Lamb (2021)

Von Lämmern und Menschen

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine Farm irgendwo mitten in der entlegenen Einöde des isländischen Berge: Hier lebt das kinderlose Ehepaar Maria (Noomi Rapace) und Ingvar (Hilmir Snær Guðnason) und kümmert sich liebevoll um die Lämmer, die sie großziehen. Mit viel Handarbeit haben sie alles aufgebaut und endlich scheint es so, als würden sich ihre Einkünfte durch die Zucht langsam auszahlen. Still und einträchtig ist das Leben, das sie führen – auch wenn die Melancholie Marias manchmal ihr ins Gesicht geschrieben zu sein scheint und Düsternis über dem Hof hängt wie die allgegenwärtigen Nebelschwaden. Das könnte alles weiterhin seinen gewohnten Gang nehmen, wäre da nicht eines Nachts eine Geburt im Stall, die alles verändert. Denn das Wesen, dem die beiden auf die Welt helfen, hat zwar den Kopf eines Lammes, doch den Körper eines Kindes. Anstatt aber entsetzt oder mit Abscheu zu reagieren, nehmen Maria und Ingvar das Wesen mit in ihr Haus, geben ihm den Namen Ada und ziehen es auf, als sei es ihr Kind – eine Unternehmung, die vor allem wegen der einsamen Lage des Hofes, bei dem kaum je ein Mensch vorbeikommt, erleichtert wird.

 

Achtung, hab hier sind im Text mögliche Spoiler zu lesen!

Selbst als Ingvars Bruder, der nichtsnutzige und hochverschuldete Musiker Pétur (Björn Hlynur Haraldsson) zu Besuch kommt und sich erstmal für längere Zeit einnistet, stört das die familiäre Idylle wenig, denn nach anfänglichem Staunen freundet sich der Onkel mit seiner Nichte Ada an, so dass auch von dieser Seite keine Gefahr droht. Viel eher sorgt für Unruhe, dass Pétur es nicht lassen kann, seiner Schwägerin Avancen zu machen, die ihm, so deutet es der Film ganz fein und mit wenigen Worten und Gesten an, schon früher gefiel. Und so kommt es, dass trotz des innigen Verhältnisses zwischen Ada und Pétur letzterer bald den Hof verlassen muss. Zu fragil ist die Balance des Lebens mit einem Kind, von dessen Existenz die Welt nichts wissen darf und zu lange ersehnt das familiäre Glück, das sich auf so ungewöhnliche Weise erfüllt hat. Doch es gibt noch ein anderes Wesen, das die Idylle bedroht – und das lässt sich nicht so leicht loswerden wie Adas Mutter, die von Maria erschossen wird.

Valdimar Johannsons Spielfilmdebüt, das in Cannes in der Reihe Un Certain Regard zu sehen war, ist ein Werk, das seine Wirkung ganz langsam entfaltet. Gleich zu Beginn sehen wir Pferde, die durch einen Schneesturm galoppieren, um dann wie durch eine unheimliche Begegnung aufgeschreckt kehrtmachen und Reißaus nehmen, ohne dass zu sehen gewesen wäre, was die Tiere in solche Aufruhr versetzt hätte. Später dann vor Adas Geburt sind es merkwürdige Geräusche, die von der Existenz einer Wesenheit künden, die sich im Film erst ganz spät bildhaft manifestiert. Hinzu kommt der überaus effektiv und klaustrophobisch anmutende Score von Þórarinn Guðnason und die atmosphärisch dichten Bilder von Eli Arenson, die vor allem im ersten Teil und am Ende die Düsternis und Mysteriösität der Geschichte betonen.

Erzählerisch wirkt vor allem der Teil, in dem Pétur auf dem Hof ankommt, Ada kennenlernt und eine Verbindung zu ihr aufbaut, wie ein Bruch zur vorher sorgsam aufgebauten Stimmung und wirkt beinahe heiter, nur um anschließend umso heftiger wieder in Bilder von Schmerz und Trauer umzuschlagen.

Das Ende indes, das das Rätsel von Adas Herkunft auflöst und ihren weiteren Weg vorzeichnet, ist mindestens zwiespältig, weil plötzlich auserzählt wird, was vorher allein durch Andeutungen oder reine Behauptung viel effektiver für einen narrativen Sog sorgte. Dennoch ist Lamb eine echte Entdeckung, die lange im Gedächtnis zurückbleibt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/lamb-2021