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Das Land, in dem Lukas der Lokomotivführer lebte, war nur sehr klein. Auf der großen Leinwand wirkt es seltsam verloren.

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer (2018)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Einmal Kummerland und zurück, bitte

„Das Land, in dem Lukas der Lokomotivführer lebte, war nur sehr klein.“ Mit diesen Worten ruft man bei einem Großteil zumindest westdeutscher Menschen unter 60 sofortige Assoziationen hervor: Von Büchern, mit Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen, oder von atemlos bestaunten Marionetten, die über das wild bewegte Plastikfolienmeer aufbrechen zu unglaublichen Abenteuern. Und natürlich von diesem unfassbar fröhlichen Lied, das ihre Abenteuer einleitete, „Eine Insel mit zwei Bergen“, gesungen zu leicht schräger Melodie, immer ein wenig dissonant neben den eigentlich gemeinten Tönen.

Dennis Gansel hat also in seiner Realverfilmung von Michael Endes Geschichte viele Vor-Bilder, an denen er sich abarbeiten kann, darf und muss. Er wirft sich schon mit dem Filmbeginn ganz ohne Furcht in die Gischt und lässt die Handlung mit genau diesen Worten beginnen. Nun ja, fast; denn vorher zeigt ein Prolog aus dem stürmischen Ozean, wie die eigentliche Hauptfigur, der spätere Jim Knopf, als kleines Baby von den Seeräubern der Wilden 13 eingesammelt wird.

Und dann beginnt die Geschichte so, wie wir sie kennen: Das kleine Schwarze Kind wird vom Postboten nach Lummerland gebracht, weil die eigentliche Adresse „Kummerland“ der Post nicht bekannt ist. König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte (Uwe Ochsenknecht) und seine Untertanen, Lokomotivführer Lukas (Henning Baum), Frau Waas (Annette Frier) und Herr Ärmel (Christoph Maria Herbst), stehen ein wenig belämmert um das Paket herum, aus dem ihnen ein Baby entgegenschaut. Im Zeitraffer geht es dann durch die Jahre, bis Jim Knopf (Solomon Gordon) unter Frau Waas‘ Fürsorge so groß geworden ist, dass der König sich Sorgen um Überbevölkerung auf der wirklich sehr kleinen Insel macht. Da Lukas seine Lokomotive Emma nicht abgeschafft sehen will, beschließt er, auszuwandern – und Jim kommt mit.

Durch ein paar Umbauten wird Emma seetüchtig gemacht, und nach einer bemerkenswert kurzen Fahrt, von einer Riesenwelle angeschoben, landen die beiden Lummerländer im Land Mandala – einen Ort, der, das wird im Filmbild noch deutlicher als schon im Buch, alle Asienklischees in sich vereint. Das ist zum Teil sehr putzig (Haarezähler! Kindeskinder!), zum Teil eher eigenartig (kandierte Regenwürmer! Bürokratie!), auf jeden Fall aber sehr exotisch, während Lukas und Jim sich vor allem nach ein paar Butterbroten sehnen…

Und so geht es weiter. Gansels Film folgt recht getreulich den Stationen von Michael Endes Buch, das Drehbuch von Dirk Ahner, Andrew Birkin und Sebastian Niemann schreibt hie mal etwas um, strafft da ein wenig… aber bleibt doch der Vorlage sehr treu. Zu treu vielleicht, denn spätestens nach Jims und Lukas‘ Aufbruch aus Mandala, hinaus in die Welt, um die Prinzessin Li Si aus der Drachenstadt zu retten, wirkt das Geschehen oft fahrig und gehetzt – da bleibt kaum Zeit, um die Besonderheit und Freundlichkeit von Herrn Turtur (Milan Peschel) zu würdigen oder das Schicksal des „Halbdrachen“ Nepomuk (gesprochen von Michael Bully Herbig) genauer zu reflektieren. Selbst der Kampf mit Frau Mahlzahn wirkt seltsam abrupt.

Aber wie sollte es anders gehen? Schon mit seinen 105 Minuten wirkt der Film recht lang, aber Endes dichte Erzählung erlaubt es kaum, eine Station der beiden Abenteurer womöglich auszulassen – zumal dann, wenn man bereits darauf schielt, auch Jim Knopf und Die Wilde 13 noch zu verfilmen, in der nämlich alle wichtigen Figuren erneut auftauchen – Nepomuk ebenso wie Herr Turtur, von Frau Mahlzahn, Li Si und natürlich der Wilden 13 zu schweigen.

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer ist klar als großer Wurf angelegt – als Abenteuerfilm, wie ihn Dennis Gansel bei einer Vorführung beschrieb, zugleich mit starker Schlagseite in Richtung Fantasy und mit klarem Blick auf Familien als Zielgruppe. So sortiert er sich auch mit Filmplakat und Titelschriftzug ein, die genretypisch an Abenteuergeschichten einerseits und, sagen wir’s geradeheraus, Harry Potter andererseits angelehnt sind.

Das ist aber alles gar nicht unbedingt verkehrt; Jim Knopf ist ja letztlich ein großes, leicht magisches Coming-of-Age-Abenteuer, und Gansels Verfilmung, so zu brav sie in vielem auch sein mag, spürt so erfolgreich dem phantastischen Gestus von Endes Erzählung nach. Es gibt tolle Bilder und wunderschöne, auch spannende Momente, gestört nur durch gelegentliche Dissonanzen. Wenn etwa Lukas, als die kaiserlichen Wächter sie einkerkern wollen, eine Art Bud-Spencer-Gedächtnisprügelei anzettelt, so wirkt das wie ein Fremdkörper im Film; und dass Gansel keinen eleganten Umgang mit der im Buch angelegten antirassistischen Botschaft findet, ist doch sehr bedauerlich.

Interessant ist dann schließlich, wie sehr der Film nicht nur mit seinen Vor-Bildern zu ringen hat, sondern auch mit seiner eigenen Ästhetik, in der alles möglichst real aussehen soll. Lummerland nämlich, wie es so klein im flachen Meer liegt, nur zwei kleine Berge und davor ein wenig flaches Land (mit viel Tunnels und Geleisen und dem Eisenbahnverkehr…), tritt überdeutlich als phantastischer, will sagen: eigentlich unmöglicher Ort hervor. Trotz der großen, breiten Bilder, der weiten Blicke über wilde Landschaften fühlte sich dieser Kritiker doch wieder zurückgeworfen in die Perspektive der Puppenkiste, in der die kleine Insel im Plastikfolienmeer so viel stimmiger erschien.

Womöglich passt genau dieses Problem aber trotzdem genau zum Stoff; denn Endes Jim Knopf-Bücher sind natürlich eine einzige Feier des Abseitigen und vor allem: Unmöglichen. Das fängt mit Herrn Turtur nur an und endet beim Perpetumobil noch lange nicht. Womöglich hätte es deshalb Michael Ende gefallen, wie sehr hier zu Leben erweckt wird, was sonst nur in der Fantasie denkbar ist. Oder er hätte sich, wie seinerzeit über „Die unendliche Geschichte“, echauffiert über die „Super-Effekt-Show nach amerikanischem Vermarktungsmuster“. Für beides fände er hinreichend Anknüpfungspunkte.

 

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer (2018)

Michael Endes im Jahre 1960 erschienenes Buch zählt zu den erfolgreichsten und beliebtesten Werken der deutschsprachigen Kinderliteratur und ist bislang vor allem in der Verfilmung durch die Augsburger Puppenkiste bekannt.

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Meinungen

Bianca Sallinger · 22.04.2018

Ich bin positiv überascht
Mir gefällt der Film.

wignanek-hp · 11.04.2018

Ich komme gerade aus dem Film und ich muss sagen, dass er mich der sehr gerührt hat. Gansel trifft genau den Ton, den ich in Erinnerung habe und es ist viele Jahre her, dass ich das Buch gelesen habe. Die Geldgeber scheinen auch was gelernt zu haben. An der Ausstattung wurde nicht gespart und es gab sogar 3 Drehbuchschreiber. Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Wer sich an den Klischees stört, die auch bei Ende auftauchen, sollte sich lieber an die Botschaft halten, die dieser Film doch sehr schön transportiert. Die Hommage an Star Wars (Fahrt durch das Tal der Dämmerung) hat mir fast noch besser gefallen als die – vom Regisseur intendierte – Verbeugung von Bud Spencer. Leute seht euch den Film an, ihr werdet euer Lummerland finden.