort offenbar vielfältige Beratungsangebote und Hilfen zur Integration gibt. Aber was ist mit den fehlenden Kontakten zu Einheimischen, dem gegenseitigen Austausch, könnte da nicht mehr bewegt werden? Auffallend ist die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit bei der Berufswahl. Hier lässt sich erahnen, dass die Schülerinnen und Absolventinnen schlicht zu wenig wissen über die unterschiedlichen Berufe, die sie sonst noch ergreifen könnten, wenn sie keine Lust auf Kranken- und Altenpflege haben. Rand Beirutys Film eröffnet interessante Einblicke in die Lebenssituation junger Migrantinnen, die mit ihren Hoffnungen, Träumen und Problemen gesellschaftlich kaum wahrgenommen werden.

Tell Them About Us (2024)

Mit gezielter Zuwanderung versucht man Brandenburgs Bevölkerungsschwund in den Griff zu bekommen. Die Hoffnung liegt auch auf einer Gruppe Teenagerinnen unterschiedlicher Herkunft, die ihren Platz in der Region und in der Gesellschaft beansprucht. Wer bin ich? Und wer will ich werden? Die Mädchen haben Sehnsüchte, Träume, Wünsche und sind auf der Suche nach Möglichkeiten, diese umzusetzen. Die Filmemacherin Rand Beiruty, selbst in zwei Kulturen beheimatet, empowert sie dabei. Sie eröffnet den jungen Frauen Spielräume für ihre eigenen Erfahrungen und gibt ihnen durch den Film die Chance, die Kraft hinter diesen zu entdecken. Feinfühlig beobachtet und immer auf Augenhöhe mit den Protagonistinnen. Es ist eine Freude, den Mädchen beim Erwachsenwerden zuzusehen. (Quelle: DOK.fest München)

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