Die feine Gesellschaft

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine fremde und seltsame Welt

So eine Sommerfrische kann schon eine lustige Angelegenheit sein – vor allem dann, wenn überspannte Städter auf schlichtes Landvolk treffen, wenn die (in Frankreich noch sehr viel ausgeprägteren) Standesunterschiede aufeinanderprallen und sich dann noch eine Liebesgeschichte zwischen einem einfachen Muschelsammler und einer höheren Tochter entspinnt, die sich zudem in einer Phase des intensiven Ausprobierens verschiedener Geschlechterrollen befindet.

Wenn dann noch eine Serie rätselhaften Verschwindens hinzukommt, bei der Touristen sich scheinbar spurlos in Luft auflösen und ein SEHR dicker Inspektor mit seinem grenzdebilen Assistenten diese Vermisstenfälle aufklären soll – spätestens dann merkt man, dass man sich in einer surrealen Farce befindet, die eine ganz eigene Welt erschafft, die ausschließlich ihren eigenen Regeln folgt: Willkommen in der Welt von Bruno Dumont, willkommen im Kosmos von Eine feine Gesellschaft.

Frankreich in den 1910er Jahren: Die Familie Van Peteghem ist eine reichlich seltsame Industriellensippe aus Tourcoing, die regelmäßig an der Küste im Norden Frankreichs ihren Urlaub verbringt. Dort steht ihre extravagante Villa namens „Typhonium“, erbaut im ägyptisch-ptolemäischen Stil und mit Beton verschalt, die sich genauso wie ein Fremdkörper in der rauen, beinahe archaischen Landschaft ausnimmt wie die gesamte hysterische Bagage. Der „pater familias“ André (Fabrice Luchini) ist nicht nur geistig abwesend, sondern auch mehrfach mit körperlichen Malaisen geschlagen: Ein gewaltiger Buckel zwingt ihn zu einem gebeugten Gang, kombiniert mit merkwürdigen Schlenkerbeinen, von denen man nie genau weiß, ob sie den kniehohen und brettharten Kniestiefeln oder einem weiteren Gebrechen geschuldet sind. Seine Frau Isabelle (Valeria Bruni Tedschi) ist quasi der Idealtypus einer Hysterikerin, an der Sigmund Freud seine helle Freude gehabt hätte: Ständig fällt sie hin und balanciert während des gesamten Films am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Hinzu kommen zwei recht verhaltensunauffällige (sofern man dies bei dieser Familie überhaupt sagen kann) Töchter und deren Cousine Billie (Raph), ein Mädchen mit auffallend tiefer Stimme, das sich gerne als Junge kleidet und seinen modischen Undercut unter einer züchtigen Perücke verbirgt. Außerdem ist zumindest zeitweise mit von der sommerlichen Landpartie: Billies exzentrische Mutter Aude (Juliette Binoche), die Isabelle zeitweise den Rang als verstrahlte „Drama Queen“ ernsthaft streitig macht sowie Andrés ebenfalls vielfach geschlagener jüngerer Bruder und das recht widerborstige Hausmädchen Nadege (Laura Dupré).

Und dann sind da noch die Bruforts, eine ortsansässige Familie, die ihren Lebensunterhalt im Wesentlichen mit dem Sammeln von Muscheln und dem Tragen und Übersetzen (gemeint ist hier der Transport, nicht das Dolmetschen) piekfeiner Touristenkörper über die seichten Rinnsale und Tümpel der zerklüfteten Küste verdient. Weil das Auskommen aber vorne und hinten nicht reicht, haben sich die Bruforts zu Kannibalen entwickelt, auf deren Konto natürlich die verschwundenen Touristen gehen. Dumm nur, dass Ma Loute (Brandon Lavieville), der älteste Sohn der Familie, sich ausgerechnet in die burschikose Billie verguckt hat (und sie sich in ihn). Und als immerhin störend erweist sich auch, dass (freilich nicht sonderlich findige) Polizisten den rätselhaften Vorgängen auf der Spur sind.

Als wäre das nicht schon alles abgefahren genug, zieht Bruno Dumont wirklich alle Register des absurden Slapstick: Ständig fällt jemand hin, der fette Inspektor ist so unförmig (und immer noch weiter anschwellend), dass er sich am liebsten wie ein Kugelblitz die Dünen hinunterrollen lässt, wenn es wieder mal einen Tatort am Strand zu untersuchen gibt, irgendwann schweben Menschen durch die Luft oder kriegen feine Pinkel mit dem Paddel eines übergezogen, um anschließend von den Bruforts roh verspeist zu werden. Irgendwann wird dann noch quasi nebenbei eingeflochten, welche inzestuösen Bande den Clan der Van Peteghems zu solch einer Ansammlung von schillernden Charakteren werden ließ. Von kleineren Missgeschicken wie der beständigen falschen Aussprache der Namen mal ganz zu schweigen.

Bruno Dumonts Werk – von seinem Filmen bis hin zur exzellenten TV-Serie KindKind – ist schon in der Vergangenheit nicht gerade bekannt für Konventionalität und Phantasiearmut, aber hiermit legt der Regisseur nochmal einige Kohlen ins Feuer seiner Fabulierwut und seiner Lust an aus- und abschweifender Imaginationskraft. Eine feine Gesellschaft ist ein wildes, völlig durchgeknalltes Märchen geworden, das Gesellschaftsfarce, schräge Familienkomödie mit surrealen Elementen und eine sehr zarte Liebesgeschichte zwischen einem vierschrötigen Kannibalen und einem entzückenden Tomboy/girl in einen Topf wirft und mit mindestens psychedelischen Kräutern abschmeckt. Eine Mixtur, die nicht jedem gefallen wird. Wer sich aber auf diese fremde und seltsame Welt einlassen kann, der wird sich fühlen, als hätten Alejandro Jodorowsky, Luis Buñuel und Jean-Pierre Jeunet in einer Absinth- und Haschisch-Laune ihre kreativen Energien zusammenschmissen und eine verdammt gute Zeit gehabt – und ihre Darsteller auch.

Die feine Gesellschaft

So eine Sommerfrische kann schon eine lustige Angelegenheit sein – vor allem dann, wenn überspannte Städter auf schlichtes Landvolk treffen, wenn die (in Frankreich noch sehr viel ausgeprägteren) Standesunterschiede aufeinanderprallen und sich dann noch eine Liebesgeschichte zwischen einem einfachen Muschelsammler und einer höheren Tochter entspinnt, die sich zudem in einer Phase des intensiven Ausprobierens verschiedener Geschlechterrollen befindet.

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Meinungen

jean · 20.02.2017

wenn man solche filme nicht in der originalfassung geboten bekommt oder sie sich im original ansehen will, haben sie nicht den gleichen reiz. voll einverstanden mit herrn brünhübner. tolle schauspieler und sehr gutes kino.

Jürgen · 13.02.2017

Der größte Schrott aller Zeiten. Wir haben nach knapp 10 Minuten das Kino verlassen. Der größte Schrott, den wir je gesehen haben. Zum Glück hatten wir Freikarten. Der schlechteste Film mit den schlechtesten Schauspieler aller Zeiten.

hanne · 12.02.2017

Ein absolut surrealer Film mit herausragenden Schauspielern.
Dass die gesellschaftliche Verelendung der "Arbeiterklasse" im Kannibalismus endet ist eine Darstellung die erschüttert und die Bilder sind schwer zu ertragen. Die Dekadenz der "feinen Gesellschaft" mit der unglaublichen Ignoranz für die sie umgebenden tatsächlichen Geschehnisse stellt unsere derzeitigen sozialen Verhältnisse erschreckend deutlich dar.

Venda · 10.02.2017

Ekelerregende Bilder, mußte das Kino verlassen! Einfach schauerlich,dumm und sinnlos.Ansonsten gleich Meinung wie B. Zech.

B. Zech · 05.02.2017

Der schlechteste Film, den ich je gesehen habe.Weder Satire, noch Farce, noch Komödie, noch irgendwie funktionierender Slapstick. Einfach nur unterirdisch misslungenes Machwerk.

Heinrich Brunhübner · 22.01.2017

surreal, grotesk, phantastisch, traumhafte Bilder, excellente Schauspieler. Außergewöhnlichste Produktion seit langer Zeit.