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In seinem neuen Dokumentarfilm blickt Dror Moreh („The Gatekeepers“) auf Konflikte der vergangenen 40 Jahre und hinter die „Kulissen der Macht“ der mächtigsten Nation der Erde. Dabei fördert der Regisseur erstaunlich offene Antworten zutage.

Kulissen der Macht (2022)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Auslotung der Kampfzone

Die USA haben den unrühmlichen Ruf, sich als Weltpolizist aufzuspielen. Dabei wird gern vergessen, dass deren endgültige Abkehr vom Isolationismus nicht nur reinem Eigeninteresse entsprang, sondern auch der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen neuen Weltordnung geschuldet war. Nach dem Ende des Kalten Krieges war die Welt abermals eine andere – und die USA (vorerst) die einzig verbliebene Supermacht. Wie viel Verantwortung kommt einer solchen Macht zu? Und braucht es angesichts internationaler Krisen, Kriege und Völkermorde nicht jemanden, der eingreift, während andere zwar pausenlos debattieren, aber letztlich nur tatenlos zusehen? Diesen unbequemen Fragen geht Dror Moreh in seinem neuen Dokumentarfilm nach.

Der Auslöser für diesen Film war der Einsatz chemischer Waffen, die der syrische Diktator Baschar al-Assad im August 2013 gegen seine eigenen Landsleute richtete. Moreh sei von den Bildern, besonders denen der getöteten Babys, zutiefst schockiert gewesen, hat er in einem Interview gesagt. Obwohl für den damaligen US-Präsidenten Barack Obama damit eine rote Linie überschritten war, griffen die US-Streitkräfte nicht ein. „Wie kann das sein?“, fragt Moreh. „Die Frage, warum man beschließt, an einem Ort einzugreifen, um Menschenleben zu retten wie etwa in Libyen und an einem anderen nicht, wurde für mich immer wichtiger und entscheidender.“

Um diese Frage zu beantworten, hat der israelische Regisseur eine in ihrer Anzahl und Bedeutung beachtliche Schar politischer Akteure, von denen einige inzwischen gestorben sind, vor die Linse bekommen. Mit Henry Kissinger (1973–1977), George Shultz (1982–1989), James Baker (1989–1992), Madeleine Albright (1997–2001), Colin Powell (2001–2005), Hillary Clinton (2009–2013) und Anthony Blinken (seit 2021) sind gleich mehrere ehemalige Köpfe sowie das aktuelle Gesicht des US-Außenministeriums darunter. Flankiert werden sie vom ehemaligen US-Verteidigungsminister Chuck Hagel (2013–2015), militärischen Oberbefehlshabern, Mitarbeitenden von Ministerien und Botschaften sowie gewichtigen Beraterinnen und Strategen. In der ebenso illustren wie fachkundigen Runde fehlen im Grunde nur die Präsidenten, von denen es lediglich Archivaufnahmen und durch visuelle Effekte beinahe zum Leben erweckte Archivfotos zu sehen gibt.

Inhaltlich in Kapitel unterteilt, die mit Titeln wie „Prioritäten“, „Interessen“ oder „Ideale“ überschrieben sind, schreitet Moreh Konflikte der vergangenen Jahrzehnte ab: den Jugoslawienkrieg, den Völkermord in Ruanda, den Kosovokrieg, Saddam Husseins Giftgaseinsatz gegen die Kurden, den Ersten und Zweiten Irakkrieg, die Bürgerkriege in Libyen und Syrien. Die grauenvollen Bilder, die Moreh aus den Kriegsgebieten zeigt, sind kaum auszuhalten und sicherlich nicht jedem Publikum zuzumuten. Sie stehen in starkem Kontrast zu den in kühlen Farbtönen gehaltenen Interviews. Schon deren Setting, am Computer entstandene, einheitlich gesichtslose Räume (denn alle Interviews wurden vor Green Screens gefilmt), soll klarmachen: Emotionen sind in der von Kalkül geprägten Politik ein schlechter Ratgeber. Was nicht heißt, dass das Weltgeschehen die Weltenlenker kaltlässt.

Einige der Interviewten berichten davon, dass die Schreckensbilder und die Frage, ob nicht mehr hätte getan werden müssen, um sie zu verhindern, sie bis heute um den Schlaf brächten. Andere machen klar, wie viele Faktoren – von der Stimmung im eigenen Land über wirtschaftliches, geopolitisches oder schlicht wahltaktisches Kalkül bis hin zu diplomatischen Abwägungen angesichts drohender Konflikte mit anderen Mächten – letztlich in den Entscheidungsprozess einflössen und diesen dadurch oft langwierig und lähmend gestalten würden. Einfache Antworten gibt es nicht. Was ebenso wenig verwundert wie die Antworten, die gegeben werden. Was hingegen überrascht, ist, wie frank und frei und durchaus (selbst-)kritisch sich alle Beteiligten äußern. 

Wenn man aus diesem vielstimmigen Chor eine Person hervorheben will, dann ist das Samantha Power. Denn der Werdegang der 1970 geborenen Frau mit dem treffenden Nachnamen kann als Paradebeispiel einer Entzauberung der eigenen Ideale durch politische Zwänge herhalten. Noch als Studentin hinterfragte Power das Selbstverständnis der USA, das ihr in der Schule vermittelt worden war. Als Journalistin und Kriegsberichterstatterin machte sie sich dann ein eigenes Bild, bevor sie mit ihrem Buch A Problem from Hell: America and the Age of Genocide zur gefeierten politischen Analystin und schließlich zur Beraterin in Barack Obamas Regierung wurde. Der 44. US-Präsident hatte ihr Buch gelesen und holte Power dann eigens an seine Seite, um die US-Außenpolitik nachhaltig zu verändern. Daraus wurde bekanntlich nichts. Einfach hinzuschmeißen und das Feld anderen mit weniger hehren Zielen zu überlassen, das ist jedoch nicht Powers Sache.

Wenn man Dror Moreh eines vorwerfen kann, dann, dass er bei manchen Interviewpartnern, etwa Colin Powell oder Madeleine Albright, nicht entschieden genug nachfragt. Über allem in seinem Film schwebt indessen die Frage, warum es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu so vielen Völkermorden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit kommen konnte, obwohl die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 9. Dezember 1948 die „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ beschlossen hatte. Die Antworten darauf sind weder einseitig noch angenehm und werfen weitere unbequeme Fragen auf – etwa die, ob die berechtigte Kritik am Weltpolizisten USA und all der Verbrechen, die er selbst begangen hat, nicht oftmals zu eindimensional ausfällt.

Kulissen der Macht (2022)

Im Situation Room des Weißen Hauses werden Entscheidungen getroffen, die einen massiven Einfluss auf das Weltgeschehen nehmen. Aber was passiert hinter den Kulissen der Macht genau? Der neue Film des Oscar-nominierten Regisseurs Dror Moreh („The Gatekeepers“) führt das Publikum tief in erbitterte Debatten, Gewissensfragen, strategische Kalkulationen und Machtkämpfe und liefert eine intensive Untersuchung der US-Außenpolitik der letzten 40 Jahre. Madeleine Albright, Colin Powell, Hillary Clinton, Ben Rhodes, Samantha Power, Antony Blinken und viele andere geben ihre seltenen Einblicke in die dramatischen Konflikte der jüngsten Geschichte (von Kuwait, Bosnien und Ruanda bis zum Kosovo, Libyen und Syrien), die unsere Welt bis heute prägen. Mit einer Kombination von ausführlichen Interviews, seltenem Archivmaterial und beeindruckenden Rekonstitutionen beleuchtet der Film Verhaltensmuster, die zu Stillstand und Untätigkeit führen, selbst im Angesicht eines Völkermords. (Quelle: FILMS THAT MATTER)

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