Der letzte Wolf

Räuber im Grasland

Der Mensch ist des Menschen Wolf, heißt ein Sprichwort. Für den neuesten Film des französischen Regisseurs Jean-Jacques Annaud nach dem chinesischen Bestseller Der Zorn der Wölfe müsste es umformuliert werden: Der Mensch ist des Wolfes Wolf. Denn seine skrupellose, gewinnorientierte Grausamkeit führt in Der letzte Wolf in die Vernichtung des Raubtiers. Wie vormals in Der Bär (1988) und Zwei Brüder (2004) hält Annaud mit dem Genre Tierabenteuer unserer Spezies einmal mehr ein zur Kenntlichkeit entstellendes Spiegelbild vor. Nur gibt er diesmal kaum einen Anlass zur Hoffnung auf Veränderung unseres Verhältnisses zur Natur, was sich vielleicht auf eine gewisse Unschlüssigkeit zurückführen lässt.
Bislang galt für Annauds Filme zweierlei: Erstens sind sie fast immer ein Rückgriff in die Geschichte – bei Am Anfang war das Feuer (1981) sogar in die Steinzeit. Zweitens ist klar zu ersehen, ob Menschen oder Tiere im Mittelpunkt stehen. Der erste Punkt trifft auf Der letzte Wolf zu. Die Handlung entführt in die Innere Mongolei im Jahre 1967, zur Zeit der chinesischen Kulturrevolution. Die Studenten Chen Zhen (Shaofeng Feng) und Yang Ke (Shawn Dou) werden zu der Nomadengruppe des alten Bilig (Ba Sen Zha Bu) geschickt, um deren Leben kennen zu lernen und sie ihrerseits die chinesische Sprache zu lehren. Zumindest Chen Zhen (Shaofeng Feng) ist bald von den Wölfen in der Gegend fasziniert, obwohl sie ihn in Gefahr bringen.

Wer nun in diesem Film eigentlich dominiert, die Menschen oder die Tiere, lässt sich indes kaum sagen; der Titel führt an dieser Stelle in die Irre. Eigentlich böten die Mittel des 3D-Kinos, deren Annaud sich bedient, eine wunderbare Möglichkeit, die Perspektive der Wölfe auf dynamische und ungeheuer plastische Weise einzunehmen. Stattdessen erfasst die Kamera von Jean Marie Dreujou die Rudel aber fast nur von außen, letztlich aus Sicht des Menschen.

Diese Tendenz verstärkt sich, wenn Chen Zhen einen der Wolfswelpen, die auf Befehl der Partei getötet werden sollen, rettet und aufzieht. Der kleine Wolf beißt, heult nachts mit seinen Artgenossen und versucht zu fliehen. Er sei eigentlich der Herr, findet sein Herr. Dennoch wird dieses Energiebündel der Widerspenstigkeit für den Film keine treibende Kraft. Die Beziehungen der Menschen, insbesondere die zärtlichen Gefühle zwischen Chen Zhen und der bald verwitweten Gasma (Ankhnyam Ragchaa), tragen ihn aber auch nicht recht.

Vielleicht ist Der letzte Wolf zu verkopft, um sich zu entfalten. So mitreißend die Aufnahmen von der raffinierten Jagd der Wölfe auf eine Herde Gazellen auch sind, geben sie sich doch nicht der Natur hin. Sie dienen Biligs Allegorie der Wölfe mit den Kriegern Dschingis Khans – und mit dem Verhalten der Funktionäre, Geschäftemacher und Siedler. Diese sind gar schlimmer als die Wölfe, wenn sie das Grasland zerstören. Den Nomaden rauben sie so die Lebensgrundlage. Der Mensch ist also des Wolfes wie des Menschen Wolf. Trotz idealistischer Obertöne plätschert Der letzte Wolf pessimistisch aus.

(Andreas Günther)
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Ein Berg. Ein großer Mond im Hintergrund. Und dann tritt er in Erscheinung. Wie auf einem Bravo-Poster aus den 1990er Jahren steht er dort im Mondschein: der Wolf. Und er heult. Es ist Der letzte Wolf der Mongolei. Und er ist in 3D.

Lassen wir diese ersten Bilder in all ihrer künstlichen Kitschigkeit einmal so stehen und spulen ein wenig zurück: Im Jahre 1997 machte sich der Oscar-Preisträger Jean-Jacques Annaud mit seinem Film Sieben Jahre in Tibet keine Freunde bei der chinesischen Regierung. Sie erteilte ihm aufgrund der regimekritischen Aussagen ein lebenslängliches Einreiseverbot. Allerdings war Annaud nicht mit allen Regimen kritisch. Die nationalsozialistische Beziehung seiner Hauptfigur Haller (Brad Pitt) passte nicht in sein Bild; er erwähnte sie nur am Rande und ließ Haller immer wieder sagen, er wäre im Grunde doch nur ein Österreicher und kein politischer Mensch.

In Wahrheit war dieser sogar SS-Oberscharführer. Seine sehr wählerische Beziehung zu politischen und anderen Realitäten beweist Annaud ein weiteres Mal. Jetzt, 18 Jahre später, präsentiert er mit Der letzte Wolf die Verfilmung des chinesischen Bestsellers Der Zorn der Wölfe des Schriftstellers Lü Jiamin. Gedreht wurde dieser Film mit großer chinesischer Beteiligung, einem 40-Millionen-US-Dollar-Budget, einer 500 Mann starken Crew, 50 Wölfen, die eigens für diese Produktion abgerichtet wurden und mit Annaud, der von den Chinesen als Experte in Sachen Tierfilm eingekauft wurde. Eine interessante Wende in Sachen Annaud vs. China, doch es wird noch spannender, wenn man sich die Geschichte selbst und Annauds Adaption selbiger näher betrachtet.

Der letzte Wolf spielt im Jahre 1969, dem zweiten Jahr der chinesischen Kulturrevolution unter Mao Tsetung. Der junge Student Chen Zhen (Feng Shaofeng) wird aus der Hauptstadt in die Mongolei gesandt. Zwei Jahre soll er hier verbringen, um den einheimischen Nomadenstämmen chinesische Schrift und Kultur zu vermitteln. Doch schon bald gefällt ihm das einfache Leben dieses Volkes so gut, dass er lieber von ihnen lernt. Seien es Geschichten über ihren großen Gott Tennger oder über die mystischen Wölfe. Jene Wölfe bekommt er selbst bald zu Gesicht, als er nicht auf seine Gastgeber hört und – anstatt die Wege zu nehmen – einfach durch die Landschaft reitet. Um Haaresbreite kann er einem Rudel entkommen und sieht nach erfolgreicher Flucht den großen Gott Tennger in einer Wolke, der ihn anlächelt.

Ab hier ist der junge Mann besessen von den Wölfen – so weit sogar, dass er unbedingt ein Wolfsjunges fangen will, um es zu domestizieren. Währenddessen dringen immer mehr Menschen in die Landschaft ein und beginnen, das ökologische Gleichgewicht zu zerstören. Den Wölfen wird ihre natürliche Nahrungsquelle entzogen, woraufhin sie die Schafherden angreifen und den menschlichen Siedlungen immer näher kommen. Besonders die neuen Siedler reagieren hochgradig aggressiv und beginnen, die Wölfe unter staatlicher Aufsicht auszurotten. Chen Zhen fängt sich unterdessen ein Wolfsjunges und zieht es im Geheimen auf. Als die Mongolen dies bemerken, sind sie hochgradig erbost und befürchten göttliche Bestrafung – eine Idee, die Chen Zhen als lächerlich abtut.

Es ist recht einfach zu sehen, dass diese Geschichte drei große und wichtige Themenfelder vereint: die Frage nach dem Umgang der Chinesen mit ihrer eigenen Kulturrevolution in Hinsicht auf ihre aggressive Expansion in die Kulturen und Ländereien anderer, der Umgang mit der Natur und der radikalen Veränderung selbiger sowie der Weg des Individuums zwischen Träumen, Wünschen und der harschen Realität, in einem unfreien System zu leben. Man kann es drehen und wenden wie man möchte, es ist und bleibt hochgradig politisch. Nur Annaud ignoriert das geflissentlich und hat sein Bestes gegeben, seinen Film zu entpolitisieren. Bis auf ein paar Klischeefiguren, die ab und zu „Ich führe doch nur Befehle aus“, „Mao“ und „Revolution“ murmeln, konzentriert er sich lieber auf seine Disney-Variation von Mensch und Natur.

Und so wird aus dem mongolischen Stamm, der hier eigentlich zugrunde gerichtet wird, eine weitere Version der „edlen Wilden“, die an komische Dinge glauben und eins sind mit der Natur. Und die Natur selbst ist doch Annauds Hauptfigur. Deshalb bekommt auch nur sie die Ehre, ab und an in sinnloses 3D getaucht zu werden. Weil der Berg dann bergiger aussieht? Weil der Wolf dann die Schnauze aus der 2D-Leinwand recken darf? Oder war es eine der Grundbedingungen für die chinesische Förderung? Denn so lapidar wie diese Technik hier eingesetzt wird, macht sie eigentlich keinen Sinn. Und doch, die Natur ist Annauds einziger Ausweg aus dem Dilemma, etwas Politisches unpolitisch zu drehen.

Also widmet er sich den Bergen, der Steppe und den Wölfen, um hier mit einem väterlich erhobenen Zeigefinger darauf hinzuweisen, dass man es doch so machen solle wie die Primitiven. Und dabei bemerkt er nicht, auf welchen sozialdarwinistischen Rassismus er sich hier einlässt, wenn es um die Darstellung der Mongolen geht. Und er bemerkt auch nicht, dass ein Film, der dazu mahnt, die Wölfe zu respektieren und ihnen ihren Freiraum zu geben vielleicht nicht so ganz ernst genommen werden kann, wenn selbiger Regisseur davon erzählt, wie er eigens für die Produktion 50 Wölfe gekauft hat und diese von Kindesbeinen an hat abrichten lassen, damit der Film nicht mit allzu viel Spezialeffekten arbeiten muss, sondern „natürlich“ aussieht.

Je länger man sich die Produktionsumstände und ihr Endergebnis betrachtet, desto ärgerlicher ist das gesamte Projekt, vor allem wenn man dazu noch bedenkt, dass der Film an sich vor allem eines ist: langweilig. Welch‘ Farce für nichts.

(Festivalkritik Filmfest München 2015 von Beatrice Behn)

Der letzte Wolf

Der Mensch ist des Menschen Wolf, heißt ein Sprichwort. Für den neuesten Film des französischen Regisseurs Jean-Jacques Annaud nach dem chinesischen Bestseller „Der Zorn der Wölfe“ müsste es umformuliert werden: Der Mensch ist des Wolfes Wolf. Denn seine skrupellose, gewinnorientierte Grausamkeit führt in „Der letzte Wolf“ in die Vernichtung des Raubtiers.
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Meinungen

Björn · 05.12.2020

Also, ich kann die Kritik auch nicht nachvollziehen. Hier scheint wohl jemand seiner Enttäuschung Ausdruck verleihen wollen, dass Annaud sich vom Geld der chinesischen Regierung hat korrumpieren lassen. Aber im Ernst: es ist mir a) völlig schnurzpiepe, denn das der Film keine Generalabrechnung mit der Kommunistischen Partei ist, sagt eigentlich bereits der Titel ("Der letzte Wolf"). Und b) ist der Film eigentlich voll mit subtiler Kritik an der Kulturrevolution. Eben typisch chinesisch: man kleidet die Kritik ganz in konfuzianischem Sinne in ein geziemendes Gewand, statt wie bei uns mit der Tür ins Haus zu fallen. Denn der Film offenbart, was ich in China bis 2015 selbst erlebt habe: tatsächlich betrachtete man die damaligen Ereignisse um die Kulturrevolution zunehmend kritischer. Sogar seitens der KP wurden Versäumnisse und Fehleinschätzungen eingeräumt, wenn auch nur im Ansatz. Aber immerhin! Geschichtsaufarbeitung erfolgt in China eben langsam und nicht so umfassend wie unter Umständen bei uns.

Aber um wieder zurück zum Film zu kommen: beeindruckende Landschaften (ohne 3D bei mir, weil mich 3D mindestens anödet), gute Schauspieler und die wie immer klare Botschaft: der Mensch ist eigentlich der böse Wolf unter allen Tieren. Es funktioniert, wenn man mal den Kitsch außen vorlässt, wie z.B. der kollektive Suizid der Wölfe, was leider tatsächlich das einzige Manko an diesem Film ist.

Sascha · 04.11.2015

insgesamt gut, ich fand ihn beeindruckend. Einmal mehr zeigt sich, der Mensch ist das schlimmste Raubtier auf Erden.
Manchmal Phrasen (chin. Zensur geschuldet?) und manchmal sehr dick aufgetragen (Selbstmord der Wölfe).
Der schlechten Kritik von B. Behn kann ich mich nicht anschließen
S.