LOMO: The Language of Many Others (2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Einfallsloses Porträt der Gegenwart

Es gibt nur zwei Zustände im Leben: Bewusstlosigkeit oder Panik, meint Karl Schalckwyck (Jonas Dassler), der kurz vor dem Abitur steht. Mit seiner Zwillingsschwester Anna (Eva Nürnberg) und seinen Eltern Krista (Marie-Lou Sellem) und Michael (Peter Jordan) lebt er in einem gutbürgerlichen Bezirk von Berlin. Während seine Schwester sehr genau weiß, dass sie in Kanada studieren will, widmet sich Karl seinem Blog „The Language of Many Others“, auf dem er immer wieder Aufnahmen seiner Familie postet und sich im regen Chat mit den Blog-Besuchern über die Sinnlosigkeit und Austauschbarkeit des modernen Lebens und Alltags austauscht.

Sein Vater ist darüber alles andere als glücklich, aber eigentlich mehr mit der Bewerbung um den Auftrag für den Bau eines neuen Ministeriums beschäftigt. Seine Mutter gibt hin und wieder Klavierunterricht, widmet sich einem Computerspiel und würfelt gelegentlich aus, welche Aufgaben im Haushalt sie als nächstes erledigt. Außerdem gibt es noch Doro (Lucie Hollmann), eine neue Mitschülerin, die anscheinend auch ein wenig rebellisch ist. Karl findet Gefallen an Doro, sie augenscheinlich auch an ihm. Jedenfalls steht sie eines Tages vor seiner Tür, sie gehen in die elterliche Sauna, haben Sex und Doro filmt den Sex mit Karls Handy. Schließlich ist sie wild und mutig. Nun passiert, was anscheinend in Filmen, die sich kritisch mit dem heutigen Lebensstil auseinandersetzen, passieren muss: Karl will eine Beziehung, Doro nur eine lockere Affäre, also betrinkt sich Karl und lädt das Sex-Video auf seinen Blog. Ein alberner Racheakt, der aber Konsequenzen hat: Seine Eltern verlangen, dass er das Video löscht und nehmen ihm schließlich auch Handy und Laptop ab, Doros Mutter will, dass Karl der Schule verwiesen wird — und noch dazu entscheidet sie über den Auftrag, um den sich Karls Vater beworben hat, weshalb er zur Entrüstung seiner Frau nur allzu bereit ist, auf alle ihre Forderungen einzugehen. Karl übt sich indes nach einem kurzen Anflug eines schlechten Gewissens an einer Abwehrhaltung, in der er Konsequenzen und Schaden seines Verhaltens negiert.

LOMO — The Language auf Many Others ist ein Film, der gerne sozialkritisches Porträt der Gegenwart wäre, dem aber nur wenig einfällt, was man nicht bereits gesehen hätte: Karls Vater stellt seine Arbeit über alles, Karls Mutter sucht einen Weg der Selbstverwirklichung, seine Schwester ist zielstrebig, aber auch besorgt um ihren Bruder, Karl ist ein privilegierter Teenager, der sich in seinem Leben langweilt und gegen vieles, aber für nichts ist. Sein Blog wird von den Eltern tendenziell als Gefahr und sehr als Quelle der Peinlichkeit angesehen, in der Online-Welt aber genießt er durchaus einiges Ansehen. Auch die anderen Figuren entspringen direkt einem Handbuch für klischierte Figuren: Doros Mutter ist eine unsympathische Karrierefrau, die ihre Arbeit über alles stellt, an ihrer Tochter kein Interesse zeigt und immer alles kontrollieren will, Doros Vater hat seit Jahren eine Affäre und schon Doros rote Haare signalisieren, dass sie Ärger bedeutet. So weit, so konventionell. Als Karl dann das Video veröffentlicht, mehren sich aber die Ärgerlichkeiten: In der Folge geht es weit weniger um die Konsequenzen für Doro, die zwar schon von Karl enttäuscht ist, aber nicht will, dass daraus so eine Sache gemacht wird, als die für Karl, der lediglich einen winzigen Anflug von Reue zeigt. Und immerhin verliert er nun den Kontakt zum Internet, weil er Handy und Rechner abgeben muss. Aber seine Follower stehen ihm bei, sie lassen ihm Handy, Kamera mitsamt Mikrofon und Bluetooth-Ohrstöpsel übermitteln, mit dem er zu ihnen Kontakt hat — und sie somit immer in seinem Leben dabei sind. Und Karl, der ja eh nicht einsehen will, dass seine Handlungen Konsequenzen haben, übergibt die Kontrolle über sein Leben zunehmend der anonymen Masse an Followern. Mit ihnen im Ohr, mit ihnen im Rücken fühlt er sich stark, er lässt sich von ihnen zu Unterhaltungszwecken steuern. Hier findet der Film seine wenigen starken Bilder: Wenn diese Stimmen des Internets als streitender Chor zunehmend Präsenz in Karls Leben bekommen und über die Tonebene stets präsent sind. Aber sie sind ihm nicht nur Stütze, sondern bergen auch Gefahr — wie er gegen Ende immer stärker merkt. Denn schließlich sind die Menschen im Internet ja nicht alle gut, sondern abgehärtet und stumpf.

Es wird vieles angedeutet in diesem Film, gerade in der Beziehung von Karl und Anna scheint Kontrolle eine große Rolle zu spielen, zumindest die, die er über sie ausüben kann. Auch die Frage der Individualität, die für Karl und Doro bedeutsam ist, weil sie um jeden Preis anders als die anderen und insbesondere ihre Eltern sein wollen. Allein in dieser potentiellen Dreiecksbeziehung hätte eine Geschichte gelegen, aber stattdessen beschränkt sich Julia Langhof darauf, lediglich Ideen und Ansätze zu präsentieren. Besonders ärgerlich ist dabei, dass der Film bei aller behaupteten Modernität im Umgang mit den technischen Möglichkeiten in dem Werben um eine Frau sehr altmodische Vorstellungen hat: Eines Nachts schleicht sich Karl in das Haus von Doro und ihr dunkles Schlafzimmer, um mit ihr zu reden. Vielleicht wurde es noch nicht oft genug gesagt: Das ist nicht romantisch. Er dringt hier ebenso ungefragt und ungebeten in ihre Privatsphäre ein wie seine Follower auf den Rechner von Doros Mutter. Das ist nicht heldenhaft, sondern schlichtweg übergriffig. Aber noch nicht einmal aus dieser Parallele holt der Film irgendetwas heraus.
 

LOMO: The Language of Many Others (2017)

Es gibt nur zwei Zustände im Leben: Bewusstlosigkeit oder Panik, meint Karl Schalckwyck (Jonas Dassler), der kurz vor dem Abitur steht. Mit seiner Zwillingsschwester Anna (Eva Nürnberg) und seinen Eltern Krista (Marie-Lou Sellem) und Michael (Peter Jordan) lebt er in einem gutbürgerlichen Bezirk von Berlin.

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