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Kolumnen

Michael Ende und die rassistischen Drachen

Ein Beitrag von Rochus Wolff

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer galt einmal als eskapistische Abenteuergeschichte. Tatsächlich versuchte Michael Ende sich damit aber an antirassistischer Arbeit; die neue Verfilmung schlenkert an diesem Kern vorbei.

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Filmstill zu Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer (2018)
Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer (2018) von Dennis Gansel

Jim Knopf und Die Wilde 13 war das erste Buch, das ich mir von meinem Taschengeld selbst gekauft habe. Ich wünschte mir erzählen zu können, dass ich es in einem kleinen Buchladen erworben habe, vielleicht gar einem Antiquariat, wie es (für mich) später Bastian Balthasar Bux in Die unendliche Geschichte betreten würde. Aber es war ganz schnöde in der Buchabteilung von Hertie, direkt dort, wo man mit dem Bus ankam auf dem Weg in die Innenstadt

Die Geschichte war da schon fast zwanzig Jahre alt, 1962 erschienen als Fortsetzung von Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, das ich natürlich schon verschlungen hatte. Dass mir das Buch wie brandneu vorkam, mag natürlich meiner kindlichen Perspektive zu verdanken sein – oder vielleicht doch dem Umstand, dass die alte Bundesrepublik sich zwischen 1962 und den sehr frühen 1980ern dann nicht so viel gewandelt hatte, wie man denken würde. Insofern passt es vielleicht doch ins Bild, dass ich den Band dort bei Hertie erstand.

Die Jim Knopf-Bücher, ursprünglich von Ende als eine einzige Geschichte entworfen und dann in zwei Bände aufgeteilt, waren für den Schriftsteller, der sich vorher erfolglos an Theaterstücken und nicht so erfolglos an Filmkritiken versucht hatte, der Durchbruch; 1960, also noch im Jahr, in dem der erste Band erschien, gewann Jim Knopf den Deutschen Jugendbuchpreis, und der Rest ist irgendwie deutsche Kultur-, nicht zuletzt auch Fernsehgeschichte.

 

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Ein ganz und gar exotisch geprägter Blick

Unumstritten war Endes Buch freilich nicht; spätestens in den 1970er Jahren, als sich eine ideologiekritische Sicht auf Literatur durchsetzte – im Rahmen einer durchaus sinnvollen Auseinandersetzung mit der Literatur sowohl der Vor- als auch der Nachkriegszeit –, wurde ihm nicht nur Weltflucht und Eskapismus vorgeworfen, sondern auch die Reproduktion kolonialistischer Muster und Perspektiven. Und in der Tat ist es (insbesondere heute) zum Teil schwierig zu lesen, mit welchen stereotyp als „asiatisch“ markierten Merkmalen im Jim Knopf China beschrieben wird (das Ende später selbst in „Mandala“ umbenennen ließ), oder wie die Kinder in Frau Mahlzahns beschrieben werden: „Indianerkinder und weiße Kinder und kleine Eskimos und braune Jungen mit Turbanen auf dem Kopf“. Ein ganz und gar exotistisch geprägter Blick ist das, auch Ende ist ein Kind seiner Zeit.

Darin allerdings blanken Rassismus zu sehen, damit macht man es sich wohl deutlich zu einfach; denn für das Jahr 1960 war in Deutschland ein Kinderbuch schon ziemlich ungewöhnlich, in dem ein Schwarzes Kind sowohl Hauptfigur als auch klarer Sympathieträger ist. Ein Buch dazu, das von „Misfits“ nur so wimmelt, von Ausgestoßenen, Unverstandenen – wie etwa Herrn Turtur, der dann auch sagt (und das darf als programmatisch für die Endes Buch verstanden werden): „Eine Menge Menschen haben doch irgendwelche besonderen Eigenschaften. Herr Knopf zum Beispiel hat eine schwarze Haut. So ist er von Natur aus, und dabei ist nichts weiter Seltsames, nicht wahr? Warum soll man nicht schwarz sein? Aber so denken leider die meisten Menschen nicht. Wenn sie selber zum Beispiel weiß sind, dann sind sie überzeugt, nur ihre Farbe wäre richtig und haben etwas dagegen, wenn jemand schwarz ist.“

Denn Michael Ende wusste sehr genau, wie sehr er ein Kind seiner Zeit war. Sein Vater Edgar hatte als surrealistischer Maler große Probleme im Nationalsozialismus; und Ende selbst machte sich seinerseits viele Gedanken darüber, wie sehr auch seine eigene Generation durch die Indoktrination während ihrer Schulzeit im „Dritten Reich“ die ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus‘ aufgesaugt haben mochte.

Man kann das erahnen in einem kleinen Nebensatz zu Beginn des Buches, in dem es in Bezug auf Emma heißt, Lokomotiven hätten „keinen großen Verstand – deshalb brauchen sie ja auch immer einen Führer“. (Zu Emmas Ehrenrettung: Zum Ausgleich verfügen Lokomotiven über „ein sehr empfindsames Gemüt.“) Oder eben in den Regeln der Drachenstadt, aus der Jim und Lukas schließlich die Prinzessin Li Si erretten: „! Achtung ! Der Eintritt ist nicht reinrassigen Drachen bei Todesstrafe verboten,“ ist am Eingang nach Kummerland zu lesen, und von da an ist es nicht schwer, Kummerland als Bild für das nationalsozialistische Deutschland zu lesen, in das der „Halbdrache“(!) Nepomuk keinen Zutritt bekommt: „Nur weil meine Mutter ein Nilpferd war! Aber mein Vater war ein richtiger Drache!“

 

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Jim Knopf und Charles Darwin

Richtig herausgearbeitet wurde die Auseinandersetzung von Michael Ende mit dem Nationalsozialismus in Jim Knopf von der Wissenschaftshistorikerin Julia Voss. Sie argumentierte, zunächst in einem Artikel in der FAZ und dann ausführlicher in einem eigenen Buch (Darwins Jim Knopf, Frankfurt a.M. 2009), dass Ende mit seinem „Jim Knopf“ sich auf „Jemmy Button“ beziehe, einen jungen Mann, der unter Zwang von Feuerland verschleppt worden und mit Charles Darwin auf der Beagle gereist war (und von dem Darwin in seinem eigenen Reisebericht schreibt). Auch viele andere Details aus dem Buch lassen sich unter dieser Perspektive beschreiben: Lummerland etwa wird zu einer Miniatur (und Parodie) von Großbritannien zur Zeit Buttons (samt etwas albernem König und seinen Untertanen: Bürgertum, Handel, Arbeiter – Herr Ärmel, Frau Waas und Lukas). Und in der Tat ist es der ja etwas einfältige Herr Ärmel, der als einziger, ganz am Anfang des Buches, im Angesicht von Jim Knopf das N-Wort in den Mund nimmt.

Man mag diese Deutung von Lummerland als übertrieben wahrnehmen, aber Voss arbeitet sehr genau heraus, dass Michael Ende sich in seinen Jim Knopf-Büchern ausführlich an Darwins Evolutionstheorie abgearbeitet haben könnte. Für ihn, so beschreibt es Voss, lag in den Theorien Darwins die Basis für die biologistischen und rassistischen Argumentationen im Nationalsozialismus. Dass diese Darwins Theorien einseitig verzerrt und (jedenfalls aus Sicht heutiger Biolog_innen) falsch wiedergegeben haben, spielte dabei für ihn keine große Rolle. Dann wäre Jim Knopf aber eben ein Versuch der Teufelsaustreibung gewesen, in dem am Ende sogar der Drachen von seinem Überwinder (dem sehr unarischen Jim Knopf) nicht, wie in der Sage von Siegfried, getötet wird . In diesem Buch geht es um Gnade, um das Miteinander gerade auch der Außenseiter. Und am Ende wird ein kleiner, Schwarzer Junge König von Atlantis, pardon: Jimballa.

Es gibt jedenfalls, so viel darf man nach Voss‘ sehr lesenswertem Buch festhalten, keinen Grund zu glauben, Ende habe sich bei Jim Knopf dem Eskapismus hingegeben oder eine reine Abenteuergeschichte ohne tiefere Bedeutungen geschrieben. Natürlich ist die Botschaft nicht so überdeutlich sichtbar wie in Momo oder Die unendliche Geschichte, in denen politischer Gestus und pädagogische Botschaft mit Händen zu greifen sind.

 

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„Lummerland ist meine Heimat“

Dennis Gansels neue Verfilmung hat keine so ganz klar umschriebene Haltung, wie sie die Bücher nach Voss‘ Interpretation einnehmen. Die durchaus explizite Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus taucht zwar durchaus auf, aber der Fokus verschiebt sich eher in Richtung der emotionalen Einordnung von „Familie“ und „Heimat“. Ganz am Schluss, als Jim und Lukas wieder nach Lummerland zurückgekehrt sind, unterhalten sich die beiden über die Frage nach Jims Herkunft, und Jim reagiert mit Überzeugung: „Ihr seid meine Familie, und Lummerland ist meine Heimat.“

Ein Film im Jahr 2018 ruft damit eher das Thema Migration auf – zumal wenn der Satz als Statement am Filmende und in so klar hervorgehobener Position fällt. Zugleich ist das aber eben, genau weil es an genau dieser Stelle als Feststellung eigentlich überflüssig ist (niemand hat daran gezweifelt, wohin und zu wem Jim Knopf gehört), mehr wohlfeile Hollywood-Feelgood-Formel als echtes politisches Bekenntnis.

Ansonsten merkt man dem Film nämlich eher an, dass er mit dem Thema Rassismus nicht sicher umzugehen weiß. „So sind wir nun einmal gemacht,“ bekommt Jim von Lukas zu hören, als er nach seiner Hautfarbe fragt – da klingt noch ein wenig der zitierte Monolog von Herrn Turtur aus dem Buch an. Als er bei Frau Mahlzahn einem anderen Schwarzen Jungen begegnet, spricht er ihn an mit den Worten: „Du siehst ja aus wie ich!“ Woher er denn komme? „Aus dem Land der Löwen und Elefanten“ – und man weiß nicht, ist das die kindliche Perspektive auf ein Land, in dem es Löwen und Elefanten gibt, oder ist es der kolonialistische Blick, der Afrika als „ein Land“ sieht?

Überhaupt, dass die Schüler_innen von Frau Mahlzahn in diesem Film alle in Tracht gekleidet sind wie in „ethnologischen“ Büchern der Nachkriegszeit, darf man auch schwierig finden, selbst wenn das ironisch gebrochen wird durch einen kleinen Bayer in Lederhosen: „Do legst di nieda!“

Einen kleinen Stich hat es mir aber doch versetzt, wie Nepomuk von seinen Eltern spricht. Schon im Buch hat der Halbdrache ja völlig verinnerlicht, dass er durch die „Mischehe“ seiner Eltern minderwertig sei, aber hier erzählt er sogar noch, wie es zu seiner Zeugung kam: Mama war ein Nilpferd, und Papa war kurzsichtig. Das ist eine noch furchtbarere Kindheitsgeschichte als im Buch, und der Film dreht sie nur diese Spur weiter, um daraus einen müden Scherz zu generieren. Und das haben weder Nepomuk noch Michael Ende wirklich verdient.

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