Don't Look Up (2021)

Weltuntergang zu Weihnachten

Eine Filmkritik von Falk Straub

Einen Film über den Klimawandel hatte Adam McKay schon länger im Kopf, doch er wusste nicht, wie er das Thema anpacken sollte. Im Kreise seines Ensembles während der aktuellen Pressetour verriet er, wie ihm die zündende Idee kam. Im Gespräch mit einem befreundeten Journalisten machte McKay seinem Frust Luft. Wie konnte es sein, dass die Politik und die Medien dem Klimawandel so wenig Aufmerksamkeit schenkten, obwohl doch alle Fakten seit Jahrzehnten auf dem Tisch lägen? Sein Freund antwortete, das sei ein bisschen so, als raste ein Komet auf die Erde zu und es kümmere keinen. Und siehe da: McKay hatte seine Prämisse. Nach einer minimalen Kinoauswertung startet seine Satire an Heiligabend bei Netflix.

Der Killer-Komet heißt Dibiasky nach der Doktorandin, die ihn entdeckt hat. Eigentlich hält Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) nach explodierten Sternen Ausschau. Einen Sensationsfund, eine Nacht voller aufgeregter Berechnungen und ein Telefonat später sitzen sie und ihr Boss Dr. Randall Mindy (Leonardo DiCaprio) in einer Militärmaschine nach Washington. Gemeinsam mit Dr. Teddy Oglethorpe (Rob Morgan) von der NASA werden sie bei US-Präsidentin Orlean (Meryl Streep) vorstellig. Die Zeit drängt, denn der Komet ist auf Kollisionskurs mit der Erde. Der mächtigsten Frau der Welt und ihrem Sohn und Stabschef Jason (Jonah Hill) kommt das gerade äußerst ungelegen. Die Wahlen zu den Midterms stehen an. Bis dahin heißt es erst einmal: Füße stillhalten!

Schon in dieser Exposition zeigt sich Adam McKays ganze Klasse. Der 1968 geborene Regisseur, der seine Filme selbst schreibt und meist auch produziert, beherrscht sein Handwerk. Und er legt Wert auf dessen Grundlagen, die vielen zeitgenössischen Blockbustern abgehen und sie so einfallslos wie austauschbar machen. McKay führt seine Figuren nicht nur mit wenigen Federstrichen ein und verknüpft sie in einer geraden Linie miteinander, sondern malt sie anschließend auch schillernd aus. Was die handelnden Personen nicht nur plastischer, sondern ihre Handlungen auch nachvollziehbarer macht.

Sich den Anweisungen der Präsidentin zu widersetzen, ist für Kate und Randall erste Bürgerpflicht. (Kate hat diese Witzfigur einer Politikerin, die ein Porträt von Richard Nixon über ihrem Schreibtisch hängen hat, sowieso nicht gewählt.) Doch ein Auftritt im Frühstücksfernsehen, der die Welt über ihren bevorstehenden Untergang aufklären soll, wird zum Desaster. Kate fährt aus der Haut. Ausgerechnet das Nervenbündel Randall bewahrt Ruhe. Und während der sexy Nerd infolgedessen zum Medienstar aufsteigt, gerät Kate aufs Abstellgleis. Sie mutiert zum Internet-Meme, was viel über unseren Medienkonsum und über öffentliche Wahrnehmung aussagt. Wer Emotionen zeigt, wird nicht ernst genommen. Wer nicht der Norm entspricht, wird aussortiert, einerseits. Andererseits kam eine Politikerin wie Präsidentin Orlean erst ins Amt, weil sie sich den Normen widersetzte und dadurch Emotionen schürte.

Wie von McKay seit The Big Short gewohnt, ist auch Don't Look Up voller Seitenhiebe und Nadelstiche. Cate Blanchett und Tyler Perry führen die Oberflächlichkeit des Unterhaltungsjournalismus als kongeniales TV-Moderatoren-Paar vor. Besonders Blanchetts Figur lässt tief blicken. Ihre wie eine Puppe zurechtgemachte Brie Evantee ist hochgebildet und polyglott und wäre im investigativen Journalismus eigentlich besser aufgehoben. Doch der Gossip bringt mehr Einschaltquote, Klicks, Likes und Retweets, also spielt Brie das Spiel mit, das nicht spurlos an ihr vorübergegangen ist. Ihr Gesicht ist wächsern, ihr Lächeln tiefgefroren. In ihrer Welt ist das Beziehungsende zweier Popstars (köstlich: Ariana Grande und Kid Cudi als Sängerin Riley Bina und DJ Chello) die größere Nachricht als der Weltuntergang.

Das Vorbild für Meryl Streeps Figur, für deren Nepotismus und Ignoranz ist ebenso sonnenklar. Wie erschreckend sein Drehbuch der Wirklichkeit – vor allem in puncto des miserablen Krisenmanagements – kommen würde, konnte McKay jedoch nicht ahnen. Er hat das Skript noch vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie geschrieben und den Film mitten in der Krise unter strengen Auflagen gedreht. Die Freude, nach einem langen Lockdown endlich wieder vor der Kamera zu stehen, ist dem gesamten, hervorragend besetzten und sich herrlich aneinander abspielenden Ensemble, vor allem aber Jonah Hill anzumerken. Viele seiner Punchlines sind improvisiert. Jede davon trifft ins Schwarze. Und die sündhaft teure Damenhandtasche seiner Figur trägt er mit so viel Ehrfurcht vor sich her, dass sich das Zusehen allen für dieses winzige Detail lohnt.

Überhaupt die Details! McKay legt auf jedes noch so unscheinbare wert. Neben einem Foto, das die Präsidentin mit Steven Seagal zeigt, steht eins, auf dem sie in jungen Jahren in herzlicher Umarmung mit Bill Clinton zu sehen ist. Auch die Demokraten bleiben nicht vor McKays Humor verschont. Seine Sympathien sind indes klar verteilt, was dem Film nicht nur zum Vorteil gereicht. Die bösen Buben etwa, die in seinen zwei vorangegangenen Filmen noch ordentlich Fleisch auf den Rippen hatten, bleiben in Don't Look Up nur hauchdünne Abziehbilder. Während Kate und Randall ein Privatleben und Hintergrundgeschichten erhalten, treten die Präsidentin, ihr Sohn und Tech-Guru Peter Isherwell (Mark Rylance), ein ad absurdum geführtes Amalgam aus Steve Jobs, Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und Elon Musk, immer nur dann auf, wenn das Drehbuch eines neuen Plot-Twists bedarf. Das ist eine vertane Chance, aus einem sehr guten, einen großartigen Film zu machen. Womöglich ist es aber der Schlüssel, um ein breiteres Publikum zu erreichen.

„Keep ist simple!“, „Mach's nicht zu kompliziert!“ lautet der Ratschlag an die Wissenschaftler, ihre Entdeckung der Bevölkerung möglichst schonend beizubringen. Keine Mathematik, keinen Fachjargon! Das scheint auch McKay selbst zu beherzigen. Auf kunstvoll eingearbeitete Einschübe verzichtet er komplett. Lag in The Big Short eine Margot Robbie völlig unvermittelt in der Badewanne und setzte dem Kinopublikum den Finanzmarkt auseinander oder tauchte in Vice urplötzlich Alfred Molina als Kellner auf, um die juristischen Feinheiten der Folter von Terrorverdächtigen zu erklären, sind solche Spielereien diesmal nur in einer einzigen Szene ganz am Anfang zu finden. Dadurch fehlt es Don't Look Up spürbar an Biss, so klug, versiert und süffisant McKay das Geschehen auch durch vorausgreifende und zurückblickende Montagesequenzen kommentiert.

Und noch etwas anderes ist neu: liebenswerte Charaktere. The Big Short und Vice hatten keinerlei Identifikationsfiguren vorzuweisen. Don't Look Up hat derer gleich mehrere, an die das Publikum mühelos andocken kann. Ob's der Botschaft hilft? Vielleicht kommt in der besinnlichen Weihnachtszeit ja tatsächlich der eine oder die andere zur Besinnung und blickt wie die Figuren in McKays Film nicht länger stur auf den Boden und an den Tatsachen vorbei, sondern nach oben in den Nachthimmel, an dem die Wahrheit auf sie zurast.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/dont-look-up-2021