Nur ein Tag

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Bereits für das Frühstück sammelt das Wildschwein (Aljoscha Stadelmann) an diesem Morgen Trüffel im Wald, um mit dieser komfortablen Mahlzeit für sich und seinen Lebensgefährten, den Fuchs (Lars Rudolph), in den Tag zu starten. Gleichermaßen unspektakulär und idyllisch wohnen die beiden in einem kleinen Haus in der wunderschönen Natur, die offensichtlich alles bietet, was die Existenz begehrt. Nach dem frühen Schmaus werden die beiden eher zufällig und beinahe unfreiwillig Zeuge, wie eine hübsche kleine Eintagsfliege (Karoline Schuch) am nahegelegenen See ins Dasein schlüpft. Leugnen sie auch anfangs das Interesse an der niedlichen Kreatur, der doch lediglich ein einziger Tag auf Erden vergönnt ist, setzen sie dann sogar ein Fernglas ein, um die allerersten, reizenden Bewegungen der Fliege auch deutlich mitzuerleben.
Da hilft bald kein Zaudern mehr, denn es entsteht Kontakt zwischen den so unterschiedlichen Tieren, der allerdings gleich von Beginn an durch erhebliches Ungleichgewicht gekennzeichnet ist: Die Herren Fuchs und Wildschwein besitzen die Kenntnis, dass dem Fliegentier nur die namensgebende kurze Lebensspanne zur Verfügung steht, während das Fliegenfräulein selbst offensichtlich nichts davon ahnt. Nun ist guter Rat teuer für das Wildschwein-Fuchs-Gespann: Sollen sie die hübsche Kleine, die sie doch schon ins Herz geschlossen haben, über ihre knappen zeitlichen Ressourcen aufklären? Ganz traurig geraten die beiden darüber, besonders sichtbar der Fuchs, so dass dies auch der Eintagsfliege auffällt, aufmerksam, wie sie ist. In ihrer moralischen Not finden die Vierbeiner zu einer folgenreichen Ausrede, die sie ihrer fliegenden Freundin prompt präsentieren: Der Fuchs sei es, der nur noch einen Tag Restleben übrighabe, und ebendieser Umstand überschatte sein Gemüt. Mit der energischen, kategorischen Reaktion der Fliege hatten die beiden wohl kaum gerechnet: Dann aber los, wenn nur ein Tag bliebe, sollte dieser doch zum Glücklichsein genutzt werden, postuliert die Flügeldame. Sie übernimmt auch gleich die Regie und schleppt das verblüffte Wildschwein und den erstaunten Fuchs durch einen ereignisreichen Sommertag im Wald, der sozusagen im Zeitraffer einen ganzen Lebensweg repräsentieren soll.

Hat er sich längst als Comiczeichner, (Kinderbuch-)Autor, Illustrator und Schauspieler einen klingenden Namen erarbeitet, tritt der nordrheinwestfälische Martin Baltscheit nun erstmals auch als Regisseur und gleichzeitig Drehbuchautor in Erscheinung. Nur ein Tag lautet der nun auch filmische Titel einer seiner Kindergeschichten, die bereits ab 2007 erfolgreich als Theaterstück aufgeführt wird, 2014 als Hörspiel sowie ein Jahr später im Buchformat erschienen ist und sich nun anschickt, die ganz große Kinoleinwand zu erobern. Der fabelförmige Stoff dieser Geschichte wird im Film wie bereits auch beim Bühnenstück schlichtweg von menschengestaltigen Schauspieler_innen verkörpert, wobei Anke Engelke zusätzlich zu den drei Hauptfiguren eine weitere Eintagsfliege spielt, die allerdings in ihrer deprimierten Abschottung leider nicht die Vierte im Bunde der Glücksfraktion wird.

Gelobt und gefeiert wurde diese Fabel über den glücklichen Aneignungswert einer noch so kurzen Daseinsspanne in den vergangenen zehn Jahren bereits reichlich, und betrachtet man die Altersempfehlung ab fünf Jahren, so wartet auch die filmische Version mit einigem Vergnügen für das junge Publikum auf. Hier wird theatralisch überzogen intoniert und agiert, in der mild-wilden, wunderschönen Waldkulisse herumgetobt und ausgiebig gescherzt, wobei auch ansprechende kleine Slapstick-Sequenzen nicht fehlen, die mitunter kaum der plakativen Dialoge bedurft hätten. Der Habitus der Darstellung verweist in seiner doch bei Zeiten recht altmodisch anmutenden Manier auch deutlich auf die jüngste Zielgruppe, manchmal eher an Kasperltheater als an Bühne erinnernd. Die Sprachlichkeit ist dabei oftmals recht uneinheitlich geraten, von albernem, Kindern zugeschriebenem Duktus bis hin zu eher jugendlichen Anglizismen, was allerdings durch die herrlich atmosphärischen Klänge der Filmmusik San Ra Weckerts gelungen relativiert wird. Ob die gut gemeinte, eingängig akzeptable bis später gefällig feine moralische Dimension der Darstellung geeignet ist, um auch ein älteres bis erwachsenes Publikum über die Filmlänge hinweg anzusprechen, ist hingegen zu bezweifeln.

Wirkt die Figurenzeichnung von Nur ein Tag anfangs eher unkonventionell, werden die Charaktere im Verlauf der Handlung dann doch im klassischen Kanon eines durchschnittlichen Lebens gebändigt: Schule, Hochzeit und Mama-Papa-Kind-Familie bilden die bedeutsamen Stationen wohl auch der tierischen Existenz und am Ende wird die moralische Frage, ob der Eintagsfliege nicht ein ganz eigenes Leben mit ganz eigenen Wegen zu gönnen gewesen sei, mit dem über alles herausragenden Wert der Freundschaft beantwortet, der sicherlich seine Berechtigung hat. Die Bevormundung in bester Absicht löst sich in leicht melancholischem Wohlbefinden auf, und das ist immerhin ein absolut realistisch erscheinendes Ende für eine Fabel.

Nur ein Tag

„Nur ein Tag“ ist eine Fabel über den Sinn des Lebens und das kostbare Geschenk der Freundschaft. Basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück, Hörspiel und Buch von Martin Baltscheit, der hiermit sein Kinodebüt inszeniert.
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