Vergiss mein Ich

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Von der Freiheit, sich neu zu erfinden

Lena Ferben (Maria Schrader) leidet infolge einer Gehirnhautentzündung an retrograder Amnesie. Sie weiß zwar, wie die Hauptstadt von Frankreich heißt, erkennt aber ihr eigenes Foto und das ihrer Mutter nicht. Alles, was mit ihrer Identität und ihren Emotionen zu tun hat, scheint wie weggewischt. Ihr Mann Tore (Johannes Krisch) hofft vergeblich darauf, dass sie sich wieder an ihre Beziehung erinnert, an den Tag des Kennenlernens, an die von ihr so geliebten Spaziergänge im Wald. Eisern übt Lena beim Neurologen, anhand von Bildern den Gefühlsausdruck anderer Personen richtig zu deuten. Nach dem gleichen Prinzip des Auswendiglernens reagiert sie auf Tores Worte mit einem aufgeschnappten Filmdialog oder mit Fundstücken aus ihrem einstigen Tagebuch. Tore registriert verzweifelt, dass sich die Frau an seiner Seite nur bemüht, Lena zu sein. Denn was bedeutet es für die miteinander aufgebaute Beziehung, wenn die Partnerin eventuell doch ganz neue Züge entwickelt?
Regisseur und Drehbuchautor Jan Schomburg lässt in seinem zweiten Kinospielfilm nach Über uns das All aus dem Jahre 2011 nicht nur Lena intensiv über das Wesen der Identität grübeln. Auch die Zuschauer dürfen philosophieren, etwa wenn sich herausstellt, dass es in der Ehe Risse gab: Lena erfährt aus ihrem Tagebuch, dass Tore und ihre beste Freundin (Sandra Hüller) etwas miteinander hatten. Indem sich die jetzige Lena darüber nicht aufregt, entspricht sie dem primären Wunsch eines ertappten Ehebrechers: Schwamm drüber! So gesehen, bekommt Tore die Chance, wirklich noch einmal mit seiner Frau von vorne anzufangen. Aber er merkt ja offenbar gerade jetzt, da es die alte Lena nicht mehr gibt, wie sehr er sich nach ihr sehnt.

Ironischerweise zahlt es Lena ihrem Mann, ohne das auch nur im Geringsten als Rache zu beabsichtigen, mit gleicher Münze heim. Denn sie lernt Roman (Ronald Zehrfeld) kennen, der mit ihr schläft, obwohl oder gerade weil sie einen deutlich orientierungslosen Eindruck macht. Nun muss Tore damit klarkommen, dass Lena ihm stolz verkündet, dieser Sex habe ihr gefallen. Es ist dieser Fremde, der Lena zum ersten Mal wieder Lust empfinden lässt und ihr damit einen wichtigen Genesungsschritt ermöglicht.

Leider aber hat auch die Inszenierung selbst ein Identitätsproblem. Sie kann sich nicht so recht entscheiden, ob sie Lenas Amnesie und gekünstelte Sprech- und Denkversuche wie auf einer Theaterbühne überbetonen will, oder ob es ihr mehr darum geht, die Hauptfigur glaubwürdig und natürlich wirken zu lassen. So sieht man Lena mit einem selbst aufgemalten Schnurrbart im Gesicht durch die Straßen laufen, ahnungslose Sätze murmeln, eine Karikatur ihrer selbst. Im nächsten Moment aber fährt sie Rad, dann sitzt sie auch bald am Steuer eines Autos, kann also doch noch erstaunlich viel für den derangierten Eindruck, den sie oft macht. Man erkennt auch nicht so richtig, auf welche Aussage die Geschichte eigentlich hinauslaufen soll. Und nach einem Schnitt kann es passieren, dass man sich den Zeitsprung, den die Handlung gerade absolviert hat, erst umständlich aus dem Kontext erschließen muss. Solche Unklarheiten schmälern den Genuss und die Überzeugungskraft des Dramas. So wirkt es weder wie genau beobachtete Realität, noch wie ein raffiniert konstruiertes Gedankenspiel über die Liebe und das Vergessen.

Vergiss mein Ich

Lena Ferben (Maria Schrader) leidet infolge einer Gehirnhautentzündung an retrograder Amnesie. Sie weiß zwar, wie die Hauptstadt von Frankreich heißt, erkennt aber ihr eigenes Foto und das ihrer Mutter nicht. Alles, was mit ihrer Identität und ihren Emotionen zu tun hat, scheint wie weggewischt. Ihr Mann Tore (Johannes Krisch) hofft vergeblich darauf, dass sie sich wieder an ihre Beziehung erinnert, an den Tag des Kennenlernens, an die von ihr so geliebten Spaziergänge im Wald.
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