Wiener Dog (2016)

Ein Hundeleben

Spätestens als die Mumblecore-Queen Greta Gerwig im Jahre 2010 in Noah Baumbachs Greenberg eine tragikomische Bravour-Performance in Sachen Selbstzerstörung und Desorientierung lieferte, ahnte man, dass es irgendwann zu einer Zusammenarbeit mit dem Independent-Filmemacher Todd Solondz kommen würde. Und nun ist es passiert. Gleichwohl stellt sich zunächst Irritation ein: Gerwig spielt Dawn Wiener?! Die Dawn Wiener aus Solondz‘ Coming-of-Age-Meisterstück Willkommen im Tollhaus (1995)? Oh ja, das tut sie.

Natürlich ist das im Solondz-Kosmos längst keine Novität mehr: Bereits in Life During Wartime (2009) ließ der US-Writer-Director einige Figuren aus seiner bitterbösen Gesellschaftssatire Happiness (1998) zurückkehren – ebenfalls in völlig neuer Besetzung, die der ursprünglichen in manchen Fällen nicht einmal besonders ähnlich sieht. Aber dennoch: Bei Dawn Wiener liegen die Dinge schlichtweg anders. Zum einen, weil wir zu Beginn von Solondz‘ Experimentalwerk Palindrome (2004), in welchem die Protagonistin Aviva von acht verschiedenen Schauspieler_innen interpretiert wird, Dawns Beerdigung beiwohnen mussten, da Dawn angeblich Suizid begangen hatte. Und zum anderen, weil sie – im Gegensatz zum Happiness-Personal – mehr als die Verkörperung diverser abgründig-absonderlicher Ideen ist. Dawn ist eine Ausnahmeerscheinung des Adoleszenzkinos, eine Rebellin, die man weder im herkömmlichen Sinne als attraktiv noch als ausgesprochen sympathisch bezeichnen kann – die in der Bewältigung ihres Alltags aus Mobbing, familiärer Enttäuschung und emotionalen Irrwegen aber trotzdem das Zeug zur Heldin hat. Und es mag ein schrecklich konventionelles Gefühl sein, doch man vermisst Heather Matarazzo – die einstige Darstellerin des Parts –, da deren authentisches, furchtloses Spiel untrennbar mit der Rolle verknüpft ist.

Das soll allerdings nicht heißen, dass Gerwig ihre Sache nicht gut macht. Die Figur ist jetzt deutlich gefälliger; ihre Riesenbrille und nachlässige Aufmachung wirken hipper – weshalb Dawn (leider) zu einer weniger außergewöhnlichen, aber immer noch interessanten Indie-Protagonistin geworden ist. In Wiener-Dog widmet sich Solondz ihrem neuen Abenteuer in der zweiten von insgesamt vier Episoden, deren einzige Verbindung der titelgebende, weibliche Dackel ist. Dawn lebt nach wie vor in New Jersey, in einer suburbanen Gegend, an deren Hässlichkeit sich nichts geändert hat. Sie arbeitet inzwischen in einer Tierklinik und entführt ihren Patienten, den Dackel, um ihn in ihrer Wohnung zu pflegen. Der Hund lebte zuvor für kurze Zeit bei einer wohlhabenden, dreiköpfigen Familie, bis die Eltern (Tracy Letts und Julie Delpy) ihn wegen seiner fatalen Magenprobleme wieder loswerden wollten und ihrem Sohn Remi (Keaton Nigel Cooke) daher erzählten, der Arzt habe ihn einschläfern müssen. Zufällig begegnet Dawn ihrem Ex-Mitschüler Brandon (damals von Brendan Sexton III, nun von Kieran Culkin verkörpert) und entschließt sich kurzerhand, den offensichtlich immer noch problembeladenen jungen Mann samt Dackel nach Ohio zu begleiten („What’s in Ohio?“ — „Crystal Meth.“ — „Okay!“). Unterwegs bleibt der Hund bei Brandons Bruder Tommy (Connor Long) und dessen Frau April (Bridget Brown) zurück; später landet er bei dem frustrierten Filmdozenten Dave Schmerz (Danny DeVito), der verzweifelt versucht, ein Drehbuch zu verkaufen, ehe der Dackel – der immer wieder neue, meist geschmacklose Namen erhält – bei der zurückgezogen hausenden Nana (Ellen Burstyn) unterkommt, die nach vielen Jahren von ihrer Enkelin Zoe (Zosia Mamet) und deren Künstler-Freund Fantasy (Michael James Shaw) besucht wird.

In der ersten Episode – die ganz in der Tradition von Solondz‘ fiesen Suburbia-Studien Happiness und Life During Wartime steht – warten Drehbuch und Inszenierung mit unfassbar gemein-komischen Szenen auf, die ein gewisses Faible für tiefschwarzen Humor erfordern. Insbesondere Julie Delpy läuft hier als überforderte Mutter zur Hochform auf, wenn sie sich in den Gesprächen mit ihrem Sohn immer wieder in Sackgassen hineinredet. Ihre eigentlich gut gemeinten Erklärungen, die ungeschickterweise zumeist in schrecklichen Todesszenarien gipfeln, sind Paradebeispiele für Solondz‘ Fähigkeiten als begnadeter Dialoggestalter, der erbarmungslos die Lügen entlarvt, die wir uns selbst und unserem Umfeld erzählen, um (nicht selten erfolglos) Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Auch im zweiten Segment kommen diese Fähigkeiten zur Entfaltung; gleichwohl hat die Dawn-Episode eine eigenartige Fan-Fiction-Anmutung. Während man Dawn in Willkommen im Tollhaus gerade deshalb mochte, weil weder das Skript noch dessen Umsetzung oder das Spiel von Matarazzo den Versuch erkennen ließen, sie in eine allzu liebenswürdige Figur zu verwandeln, hat man hier viel stärker das Gefühl, dass die Sympathie für Dawn und sogar für Brandon in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. Man wünscht den beiden das Beste – kommt sich dabei aber total langweilig vor. Der Vorgänger war somit entschieden mutiger. Der dritte Abschnitt von Wiener-Dog bietet einen skurrilen Einblick in die Welt einer Filmhochschule und obendrein den vermutlich besten Auftritt von Danny DeVito seit langer Zeit; ebenso bleibt die vierte Episode vor allem dank der schauspielerischen Intensität in Erinnerung: Zosia Mamet – bekannt aus der Serie Girls – verleiht ihrer traurigen Figur durch Blicke und Gesten eine derartige Tiefe, dass man sich wünscht, die Figur möge (aber bitte nicht in neuer Besetzung!) noch einmal in einem späteren Solondz-Werk in Erscheinung treten.

Alles in allem steckt Wiener-Dog voller Überraschungen – so kommt es zwischen der zweiten und dritten Episode etwa zu einer amüsanten Intermission, die es dem Publikum ermöglicht, sich Erfrischungen aus der Kinolobby zu besorgen. Erstaunlich ist, wie Solondz in denkbar unschönen Dingen Poesie entdeckt. Der finalen Pointe kann man in ihrer Radikalität den Mut zwar gewiss nicht absprechen; sie dürfte allerdings dafür sorgen, dass der Film von vielen Zuschauer_innen abgelehnt wird – was bei der Premiere des Werks auf dem Sundance Film Festival 2016 prompt eintrat. Als kontroverser Auteur ist Solondz weiterhin ein beachtenswerter Vertreter des Indie-Sektors, auch wenn Wiener-Dog nicht in jeglicher Hinsicht zu überzeugen vermag.

(Festivalkritik Sundance 2016 von Andreas Köhnemann)

Wiener Dog (2016)

Spätestens als die Mumblecore-Queen Greta Gerwig im Jahre 2010 in Noah Baumbachs „Greenberg“ eine tragikomische Bravour-Performance in Sachen Selbstzerstörung und Desorientierung lieferte, ahnte man, dass es irgendwann zu einer Zusammenarbeit mit dem Independent-Filmemacher Todd Solondz kommen würde. Und nun ist es passiert. Gleichwohl stellt sich zunächst Irritation ein: Gerwig spielt Dawn Wiener?! Die Dawn Wiener aus Solondz‘ Coming-of-Age-Meisterstück „Willkommen im Tollhaus“ (1995)? Oh ja, das tut sie.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

muzafer · 07.08.2016

ähm, warum sollte es sich in jeder episode um den gleichen hund handeln? wir im film so nicht erwähnt und ist wäre auch inhaltich egal.