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„Le deuxième acte“, der neue Film von Quentin Dupieux, eröffnet die diesjährigen Internationalen Filmfestspiele von Cannes. Und es geht darin ums Filmen und Gefilmtwerden.

Le deuxième acte (2024)

Eine Filmkritik von Patrick Fey

Weil wir gefilmt werden

Was Hong Sang-soo für das koreanische Kino ist, ist Quentin Dupieux für das französische — zumindest, wenn es um die Geschwindigkeit geht, mit der Dupieux innerhalb der letzten Jahre einen Film nach dem anderen bei den großen Festivals von Cannes, Venedig und Berlin unterbringen konnte. Allein seit 2022 stehen fünf Filme zu Buche, deren jüngster — „La deuxième acte“ — unlängst in Cannes Premiere feierte und das Festival eröffnen durfte.

Widmete sich Yannick, der 2023 kurzerhand aus dem Zauberhut der Locarno-Kurator*innen gezogen wurde, in der Dupieux-typischen Metareflexion der Theaterwelt, so steht in diesem titelgebenden „zweiten Akt“ nun die Filmwelt im Zentrum eines vielversprechenden Figurenquartetts. Auf der einen Seite befinden sich da Louis Garrel und Raphaël Quenard, die die besten Freunde David und Willy spielen. Auf der anderen Seite, und tatsächlich auch während des ersten Aufeinandertreffens durch die Kamera so eingefangen, schreiten Léa Seydoux als Florence und Vincent Lindon als ihr Vater Guillaume auf die eponyme Gaststätte La deuxième Acte zu.

Bis es zu diesem Aufeinandertreffen kommt, hat Dupieux uns bereits mit der Prämisse seines Filmes vertraut gemacht: Der aus wohlhabenden Hause stammende David möchte seinen Freund Willi, von dem ihn hauptsächlich die feinen Unterschiede einer akademischen Ausbildung trennen, dazu überreden, sich seiner Freundin Florence anzunehmen, zu der er sich, trotz ihrer unbestreitbaren Schönheit, nicht hingezogen fühlt. Willi, der schnell eine Falle zu wittern glaubt, versucht in den Anfangsmomenten den Haken dieses seltsamen Angebots auszumachen. Unterdessen möchte Seydoux‘ Florence die Gelegenheit nutzen, ihrem Vater Guillaume endlich mit David bekannt zu machen.

So oder so ähnlich würden sich die Dinge dann eben entwickeln, von einer seltsam-unangenehmen Situation zur nächsten. Würden sie – hieße der Regisseur (und Drehbuchschreiber und Kameramann) nicht Quentin Dupieux. In seinen Filmen sind sich die Figuren natürlich darüber im Klaren, Teil eines Filmes zu sein — unterbrechen sich, wenn sie sich Gefahr laufen sehen, in (politische) Fettnäpfchen zu treten („So etwas sagt man nicht!“ – „Warum denn nicht?!“ – „Weil wir gefilmt werden!“). Oder wenn sie ihre Rollen satthaben und ganz buchstäblich aus dem Bild laufen.

Bisweilen beeindruckt dieser Dupieux’sche Schnellschuss. Wenn wir zu Beginn etwa die beiden Paare Garrel/Quenard und Seydoux/Lindon in langen Einstellungen das Feld zum Treffpunkt abschreiten sehen, während sie mühelos zwischen den Registern wechseln: mal als die Figur in der romantischen Komödie, mal als die Schauspieler*innen ‚dahinter‘. Dies beeindruckt, weil es uns vor Augen führt, wie wenig es braucht, um großes Kino zu kreieren: keine Schnitte, keine Musik, keine technisch anspruchsvollen Bravourstücke. Stattdessen haben wir es in diesen Szenen nur mit extralangen Tracking-Shots zu tun, in denen wir großen Schauspieler*innen dabei folgen, wie sie etwas steife Darstellungen für die generische Komödie der Binnenhandlung abgeben.

Doch ist just in diesem geopolitischen Moment, da sich die Welt in der vielbeschworenen ‚Polykrise‘ befindet, wirklich an der Zeit für romantische Komödien? Wäre nicht alles wichtiger, als eine weitere formelhafte Schmonzette zu produzieren? So zumindest sieht es Lindons Guillaume, der mit der Seydoux-Figur in einen Streit darüber gerät. Gerade in Zeiten globaler Verwerfungen brauche es doch Unterhaltung, hält diese der Lindon’schen Figur entgegen. Schließlich hätten die Musiker auf der Titanic doch auch weitergespielt, als das Kreuzfahrtschiff längst im Begriff war, unterzugehen. Das sei James Camerons Titanic, hält ihr dieser entgegen. Es handele sich hier um einen Mythos, der sich in unser aller Bewusstsein eingebrannt habe. Der sich daran anschließende Diskurs darüber, ob nicht die Fiktion die weit größere Wahrhaftigkeit bereithalte, wirkt allerdings stark vertraut, gewissermaßen abgestanden.

Dass es dann darauf hinausläuft, dass ja gerade in der Zwecklosigkeit das Großartige des Kinos liege, mag angesichts des durch Pointen strukturierten Kinos von Dupieux als eine durchaus ehrliche Konstatierung anmuten. Sie deutet aber auch gleichzeitig die Leerstelle an, an der sich Dupieux nicht interessiert zeigt: dass das Kino für viele Menschen eben doch einen Zweck erfüllt, der sich aber aufgrund seiner Spektralhaftigkeit niemals genau festlegen lässt. Als die Lindon-Figur ein Anruf erreicht, der ihm mitteilt, dass er für den neuen Paul Thomas Anderson gecastet wurde, scheint die Sinnfrage urplötzlich beantwortet: Vierzig Jahre habe er auf diesen Moment hingearbeitet, und nun falle es ihm endlich zu, mit diesem „Genie“ zusammenzuarbeiten. Ironischerweise fällt seine Schauspielerfigur just in diesem Moment aus der Rolle, unterbricht die Szene, um seiner Freude über dieses unerwartete Engagement Ausdruck zu verleihen.

Dass Dupieux aber vor allem an den einfachen Lachern gelegen ist, und dass es sich bei Le deuxième acte um einen Mainstreamfilm handelt — mit diesem Cast vielleicht handeln muss  —  lässt sich zuvorderst daran erkennen, mit welcher Mühe er sich an aktuellen Diskursen regelrecht abarbeitet. Womöglich versteckt sich in diesem Ansatz ein übergeordnetes Prinzip: dass man sogenannte gesellschaftspolitische Triggerpunkte wie Cancel Culture anspricht, um sie dann dialogisch zu dekonstruieren.

So zumindest scheint es, wenn wir der Louis-Garrel-Figur dabei zuhören, wie sie seinen Freund Willy aufgrund dessen trans- und homophober Kommentare zurechtweist. Allein, die Erzählmuster, die Dupieux hier bedient, wirken allenthalben uninspiriert, bei schärferer Auslegung gar regressiv. Es ist eine Regression, die man Dupieux gar nicht anlasten möchte, die sich aber wohl doch in der altbekannten Strategie ausdrückt, das Unaussprechliche „in Anführungszeichen“ aufzugreifen, meist zum alleinigen Zweck, den Diskurs über Diskriminierungsformen selbst ins Lächerliche zu ziehen. Dabei entgeht Le deuxième acte, dass sich damit lediglich ein reaktionärer Ton reproduziert, und die Bloßstellung jener Person, die sich dieses Tons bedienen, selten eine Pointe birgt.

Le deuxième acte (2024)

Vier Figuren treffen im titelgebenden Restaurant im Nirgendwo aufeinander: Florence ist unsterblich in David verliebt. Sie möchte ihn ihrem Vater Guillaume vorstellen. Aber David hegt keine Gefühle für Florence. Stattdessen möchte er sie in eine Beziehung zu seinem Freund Willy drängen.

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