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Kolumnen

Im Kino über den Wolken: Grenzenlose Freiheit oder grenzenlose Zensur?

Ein Beitrag von Urs Spörri

Der Urlaub beginnt. Endlich hebt das Flugzeug ab. Umgehend stürzen sich die meisten Passagiere auf das aus Dutzenden Filmen bestehende Bordprogramm auf dem Monitor am Vordersitz. Aber welche deutschen Filme schaffen es in die internationalen In-Flight-Angebote – und wie werden diese ausgewählt?

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Filme schauen im Flugzeug
Filme schauen im Flugzeug

Die Motoren röhren. Hier spricht Ihr Kapitän. Kaum ist der Flieger in Richtung Urlaubsdestination gestartet, beginnt ein ganz besonderes Spektakel in Zeiten der vermeintlichen Kinokrise und rückläufiger Besucherzahlen: Reisende aller Altersklassen entdecken den Cineasten in sich und scrollen sich durch das Kinoprogramm on-demand im Vordersitz. Schnell wird klar: Hollywood hat auch hier die Oberhand, Blockbuster und Familienfilme sind in der Überzahl. Dennoch ist die Vielfalt überraschend, auch allerhand Arthousekino aus aller Herren Länder steht – meist in Originalsprache mit Untertiteln – zur Auswahl. Doch wie ist es um die deutschen Filme bestellt? Und nach welchen Kriterien werden diese ausgewählt?

Bereits im Sommer 2016 hatte ich diese Fragen per E-Mail an 20 weltweit führende Fluggesellschaften, bzw. deren Pressestellen, geschickt. Inhaltlich geantwortet hatten mir damals lediglich Lufthansa, Emirates und die niederländische KLM – drei weitere Airlines schrieben mir mehr oder weniger deutlich, dass sie zu diesem Thema nichts beantworten wollten. Die anderen 14 Fluglinien meldeten sich nicht einmal auf Rückfrage bei mir. Das machte mich stutzig. Seitdem habe ich die (eher selten erscheinenden) Nachrichten zum Thema gesammelt und versuche nun, Stand Juli 2018, einen Überblick über die mir bekannten Fakten zu geben.

 

Von Null bis 15: Arabische Fluglinien zeigen die meisten deutschen Filme

Welche deutschen Filme laufen also derzeit an Bord bei den folgenden elf internationalen Fluggesellschaften? Sämtliche Titel sind einer Online-Recherche entnommen, da die aktuellen monatlichen Filmprogramme inzwischen auf den Homepages zahlreicher Airlines gelistet sind.

Dieser (nicht repräsentativen) Erhebung zufolge sind die folgenden drei Titel in den derzeitigen Sommerferien am gefragtesten: Jim Knopf & Lukas der Lokomotivführer, Arthur & Claire sowie Wer hat eigentlich die Liebe erfunden? wurden von den 11 untersuchten Fluglinien je drei Mal für deren In-Flight-Programm gebucht. Insgesamt liegt der Anteil deutscher Filme äußerst niedrig, außer bei der Lufthansa bewegt sich die Quote überall weit unter 5 Prozent des Gesamtprogramms. Auffällig ist, dass neben dem internationalen Spitzenreiter Qatar Air mit derzeit 8 deutschen Produktionen auch mit Emirates, Etihad und Oman Air (die aus eigener Erfahrung stets zwischen 4 und 10 deutsche Filme im Programm haben) international das größte Interesse an deutschen Filmen im arabischen Raum vorzuherrschen scheint. Amerikanische Fluglinien wie beispielsweise Delta Airlines oder American Airlines konnten leider nicht in die Untersuchung einfließen, da diese ihr Monatsprogramm nur auszugsweise veröffentlichen und somit keine Gesamtzahl erhoben werden kann. Stichproben jedoch zeigten, dass dort (ebenso wie bei der russischen Aeroflot) aktuell kein einziger deutscher Film an Bord zu sehen sein dürfte.

Arthur & Claire; Copyright: Universum Film
Arthur & Claire; Copyright: Universum Film

 

Zwischenhändler: Kaum Komödien, keine Dramen

Fast jede Airline verfügt über einen eigenen Kurator, der die meisten verfügbaren Filme bereits auf Filmfestivals und Filmmessen vor Kinostart gesichtet hat. Übereinstimmend bestätigten mir Vertreter von Weltvertrieben und Verleihern, dass das Hauptinteresse bei deutschen Produktionen auf Kinder- und Familienfilmen sowie (angesichts des Bezugs zur Urlaubsreise passend) auf Roadmovies und Reisefilmen liege. Deutsche Komödien hätten es dagegen schwer, deutsche Dramen ließen sich fast nie verkaufen. Was interessant ist, da diese beiden Genres ja bekanntlich neben Fernsehkrimis den Löwenanteil der inländischen Filmproduktion ausmachen. Exportweltmeister Deutschland? Im Kino keinesfalls. Stehen die vom Kurator der Fluggesellschaft gewünschten Filme fest, werden diese meist mittels Pauschalpreisen von auf In-Flight-Entertainment spezialisierten Zwischenhändlern wie Spafax (u.a. dem Dienstleister der Lufthansa), Encore Inflight, Criterion Pictures, Global Eagle Entertainment oder Skyline bei den Weltvertrieben eingekauft. In Einzelfällen schaltet sich auch der nationale Verleih ein, gelegentlich gibt es statt des Festpreises auch eine Minimumgarantie mit prozentualer Beteiligung. Erhebungen, wie begehrt die deutschen Filme an Bord sind, dringen kaum nach außen: Emirates verriet mir, dass 2016 Der geilste Tag von Florian David Fitz von immerhin drei Prozent der Passagiere (auf allen Strecken der Linie weltweit) angeschaut wurde und somit der dort meistgesehene deutsche Film des Jahres war.

 

Heikles Thema: Zensur 

Warum ich kaum Antworten durch die Fluggesellschaften bekam, ist inzwischen offensichtlich: Aus Sorge vor Kritik an der allumfassenden Zensur, die über den Wolken grenzenlos um sich zu greifen scheint. „Der Inhalt wurde für dieses Format bearbeitet“, lautet die Standard-Einblendung zu Beginn eines Filmes im Bordprogramm. Die Eingriffe in das fertige Filmwerk beginnen noch relativ nachvollziehbar damit, dass das Bildformat stets der Größe des ohnehin ja überschaubar kleinen Monitors angepasst wird. Cinemascope ist hier unerwünscht, das Bild wird beschnitten. Dass dies inzwischen selbst von Hollywood-Regisseuren eingefordert wird, bestätigte sich in einer Twitter-Konversation im November 2017 zwischen Jordan Vogt-Roberts (dem Regisseur von Kong: Skull Island) und Peter Asencio (dem Regisseur von Keanu). Vogt-Roberts beschrieb, dass er widerwillig eine zusätzliche Version mit wechselnden Seitenverhältnissen angefertigt hatte, um zumindest in bestimmten Sequenzen sein originales Framing beizubehalten. Doch entsetzt stellte er fest, dass dann ausgerechnet diese verstümmelte Version auf HBO im Fernsehen gezeigt wurde – laut Asencio kein Einzelfall: HBO zeige die Filme nur dann in der richtigen Fassung, wenn sie vertraglich dazu verpflichtet seien.

Carol; Copyright: Universum Film
Carol; Copyright: Universum Film

Aber es bleibt längst nicht nur beim Bildformat: Zensur sei aus vielerlei Gründen nötig an Bord eines Flugzeugs, sind sich Airlines und Weltvertriebe einig – auch wenn sie es selbst ungern Zensur nennen. Sex, Gewalt, Attentate, gar lesbische Küsse und Klischees werden entweder verpixelt, herausgeschnitten oder neu synchronisiert. Manche Filme werden auf diese Weise bis zu fünf Minuten gekürzt. Den vielleicht größten Zensur-Skandal jüngerer Zeit erregte 2013 die bei Delta Airlines gezeigte Schnittfassung des britischen Films Carol um ein lesbisches Liebespaar in den 1950er Jahren, gespielt von Cate Blanchett und Rooney Mara. Das US-amerikanische LGBT-Magazin After Ellen enthüllte 2016, dass sämtliche Sexszenen und Küsse zwischen den beiden weiblichen Hauptfiguren fürs Flugzeug entfernt worden seien. Fast noch skandalöser war die Antwort von Delta, dass das Studio direkt zwei Fassungen zum Kauf angeboten habe – und die beschnittene Version neben zwei expliziten Szenen bereits in vorauseilendem Gehorsam um sämtliche lesbischen Kussszenen gekürzt worden war, ohne dass dies durch die Richtlinien der Fluggesellschaft nötig gewesen wäre. Andere Fluglinien zeigten in der Folge des Shitstorms die unzensierte Fassung von Carol.

 

Keine Abstürze im Flugzeug

Sei das Vermeiden sexuell konnotierter Inhalte vor allem dem Jugendschutz geschuldet (schließlich könnten Kinder auch auf die Monitore der Erwachsenen schielen), so sind filmische Flugzeug-Gewaltakte bei den meisten Fluggesellschaften tabu. In der Fachzeitschrift aeroTelegraph erklärte der 50 Airlines beliefernde Dienstleister IFE Services im November 2013: „Wir können negative Szenen mit Flugzeugen nicht im In-Flight-Entertainment zeigen. Das schließt Abstürze, Turbulenzen oder Entführungen ein.“ Als Beispiele wurden der Katastrophenfilm 2012 angeführt, bei dem der für den Film zentrale Absturz einer fiktiven Antonow An-500 fehlt oder als in World War Z mit Brad Pitt die Explosion eines Flugzeugs herausgeschnitten wurde.

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Aus Rücksichtnahme auf potenzielle Befindlichkeiten von Zielgruppen der Fluggesellschaften werden auch in der Synchronisation wie in den Untertiteln Veränderungen vorgenommen. So erklärt in Up in the Air der von George Clooney gespielte Vielflieger seiner Assistentin, wie man am schnellsten durch die Sicherheitskontrolle komme. Nie solle man sich hinter alte Menschen stellen, sondern stets hinter Asiaten. In der deutschen Version heißt es: „Die packen wenig ein, reisen effizient, lieben Schlupfschuhe.“ In der Flugzeugversion wird aus Asiaten „Businessleute“ – wohl weil asiatische Passagiere diese Äußerung als rassistisch einstufen könnten, vermutete der aeroTelegraph.

 

Saubere Versionen für den Hausgebrauch

Wer nun denkt, diese zensierten Fassungen seien nur ein Fall fürs Flugzeug, der irrt. Längst hat die Industrie mit Begeisterung diese Versionen für das politisch korrekte Publikum entdeckt – den Vogel schoss im vergangenen Jahr jedoch Sony mit seiner „Clean Version“-Initiative ab. Künftig wolle man neben der originalen Filmfassung auch eine um alle Kraftausdrücke, Sex und Gewalt bereinigte „saubere“ Version über Download- und Streamingportale zur Verfügung stellen. Eine Version „frei von erwachsenen Inhalten“, wie Sony den 24 Filmen von Ghostbusters über Elysium, White House Down bis Spider-Man bescheinigte, die man zum Einstieg ausgewählt hatte. Stilsicher reagierte der für seine unkorrekte Sprache bekannte Bad Neighbors-Hauptdarsteller Seth Rogen auf Twitter

Auch wenn Sony auf den daraufhin einprasselnden Hagel an Kritik reagierte und das Vorhaben wieder zu den Akten legte – regionale US-Anbieter wie ClearPlay oder VidAngel haben den amerikanischen Markt für stark zensierte Versionen erkannt und bieten diese dort bereits seit Längerem feil.

 

Wohin geht die Reise für Filme im Flugzeug?

Bald dürften die Monitore im Vordersitz der Vergangenheit angehören, vermuten viele Experten. Längst experimentieren alle großen Fluglinien mit Virtual Reality-Brillen, die freilich noch bei weitem nicht mit Spielfilmqualität mithalten können. Lufthansa etwa hat sich aktuell das virtuelle Glasboden-Flugzeug zum Ziel gesetzt – mittels VR-Brillen und 360-Grad-Fotos und -Videos soll man sehen können, über welchen Ort man gerade im jeweiligen Moment fliegt. Und Videos zum Flugziel sollen die Reisenden bereits in entspannte Stimmung versetzen, beim Reiseziel Mauritius wurde dies testweise mittels VR-Filmen über die dortigen Strände umgesetzt. Sogar über den Sinn des Verbleibs von Fenstern wird nachgedacht: Emirates hat in den mittleren Erste-Klasse-Suiten im A380 erstmals Bildschirme als künstliche Fenster einbauen lassen. Dies und das Einsparen der Monitore soll mithelfen, die beengten Platzverhältnisse an Bord vergessen zu lassen und zudem Gewicht zu sparen, was letztlich wieder der Geschwindigkeit und der Einsparung beim Kerosinverbrauch zuträglich sei. Die besondere Herausforderung für Virtual Reality ist neben dem Server für eine stabile Verbindungsqualität auch der beengte Platz: Denn schließlich sollen die Passagiere nicht zu wilden Armbewegungen animiert werden, die den Tomatensaft des Sitznachbarn verschütten lassen. 

Am kuriosesten geht es übrigens in Japan zu: Dort bietet das Unternehmen „First Airlines“ für Eilige eine virtuelle Flugreise von Tokio nach New York, Paris, Rom oder Hawaii an. In nicht einmal zwei Stunden sitzt man in einem Flugzeugsetting, erhält nach realistisch nachgespieltem Boarding ein zum Zielland passendes Bordessen und sieht via VR-Brillen die Welt über den Wolken – ehe es mit einer 360-Grad-Stadtführung in der Zielstadt endet. 46 Dollar kostet der „Flug“ laut Spiegel online in der Business-Class, für zehn Dollar mehr erhält man einen Sitz in der First Class.

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