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Die unsichtbare Stadt: Über eine besondere Art des Heimatfilms

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

Filmemacher_Innen drehen in ihren Heimatstädten, weil sie etwas im Verschwinden Begriffenes festhalten wollen, um sich zu therapieren oder manchmal auch schlicht, weil das Budget nichts anderes hergibt. Aber unterscheidet sich der New-York-Film eines echten New Yorkers von anderen New-York-Filmen?

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Manhattan von Woody Allen - Eröffnungsszene
Manhattan von Woody Allen - Eröffnungsszene

Dass Greta Gerwig ihr Regiedebüt Lady Bird ausgerechnet in ihrer landesweit als fad geltenden Heimatstadt Sacramento gedreht hat, sorgte dort für viel Wirbel. In der Lokalpresse erschienen Portraits über nahezu jeden Statisten, der im Film durchs Bild läuft, und sogar geführte Touren werden mittlerweile angeboten, die die zahlungskräftigen Kunden – „I-Love-Lady-Bird“-Button inklusive – zu allen wichtigen Drehorten geleiten.

 

“I’ve been to Sacramento. I am aware of how boring it is.” — Stephen Colbert zu Saoirse Ronan.

Die Regisseurin selbst sprach im A24-Podcast mit ihrem Kollegen Barry Jenkins darüber, wie es sich anfühlt, in der eigenen Heimatstadt zu filmen. Sie teilen die Erfahrung: Jenkins drehte sein oscarprämiertes Drama Moonlight in Miami. Gerwig: „I feel like I have the privilege of being from a place, and I am really from that place. My family didn’t move and my family is still there, my friends are still there, and I feel like I can actually speak to it with some feeling.“ 

Listen to „All the Way Home with Barry Jenkins & Greta Gerwig“ on Spreaker.

Spräche Greta Gerwig deutsch, würde sie Sacramento wohl als ihre Heimat bezeichnen. Aber bei dem Wort schwingt ein Unterton mit, der sich schwer übersetzen lässt, nicht nur, weil er so ideologisch aufgeladen ist. Die Heimat, das ist nicht automatisch, wo man geboren wurde. Vielmehr scheint sie einen Ort zu bezeichnen, zu dem man eine besondere Verbindung spürt. Für ihren Essayfilm Former East/Former West lief die US-amerikanische Filmemacherin Shelly Silver im Sommer 1992 durch Berlin und befragte die Leute auf den Straßen der frisch wiedervereinigten Stadt nach ihrer Heimat. Viel Ratlosigkeit, viel Ringen um Worte ist das auf 16mm-Material festgehaltene Resultat.

 

In New York fühlt sich jeder Kinogänger daheim

 

Chapter 1.

He adored New York City. He idolized it all out of proportion…no, make that: he — he romanticized it all out of proportion. Yeah. To him, no matter what the season was, this was still a town that existed in black and white and pulsated to the great tunes of George Gershwin.‘

Uh, no let me start this over.

Chapter 1.

He was too romantic about Manhattan, as he was about everything else. He thrived on the hustle bustle of the crowds and the traffic. To him, New York meant beautiful women and street-smart guys who seemed to know all the angles…‘. 

Ah, corny, too corny for my taste. Can we … can we try and make it more profound? […]

Chapter 1.

He was as tough and romantic as the city he loved. Behind his black-rimmed glasses was the coiled sexual power of a jungle cat.‘

I love this.

‚New York was his town, and it always would be.” – Woody Allen zu Beginn von Manhattan

 

Setzt man zum allerersten Mal seinen Fuß auf die Insel Manhattan, wirkt sie sofort vertraut. Schließlich hat man all diese Orte schon hunderte Male gesehen, zum Beispiel in den Filmen von Woody Allen. Die Atmosphäre ist eine ganz andere als in seinen europäischen Filmen, an deren Finanzierung oftmals Tourismusbehörden beteiligt waren. Vicky Cristina Barcelona spielt im Park Güell, auf dem Dach der Casa Milà, an ikonischen Orten. In New York hat oftmals erst Allen die Orte ikonisch gemacht: Das Paris Theater aus Der Stadtneurotiker, das Dim-Sum-Restaurant aus Radio Days, die Knishery aus Whatever Works — Liebe sich wer kann. Dazu addieren sich die New-York-Filme von Martin Scorsese, von Spike Lee, Abel Ferrara und unzähligen anderen. Das Phänomen ist trotzdem nicht typisch New York, auch nicht typisch amerikanisch. Man denke an die Hongkongfilme, in denen trotz der unterschiedlichsten Regisseure, Genres, Produktionsjahre immer wieder dieselben Schauplätze zu sehen sind, dieselben Hügel im Bildhintergrund. Der Effekt eines zusammenhängenden Kino-Universums ist der Gleiche, nur eben in diesem Fall aus der Not geboren.

  • Pageant Books aus Hannah und ihre Schwestern
    Pageant Books aus Hannah und ihre Schwestern

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  • Riverside Terrace in Manhattan
    Riverside Terrace in Manhattan

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  • Die Yonah Schimmel Knishery aus Whatever Works
    Die Yonah Schimmel Knishery aus Whatever Works

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  • Carnegie Deli aus Broadway Danny Rose
    Carnegie Deli aus Broadway Danny Rose

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  • Der Spielzeugladen FAO Schwarz aus Mighty Aphrodite
    Der Spielzeugladen FAO Schwarz aus Mighty Aphrodite

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  • Im Paris Theater aus Der Stadtneurotiker
    Im Paris Theater aus Der Stadtneurotiker

    Im Paris Theater aus Der Stadtneurotiker

Ohne zu sehr psychologisieren zu wollen – aber vielleicht hat es etwas auf sich mit der Not. Wer in seiner eigenen Heimat filmt, tut das oft aus einem Zwang heraus: Um etwas im Verschwinden Begriffenes festzuhalten zum Beispiel. Das japanische Filmemacherduo Kazuhiro Soda und Kiyoko Kashiwagi drehte für Minatomachi — Inland Sea in ihrem Heimatörtchen, um die traditionellen Fischereimethoden der überalterten Dorfbevölkerung zu dokumentieren. Ähnlich die Herangehensweise von Dominik Graf und Michael Althen. In einem Interview zu ihrem Film München — Geheimnisse einer Stadt erklärten sie dem Tagesspiegel: „So etwas wie Heimatgefühl scheint nicht mehr greifbar zu sein, also hält man es lieber noch mal kurz mit der Kamera fest.“ In Was uns bindet setzt sich Ivette Löcker mit ihrem Erbe, dem Haus der alten Eltern, nur widerwillig auseinander. Eigentlich wollte sie das Dorf im österreichischen Lungau schon lange hinter sich gelassen haben. Die Kamera wird zum Schutzschild gegenüber diesem Ort, den eigenen Wurzeln, die man einfach nicht endgültig loswerden kann, so sehr man auch strampelt. Heimat als Verpflichtung, als Bürde.

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Es gibts nichts zu glorifizieren

Ein anders gelagerter Fall ist George A. Romero, der in seiner Studienstadt Pittsburgh auch deswegen drehte, weil das nicht vorhandene Budget gar nichts anderes zuließ. Er machte keinen Hehl aus diesem Umstand, trotzdem war seinen Filmen nie der gleiche Lokalpatriotismus anzumerken wie der Regionalpresse, die ihn 1991 sogar zum Pittsburgher des Jahres ernannte. Im Belt Magazine schreibt Ed Simon über die sich in Romeros Filmen spiegelnde Historie und Machtstrukturen Pittsburghs.

Die Stadt erwarb durch Magnaten wie Carnegie, Heinz oder Westinghouse ihren Reichtum; ihre Namen schmücken noch heute Straßen, Konzerthallen, Krankenhäuser. Sie als Ausbeuter der Arbeiterklasse zu bezeichnen, geht nicht zu weit, aber ihr Geld bewahrte die Stadt auch vor den heftigen Dimensionen des Niedergangs, die den übrigen Rust Belt trafen. In diesem Sinne sei es nur logisch, Pittsburgh als letzte Oase inmitten der Zombieapokalypse zu zeichnen wie im 2005er Land of the Dead:

„If the zombie is simultaneously a metaphor for nihilistic capitalism and apocalyptic collapse, then Pittsburgh is an appropriate place for Romero to envision that particular monster.“

Romeros Filme stehen für einen Heimatbegriff, der sich Ideologien und Missbrauch entzieht, nicht nur, weil Pittsburgh lediglich die Wahlheimat des gebürtigen New Yorkers war. Bei ihm sind die Grenzen der Heimat nicht festgelegt. Sie ist durchaus ein Ort, dessen Gegebenheiten das Individuum beeinflussen, das in ihm lebt. Aber zu glorifizieren gibt es da nichts. Höchstens den Einfluss, den Romero selbst auf die Filmbranche Pittsburghs hatte: Auf Night of the Living Dead folgte ein Filmboom in der Region, in dessen Folge dort erst Klassiker wie Die durch die Hölle gehen, Das Schweigen der Lämmer, Und täglich grüßt das Murmeltier, später auch The Dark Knight Rises entstanden.

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Gewissermaßen die Antithese zu George A. Romeros soziologisch beeinflusstem Spielfilmblick mag Guy Maddins My Winnipeg abgeben, eine Auftragsarbeit des kanadischen Digitalsenders Documentary Channel und mehr noch als eine Mockumentary: eine Dokumentarfantasie. Darcy Fehr spielt darin eine Figur namens Guy Maddin, die als Erzähler des Films aber mit der tatsächlichen Stimme des Regisseurs spricht und beständig wiederholt: „Ich muss hier weg.“ Immer wieder dreht es sich im Film in unzähligen Wiederholungen um diesen Widerspruch: einen Weg aus der Stadt finden zu wollen, aber nicht weg zu können. Es ist wie bei der täglichen Busfahrt durch die eigene Heimatstadt, bei der man wieder und wieder die gleichen Gebäude und Straßen sieht, die die immer gleichen Erinnerungen, Assoziationen, Gedanken abrufen.

Maddin mischt tatsächliche biografische Fakten – er lässt Schauspieler seine Familie darstellen – mit Anekdoten aus der Stadtgeschichte, aber auch mit Legenden und urbanen Mythen, überhöht Winnipeg zu einem sagenumwobenen Ort. Es ist nicht wie bei den New-York-Filmen, man meint nach dem Ende von My Winnipeg nicht, die Straßenkarte vor seinem geistigen Auge zu sehen. Sehr wohl aber stellt sich ein poetisch intuitives, gewissermaßen ein erträumtes Gefühl für die Stadt ein.

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Eine ewige Hassliebe

Guy Maddins Verhältnis zu seiner stets kalten, abweisenden, verschlafenen Heimatstadt ist eine Hassliebe. Darin ist es dem Greta-Gerwig-Sacramento-Verhältnis nicht unähnlich. „Isn’t there a thing – think globally, act locally?“, wird Lady Bird einmal gefragt und Gerwig lässt sie antworten: „I don’t think that person lived in Sacramento.“ Bei beiden Filmemachern schwingt nicht nur das Gefühl mit, der Heimatstadt etwas zurückgeben zu wollen, sondern auch, noch nicht fertig mit ihr zu sein. In der Literatur neigen vergleichbare Projekte zur Überlänge: Elena Ferrante berichtet in ihrer Neapel-Tetralogie von der Freundschaft zweier Mädchen, die mehrere Jahrzehnte umspannt, am Ende gar angedeutete Linien in die Antike zieht. Alan Moores erzählt in Jerusalem auf über 1000 Seiten von seiner britischen Heimatstadt Northampton, indem er sogar das Jenseits zur Hilfe nimmt. Die dort Verweilenden sprechen in einer eigenen grammatikalischen Form, die unser Verständnis einer linear ablaufenden Zeit gänzlich auf den Kopf stellt. Je fixer der Spielort, desto bedeutender die zeitliche Dimension.

Michael Althen und Dominik Graf im Interview zu München — Geheimnisse einer Stadt: „Irgendwann war klar: Der rote Faden ist die Zeit, das Älterwerden in einer Stadt. Wie wird man in einer Stadt älter und alt?“ Und: „Je älter man wird, desto mehr spürt man, dass sich über die real existierende Stadt eine andere, unsichtbare Stadt legt. Das geschieht nicht an den touristischen Orten, in der Maximilianstraße oder auf dem Marienplatz. Es geht um andere Orte: Auf der Parkbank habe ich ein Mädchen geküsst, in dem Geschäft, wo mal ein Kino war, habe ich diesen bestimmten Film gesehen.“

Vielleicht ist es das, was die Leute meinen, wenn sie davon reden, dass eine Stadt die Hauptrolle in einem Film spielt: Sie leiht dem Film einige ihrer vielen Geschichten und bekommt im Gegenzug eine weitere Schicht Patina zurück, den Kinoglanz. Die wahrheitsgetreue Abbildung ist dabei gar nicht so wichtig. Greta Gerwig und Barry Jenkins erzählen in ihrem Podcast-Gespräch, wie das Location-Scouting ihre fälschliche Erinnerung entlarvte: sie meinten sich in ihren Heimatstädten an Orte zu entsinnen, die so nie existierten. Jenkins:

„For me, personally, I’m not a documentary filmmaker, so I’m not looking for that particular house. It’s more like the feeling of this structure or the feeling of this corner or this neighborhood, whatever it is.“

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Es geht nicht darum, ob das blaue Haus aus Lady Bird wirklich so existiert. Es geht nicht darum, ob die Bürger von Winnipeg wirklich Wettkämpfe um Zugtickets aus der Stadt heraus antraten, wie in My Winnipeg behauptet. Oder ob in Tom Tykwers Wuppertalfilm Der Krieger und die Kaiserin auf dem Weg von Vohwinkel nach Barmen das dazwischen liegende Elberfeld übersprungen wird. Die Filme sind anderen Wahrheiten verpflichtet. Vielleicht kann ein Filmemacher, der seinen Drehort kennt wie die eigene Westentasche, sich einfach nur besser darauf konzentrieren, diese Wahrheiten, Gefühle, Strukturen oder was immer es ist zu finden. Dafür ist Lady Bird das beste Argument: ein Film, der nur von Dingen handelt, die jeder von uns erlebt hat, der aber die beste Rotten-Tomatoes-Wertung aller Zeiten hält. Ist doch nichts dabei, wenn es in Sacramento am Ende heißt:

“We’ll definitely at least have the reputation as being the city where Lady Bird was filmed.”

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