Dries (2017)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Es menschelt hinter der Marke

Vogelgezwitscher ist als erstes zu hören, dann lichtet sich langsam die Leinwand und ein Teppich aus Moos wird sichtbar. Ein ungewöhnlich naturverbundener Anfang für einen Dokumentarfilm, der sich mit einem Modemacher befasst. Aber zu Dries Van Noten passt er: Der belgische Modemacher ließ seine Models für die Frühlingskollektion 2015 als Reminiszenz an John Everett Millais’ Gemälde Ophelia über Moos schreiten – beziehungsweise über den aufwendig gearbeiteten Teppich einer argentinischen Künstlerin. Dries ist das filmische Portrait eines Mannes und einer Marke, so leicht ist das in diesem Fall nicht auseinanderzuhalten.

Dries Van Noten machte als Mitglied der sogenannten Antwerp Six wie Ann Demeulemeester oder Martin Margiela 1980 seinen Abschluss an der Königlichen Hochschule der Schönen Künste in Antwerpen und stieg in den folgenden Jahrzehnten zu einem der großen Namen auf. Einer der letzten Modemacher, dessen Marke noch nicht in einem Großkonzern aufgegangen ist, der Erfolge bei Kritik und Kommerz verzeichnet, ohne Werbung zu betreiben. Cate Blanchett gehört zum Kundenstamm und sogar die belgische Königin. Die Kamera folgt einem stillen, hochkonzentrierten Mann, freundlich, unter Anspannung wirkt er kühl. Der Regisseur Reiner Holzemer hat über ihn einen Film gedreht, der nicht viel mit den regelmäßigen Einblicken in Pariser Haute-Couture-Manufakturen zu tun hat, in denen dutzende weißbekittelte Näherinnen den ganzen Tag emsig surren und ab und an kommt das gottgleiche Genie mit neuen Zeichnungen herein geschwebt.

Im Hause Dries Van Noten herrscht eine ruhigere, geerdete Atmosphäre: Entwürfe kommen nicht nur vom Boss, im Headquarter und Atelier am Antwerpener Willemsdok stehen Grüppchen zusammen und diskutieren Ideen, halten Muster aneinander, breiten Stoffproben über den kompletten Fußboden aus und zwischendurch tapst van Notens Foxterrier durchs Bild. Dries besteht zu einem Großteil aus diesen Blicken hinter die Kulissen, unternimmt kurze Exkurse nach Indien, wo Dries Van Noten seine Stickereien per Hand anfertigen lässt, oder in die Stofffabrik im norditalienischen Como.

Aber Holzemer sucht auch immer wieder nach Momenten, in denen es menschelt. Auf einer Leinwand führt er dem Designer dessen bedeutendste Kollektionen vor, lässt ihn erklären und kommentieren. Auf dem riesigen Gelände mit herrschaftlichem Chateau, in dem er mit seinem Geschäfts- und Lebenspartner wohnt, bekommt Dries etwas von einer Homestory. Der Modemacher kann alle Dahlien im Garten bei ihren lateinischen Namen nennen, erntet eigenhändig Rote Beete. Bei einem abendlichen Gespräch wird die Machart des Films dann endgültig durchlässig: Der Schnitt interveniert nicht mehr, wenn Holzemer hinter der Kamera seine Fragen stellt und Van Noten, noch zerstreut in der Küche herumklappernd, antwortet, als dächte er gerade zum ersten Mal darüber nach, wie privat dieser Film eigentlich werden soll.

Obwohl die Mode von Dries Van Noten als exzentrisch gilt – früher mixte er folkloristische Stoffe mit westlichen Schnitten, heute Haute-Couture-Elemente mit Sportkleidung – schält sich aus den Beobachtungen in Dries bald ein Grundsatz heraus, der eher nach Understatement klingt: Mit Schockeffekten könne man heute kaum aus der Masse herausstechen, findet van Noten. Er versucht sich durch gutes Handwerk zu behaupten, durch sorgfältige Verarbeitung. Reiner Holzemer übernimmt dieses Prinzip etwas zu bereitwillig. Was in der Mode für Qualität steht, kann einen Film schnell behäbig wirken lassen. Holzemer versäumt bei aller Faszination für sein Subjekt, nach einem eigenen Spannungsbogen zu suchen. Faszination ist zweifellos da: Schließlich sprechen wir von einem Unternehmen, in dem die Mitarbeiterinnen sämtlichen Einladungskarten zur nächsten Modenschau persönlich mit Lippenstift einen roten Kussmund aufhauchen.
 

Dries (2017)

Vogelgezwitscher ist als erstes zu hören, dann lichtet sich langsam die Leinwand und ein Teppich aus Moos wird sichtbar. Ein ungewöhnlich naturverbundener Anfang für einen Dokumentarfilm, der sich mit einem Modemacher befasst.

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