Belladonna of Sadness (1973)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Der Teufel in Phallus-Form

Alles beginnt mit einem einfachen schwarzen Strich auf weißem Grund. Als die Kamera sich in Bewegung setzt, bewegt er sich immer fort nach links, schlägt Wellen, beschreibt Bögen und reißt nicht ab. Lässt so Grashalme entstehen, Blumen und Gesichter. Ein erster Tupfer pastellenen Blaus färbt eine Blüte ein und allmählich gesellen sich weitere Farben hinzu, bis vor unseren Augen ein ganzes Bouquet erblüht.

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Eigentlich fängt mit Die Tragödie der Belladonna aber alles schon viel früher an. Anfang der 1970er Jahre will der Mangaka und Filmemacher Osamu Tezuka, der sich mit Comic-Serien wie Astro Boy oder Kimba, der weiße Löwe einen Namen gemacht hat, mit seiner Animerama-Trilogie den Anime einem erwachsenen und anspruchsvollen Publikum näher bringen. Als dritten Teil dieser Reihe produziert er den von Eiichi Yamamoto inszenierten Belladonna of Sadness, aber da ist seine Firma Mushi Productions schon so gut wie bankrott und Tezuka verlässt das sinkende Schiff. Das Publikum des Jahres 1973 ist für den Film noch nicht reif — und so gerät er in Vergessenheit.

Ein Animationsfilm, der in Frankreich kurz vor der Revolution angesiedelt ist. Der seine Struktur dem Buch Die Hexe des Historikers Jules Michelet entlehnt, der darin 1863 das Hexentum im Mittelalter als eine Art Widerstandsreligion gegen den Römischen Katholizismus unter der Führung einer Frau beschreibt, angereichert um ein paar Motive der Legende von Jeanne d’Arc. Jeanne und ihr Geliebter Jean führen ein glückliches Leben — bis der Fürst in der Hochzeitsnacht Gebrauch von einem zweifelhaften Recht macht und Jeanne vergewaltigt. Das Paar leidet unter diesem traumatischen Verbrechen und als es Jean irgendwann nicht mehr gelingt, seinen Pflichten als Steuereintreiber nachzukommen, schließt sie in ihrer Not einen Pakt mit dem Teufel in Phallus-Form.

In Die Tragödie der Belladonna gibt es noch einen weiteren ungewöhnlichen Pakt: jenen zwischen Erzählstrategie und Inszenierung, der den Film mit keinem anderen Anime vergleichbar werden lässt. Damit ist nicht nur der vielgestaltige Zeichenstil gemeint. Zeichner Kuni Fukai bringt mit exzessivem Schwung schwarzweiße Skizzen aufs Papier, andere Szenen sind mit Ölfarbe gemalt, dann wieder schimmern transparente Blüten aus Wasserfarbe. Manche Figuren im Hintergrund muten an wie Illustrationen aus einem Kinderbuch, Höflinge tragen die scharfen Silhouetten von Gothic-Gestalten, Andere erinnern an den Jugendstil. Aber erst wie Yamamoto das Fortschreiten von Raum und Zeit handhabt, lässt Die Tragödie der Belladonna zum Leben erwachen. Wie in einem Musical erzählt ein Lied während der Opening Credits die Vorgeschichte, abgelöst vom Psychedelic Rock des Jazz-Komponisten Masahiko Satoh. Dann der schwarze Strich, der sich zum Blumenbouquet auswächst. Immer, wenn es in kurzen Passagen die Handlung erzählerisch voranzutreiben gilt, fährt die Kamera von rechts nach links über die Bilder, als gerate man bei der Lektüre eines Manga in einen Leserausch. In Schlüsselszenen schließlich vermehrt sich die Bewegung nicht. Sie intensiviert sich aber. Oft sind nur Details der Bilder animiert. Es ist, als verabredeten sich die einzelnen Stilmittel, einander nicht die Show zu stehlen. Und jede Farbe, jede Bewegung steht dabei im Dienste Jeannes.

Einer Figur, deren Körper mehr als ein Mal unverstellt den Blick auf sich zieht. Deren Vergewaltigung zu einem Spektakel mit Schauwert wird. Einem so abstrakten wie grausigen Schauwert zwar, aber dennoch. Eine Frauenfigur, die den Zorn der Mächtigen auf sich zieht, weil sie mit dem Erwachen ihrer Sexualität auch ihre eigene weibliche Macht entdeckt. Die Tragödie der Belladonna lässt sich als Reaktion auf die pinku eiga oder pink films lesen, in Japan ab den 1960er Jahren meist schnell und mit geringen Budgets gedrehte Softcore-Filme, die sich vor allem dadurch auszeichneten, dass sie wegen der Zensurvorschriften keine Geschlechtsteile oder Schambehaarung zeigen durften. Weichzeichner oder strategisch im Bild platzierte Gegenstände verdeckten die zentralen Orte des Geschehens und die Regisseure fanden immer neue Wege, um ihre Zuschauer bei der Stange zu halten. Aber Kreativitätsboost hin oder her: Zensur bedeutet Tabuisierung. In diese Sphäre tritt die schöne Belladonna mit den pastellfarbenen Haaren ein wie ein ungestümes Aufbäumen: ein Aufbäumen der weiblichen und volksnahen Macht gegenüber patriarchaler, absolutistischer Strukturen. Ein Aufbäumen des Anime als Avantgarde in ihrem reinsten Wortsinn, die Möglichkeiten der Kunst auslotet und kämpferisch ihr Publikum herausfordert. Das letzte Aufbäumen einer im Sterben begriffenen Produktionsfirma, deren Protagonisten beschließen, wenn, dann nur mit einem großen Knall abzutreten.

Der erste große Knall mag verklungen sein, aber zu der Geschichte um Die Tragödie der Belladonna gibt es einen Epilog. Die US-Firma Cinelicious Pics nimmt die Mühen der 4K-Restauration auf sich, treibt wegen acht Minuten fehlenden Filmmaterials eine zweite Kopie in der Belgischen Cinematek auf, versucht die Farben anhand weniger alter Artworks und eines zerfledderten Digibeta-Tapes mit Violett-Stich so originalgetreu wie möglich wiederherzustellen. Entscheidet sich, Schärfe und Korn nicht zu verfälschen, damit weiterhin ein Hauch Seventies über die Leinwand flackert. Die Anstrengungen haben einem veritablen Meisterwerk neues Leben eingehaucht, das es nun wieder zu entdecken gilt.
 

Belladonna of Sadness (1973)

Alles beginnt mit einem einfachen schwarzen Strich auf weißem Grund. Als die Kamera sich in Bewegung setzt, bewegt er sich immer fort nach links, schlägt Wellen, beschreibt Bögen und reißt nicht ab. Lässt so Grashalme entstehen, Blumen und Gesichter. Ein erster Tupfer pastellenen Blaus färbt eine Blüte ein und allmählich gesellen sich weitere Farben hinzu, bis vor unseren Augen ein ganzes Bouquet erblüht.

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