zurück zur Übersicht
Features

Der Kinderfilm zwischen Politik und Ästhetik in BRD und DDR

Ein Beitrag von Rochus Wolff

Im Rahmen unserer Textreihe zu den Filmgeschichten Ost- und Westdeutschlands nimmt sich unser Autor den Kinderfilm beider Staaten vor.

Meinungen
Das tapfere Schneiderlein von Helmut Spieß
Das tapfere Schneiderlein von Helmut Spieß

„Das tapfere Schneiderlein […] aber nimmt sich statt der Prinzessin deren arme Magd zur Frau. Und wenn sie nicht gestorben sind, haben sie mit den Bauern eine LPG gegründet und aus dem Schloss einen Pionierpalast gemacht…“ Als die DEFA 1956 „Das tapfere Schneiderlein“ auch in die westdeutschen Kinos brachte, war man dort nicht unbedingt begeistert. Die Kritik von Peter Morten in der Zeit bringt die zeitgenössische Skepsis gegenüber allen Filmen aus dem Ostteil des Landes unmissverständlich zum Ausdruck — und macht sehr deutlich, dass man sich gegenseitig vor allem aus politischen, weniger aus ästhetischen Gründen kritisch beäugte.

Dabei war der Film von Helmut Spieß auch im Osten keineswegs ausschließlich mit Begeisterung aufgenommen worden. Zwar fand Hansgeorg Meiern von der Leipziger Volkszeitung, in dem Film sei „auf glückliche und gelungene Art das gesellschaftskritische Elemente des Volksmärchens […] ausgebaut und logisch fortgeführt worden,“ aber für den Rezensenten der BZ am Abend waren „Satire, Groteske, moderne Pädagogik und ein allzu aktuell-politischer Ausgang“ dann doch „zuviel auf einen Streich“. Am Ende nämlich verschmäht der Schneider die Königstochter und heiratet statt ihr die Magd: Schließlich konnte die frühe Deutsche Demokratische Republik schlecht das Hohe Lied des Adels singen.

 

Märchenhaftes Proletariat

Auch wenn das Schneiderlein sich nicht primär und exklusiv an Kinder als Publikum richtete, werden die Märchenfilme der DEFA beginnend mit Das kalte Herz oft pauschal zu den DDR-Kinderfilmen gezählt, und für die meisten ist diese Einordnung natürlich auch zutreffend. Während anfangs der durchaus klassische Märchenkontext von Prinzessinnen und Prinzen oft eher nur am Rande vorkam (in Das kalte Herz ist der Protagonist ja ein Köhler, mithin ein einfacher Arbeiter), änderte sich auch das spätestens mit Das singende, klingende Bäumchen. In diesem Film von 1957 nun spielte Christel Bodenstein — die im Schneiderlein als am Schluß heiratende Magd ihr Filmdebüt hatte — ihrerseits eine Prinzessin. Allerdings eine arg verwöhnte, die durch Arbeit und Mitgefühl geläutert werden musste.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

 

Politisch unumstritten war allerdings auch dieser Film nicht; und die Diskussionen über die politische Positionierung der Rolle sowie ihrer Funktion in der DDR fanden nicht allein in der Filmkritik statt, sondern auch in politischen Gremien und letztlich an allen Punkten, die für die Filmemacher_innen im Osten entscheidend waren.

Die DEFA und ihre Filme sollten eine wichtige Rolle in der politischen Entwicklung der DDR und in der kulturell-politischen Bildung der Menschen spielen; schon kurz nach Kriegsende wurden daher in der SBZ und später der DDR die Weichen gestellt, um systematisch die Produktion von Filmen zu ermöglichen und zu fördern. Der Kinderfilm — den es bis zu dieser Zeit als eigene Form nur in Ansätzen überhaupt gab — spielte dabei eine wichtige Rolle, was sich unter anderem darin niederschlug, dass 1952/53 ein eigenes „DEFA-Studio für Kinderfilm“ gegründet wurde.

Bis in die 1960er Jahre hinein wurden hier vor allem Märchenfilme gedreht (ähnlich wie im Westen, dazu später); später gab es dann auch vermehrt Koproduktionen mit sozialistischen Brüderländern (deren bekannteste vermutlich Drei Haselnüsse für Aschenbrödel von 1973 ist).

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

 

Über die gesamte Lebenszeit der DEFA entstanden auch zahlreiche Filme, die sich mit der realen Gegenwart und Lebenswirklichkeit in der DDR beschäftigten; für diese „Gegenwartsfilme“ hat Dieter Wiedemann konstatiert, dass ihre Wirkung „zu einem wesentlichen Teil aus dem mehr oder weniger gelungenen Balanceakt zwischen verordneter und subjektiv geglaubter Ideologie, zwischen pädagogischem Auftrag und selbst gestelltem erzieherischem Anliegen, zwischen Anpassung und Protest“ herrührte. In den 1970er Jahren waren Scheidungsfamilien ein großes Thema, in den 1980ern waren immer öfter die Hauptfiguren weiblich — da fungierte der Kinderfilm in vielerlei Hinsicht als Seismograph gesellschaftlicher Entwicklungen.

So viele Freiheiten die Kinderfilm-Macher_innen auch genossen, der Kinderfilm stand — wie die gesamte Produktion der DEFA — immer unter Beobachtung und Einfluss der politischen Gremien, sollte sich ideologischen und politischen Zielen unterordnen. Dass sich dabei die Präferenzen und Prioritäten immer wieder änderten, führte im Grunde in vielen Fällen zu unerfüllbaren Anforderungen an die Filmemacher_innen — mal waren sie freier in ihrer politischen wie ästhetischen Gestaltung, dann wurden plötzlich neue oder alte Restriktionen (wieder) eingeführt. Die „Spielfilmkonferenz“ von 1958 gilt als zentrales Ereignis, bei dem gewisse Lockerungen für DEFA-Produktionen, die nach dem Tode Stalins möglich geworden waren, wieder zurückgenommen wurden.

Es wundert freilich nicht, dass ein eng geschnürtes politisches Korsett nicht unbedingt zu besseren Filmen führt — auch dies bekamen die Filmemacher_innen dann allerdings vorgehalten, denn es galt als wichtig, dass die Filme nicht nur politisch gewünschte Themen und Positionen transportierten, sondern auch bei ihrem Publikum gut ankamen.

Christel Bodenstein in "Das tapfere Schneiderlein"; Copyright: DEFA-Stiftung
Christel Bodenstein in „Das tapfere Schneiderlein“; Copyright: DEFA-Stiftung

 

Eine Zensur fand halt doch statt

Eine unmittelbar vergleichbare Einflussnahme auf die Filmproduktion gab es in dieser Form in der Bundesrepublik Deutschland nicht; das bedeutet aber nicht, dass es keine politische Einflussnahme darauf gab, was im Kino zu sehen war.

Der eingangs erwähnte Das tapfere Schneiderlein ist dafür ein hervorragendes Beispiel. Denn als Morten seine Kritik in der Zeit veröffentlichte, war der Film im Westen noch gar nicht zu sehen, und auch danach eine Weile nicht. Stattdessen wurde die Aufführung des Films 1957 vom „Interministeriellen Ausschuss für Ost-West-Filmfragen“ verboten und erst nach erneuter Prüfung im folgenden Jahr genehmigt, so dass er ab März 1959 dann in Westdeutschland im Kino laufen konnte. (Später dann, das nur am Rande, war der Film in Ostdeutschland nicht mehr zu sehen: Nämlich seit das „Schneiderlein“ Kurt Schmidtchen 1961 in die Bundesrepublik gegangen war.) 

Der Ausschuss gehört zu den seltsameren Einrichtungen der jungen Bundesrepublik; er prüfte Filme vor allem aus der DDR und anderen sozialistischen Staaten und erteilte in den Jahren von 1953 bis 1966 von insgesamt 3180 Filmen 130 keine Genehmigung. Bis 1961 hatte die Arbeit des Ausschusses allerdings keine (und auch danach nur eine fragwürdige) formale und rechtliche Grundlage — eine Zensur, so steht es ja im Grundgesetz, findet nicht statt.

Andreas Kötzing umschreibt die Situation so: Der Ausschuss stützte sich zunächst „auf ein Militärregierungsgesetz vom September 1949, das allein wirtschaftliche Aspekte bei der Einfuhr von Filmen berücksichtigte. Zusätzlich diente seit Ende der 1950er Jahre Paragraph 93 des Strafgesetzbuches als Rechtfertigung für die Arbeit des Ausschusses: Er stellte die Verbreitung von verfassungsfeindlichen Filmen unter Strafe. Erst mit Inkrafttreten des ‚Verbringungsgesetzes‘ vom September 1961, das die Einfuhr von Filmen aus bestimmten Ländern generell von einer Genehmigung abhängig machte und eine Prüfung der Filme vorsah, um Verstöße gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu ahnden, war der Interministerielle Ausschuss de jure abgesichert. In der Öffentlichkeit blieb er dennoch umstritten.“

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

 

Mit anderen Worten: Weil alles, was aus dem Osten kam, im Zweifel unter Sozialismusverdacht stand, durften die Menschen dem nicht ungeprüft ausgesetzt werden. Spätestens ab den 1960er Jahren wurde das allein schon deshalb problematisch, weil es in Westdeutschland keine nennenswerte Kinderfilmproduktion gab.

In den ersten Jahren ab 1948 entstanden — im Westen wie auch im Osten — sehr viele Märchenfilme. Zwischen 1948 und 1961 allein etwa 40, wofür natürlich — im Vergleich zur DDR — auch die dezentralen Produktionsbedingungen mit zahlreichen Produktionsfirmen eine Rolle spielten. Hinzu kamen (meist kurze) Trickfilme und Kinderbuchverfilmungen. Auch im Westen entstanden in diesen Jahren sogenannte „Problemfilme“, die sich insbesondere mit der Situation von Kindern in der Nachkriegszeit beschäftigten; zugleich waren auch im Kinderfilmsegment mit den Immenhof-Filmen (beginnend 1955 mit Die Mädels vom Immenhof) die politisch oft eher regressiven Heimatfilme sehr erfolgreich.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

 

Im Westen nichts Neues

Mit dem Ende der 1950er Jahre kam die Produktion ästhetisch oder politisch interessanter Kinderfilme in Westdeutschland fast vollständig zum Erliegen. Symptomatisch dafür steht der 1959 eingeführte (wahrscheinlich aber auch zu gering dotierte) „Deutsche Kinderfilmpreis“, der mangels preiswürdiger Filme bis Ende der 1960er Jahre nicht ein einziges Mal vergeben und 1972 ersatzlos abgeschafft wurde.

Dazu mag beigetragen haben, dass es im Westen kaum Filmemacher_innen gab, die sich ausschließlich dem Kinderfilm widmeten — für viele galt er allenfalls als ein Schritt zum „großen Kino“. In Ostdeutschland hingegen förderten die Strukturen eine Professionalisierung und Spezialisierung in diese Richtung; so verdanken wir zum Beispiel dem Regisseur und Autor Rolf Losansky zahlreiche DEFA-Kinderfilme über seine ganze Karriere hinweg, von Die Suche nach dem wunderbunten Vögelchen (1963) bis Zirri, das Wolkenschaf (1992), eine der letzten DEFA-Produktionen überhaupt.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

 

Erst in den 1970er Jahren gab es — im Gefolge des Oberhausener Manifests — eine langsame Wiederbelebung des Kinderfilms in Westdeutschland. Arend Agthes Flussfahrt mit Huhn von 1984 gilt dabei als der entscheidende Wendepunkt, zu dem der westdeutsche Kinderfilm wieder sichtbar und sowohl ästhetisch wie auch politisch interessant wurde.

In einem Rückblick Ende der 1980er Jahre (aber noch vor der Wende) kamen Christel Strobel und Gudrun Lukas-Aden zu dem Ergebnis, dass 40% der relevanten Kinderfilme, die in der Bundesrepublik gezeigt wurden, aus der ČSSR, aus Dänemark und der DDR stammten; dass darüber hinaus die westdeutsche Filmlandschaft stark von Filmen aus Großbritannien und vor allem den USA geprägt war (und ist), dürfte kein Geheimnis sein.

Meinungen